Lesung aus der Apostelgeschichte
In jenen Tagen 15brachten die Begleiter des Paulus ihn nach Athen. Mit dem Auftrag an Silas und Timotheus, Paulus möglichst rasch nachzukommen, kehrten sie zurück.
22Da stellte sich Paulus in die Mitte des Areopags und sagte: Athener, nach allem, was ich sehe, seid ihr besonders fromme Menschen.
23Denn als ich umherging und mir eure Heiligtümer ansah, fand ich auch einen Altar mit der Aufschrift: EINEM UNBEKANNTEN GOTT. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch.
24Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind.
25Er lässt sich auch nicht von Menschen bedienen, als brauche er etwas: er, der allen das Leben, den Atem und alles gibt.
26Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde bewohne. Er hat für sie bestimmte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnsitze festgesetzt.
27Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern.
28Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seiner Art.
29Da wir also von Gottes Art sind, dürfen wir nicht meinen, das Göttliche sei wie ein goldenes oder silbernes oder steinernes Gebilde menschlicher Kunst und Erfindung.
30Gott, der über die Zeiten der Unwissenheit hinweggesehen hat, lässt jetzt den Menschen verkünden, dass überall alle umkehren sollen.
31Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird, durch einen Mann, den er dazu bestimmt und vor allen Menschen dadurch ausgewiesen hat, dass er ihn von den Toten auferweckte.
32Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, spotteten die einen, andere aber sagten: Darüber wollen wir dich ein andermal hören.
33So ging Paulus aus ihrer Mitte weg.
34Einige Männer aber schlossen sich ihm an und wurden gläubig, unter ihnen auch Dionysius, der Areopagit, außerdem eine Frau namens Damaris und noch andere mit ihnen.
1Hierauf verließ Paulus Athen und ging nach Korinth.
Impuls:
Ein langer Weg liegt hinter Paulus und seinen Begleitern. Vom kleinstädtischen Philippi kam er über die Verwaltungsmetropole Thessalonich und die Handelsstadt Beröa (Verria) nach Athen, der europäischen Kulturhauptstadt der Antike. Hier ist der Ursprungsort der Demokratie, die Heimat des ersten großen Verfassungswerkes des Solon, Zeugnis der politischen Größe unter Perikles und natürlich der Sitz der großen Philosophenschulen um Sokrates, Platon und Aristoteles. Touristen, Philosophen und Kulturinteressierte geben sich hier die Klinke in die Hand. Ist Rom das politische Zentrum des Reiches, bleibt Athen doch Mittelpunkt der Kultur, der Bildung und des Denkens, auch wenn die alte Größe lange schon nicht mehr so strahlt wie früher. Die Einwohner leben von Touristen, vornehmen Römern und Studenten, die sich an den Glanz vergangener Tage erinnern wollen.
Paulus tritt in ein Gespräch mit den beiden einflussreichsten Philosophenschulen seiner Zeit ein, den Epikureern und der Stoa. Das Christentum erweist sich als Glaube, der sich vor der Vernunft rechtfertigen kann. Wie der Philosoph Sokrates verlässt Paulus den geschützten Raum (der Synagoge) und kommt ins Gespräch mit den Menschen auf der Straße.
Es treffen dabei nicht zwei fremde Welten aufeinander. Auch wenn Paulus die Verehrung von vielen Göttern in der römischen und in der griechischen Kultur ablehnt, bemerkt er doch einen Altar, der „EINEM UNBEKANNTEN GOTT“ geweiht ist. Daran kann Paulus anknüpfen. Die gebildeten Griechen wissen, dass eine Welt ohne göttliches Mittun nicht vorstellbar ist. Paulus deutet den „unbekannten Gott“ als den einen Herr, den Schöpfer des Himmels und der Erde: „Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seiner Art.“
Seine Predigt kreist um die Vorstellung, dass Gott keine Statuen und keinen Tempel braucht, sondern Menschen, die zu seinem Heiligtum werden. Da werden seine Zuhörer mitgehen können. Aber dann kommt die christliche Sonderbotschaft, die für einen Philosophen Griechenlands völlig absurd erscheint: Die Auferstehung der Toten. Höflich verabschieden sie sich damit aus dem Gespräch.
Der christliche Glaube, der mit der Welt ins Gespräch kommt, wird immer Anknüpfungspunkte bei den Menschen finden, die über sich hinaus denken und nach einem tieferen Grund des Lebens fragen. Es gehört zur Lehre unserer Religion, dass der Mensch allein mit Hilfe der Kraft seines Denkens die Spuren Gottes entdecken kann. Aber er wird auch zur Entscheidung gerufen. Die Botschaft von der Auferstehung ist letztlich das Identitätsmerkmal des christlichen Glaubens. Für sie muss man sich entscheiden. Diesen Schritt aber können nicht alle Menschen gehen. Auch in unserer Zeit. Das Christentum ist mehr als eine ganzheitliche Sicht des Geschaffenen, es will das persönliche Bekenntnis zu Christus, dem auferstandenen Herrn, und zu unserer Hoffnung auf das ewige Leben.
Sven Johannsen, Pfarrer