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Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;

doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Kor 13,13)

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Liebe Schwestern und Brüder

 

Deus caritas est“, „Gott ist die Liebe“ - als im Januar 2005 die erste Enzyklika von Papst Benedikt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, überraschte das neue Kirchenoberhaupt ohne Ausnahmen alle Experten, Vatikankenner und Gläubigen. Vom Kirchenlehrer, Professor, Präfekt der Glaubenskongregation hatte man sich als erstes päpstliches Lehrschreiben eine detaillierte und umfassende Darstellung des katholischen Glaubens erwartet, in der konsequent dargelegt wird, was gemäß dem katholischen Lehramt zu glauben ist und wo klare Grenzen gezogen werden müssen. Stattdessen widmet Benedikt XVI. sein erstes großes Lehrdokument der „Liebe“. In einer klaren, direkten und keineswegs weitschweifig abstrakten Sprache wiederholt Benedikt nicht einfach das, was das Lehramt schon immer zu diesem Thema gesagt hat, sondern beleuchtet die Liebe in allen Dimensionen durch die Philosophiegeschichte bis zum heutigen Denken. Viele seiner Vorgänger haben die Praxis gewählt, in ihren Enzykliken Schriftstellen zu zitieren, Aussagen vorheriger Päpste zu wiederholen bzw. neu zusammenzustellen, Benedikt aber tritt ein in das Gespräch mit der Welt, der Philosophie und den unterschiedlichsten Denkwegen. Er wagt sich an die Liebe nicht als abstraktes Thema heran, sondern in ihrer Bedeutung als „Agape“, der Liebe als Prinzip des Kircheseins, als „Caritas“, die gelebte Nächstenliebe, und als „Eros“, also die Liebe zwischen zwei Menschen. Dass ein Papst die Bedeutung der Caritas herausstellt, sollte nicht verwundern. Auch die Betonung der Liebe als Haltung, die die Kirche von Anfang prägen soll, ist durchaus bekannt. Aber es war eine kleine Sensation, dass gerade der „Hardliner aus der Glaubenskongregation“ die erotische Liebe positiv beschreibt und nicht gleich mit moralischen Warnungen den Menschen verdirbt. Benedikt beschönigt auch nicht, dass es eine lange Geschichte der Leibfeindlichkeit im Christentum gab und noch immer gibt. Es verwundert nicht, dass Benedikt in seinen Betrachtungen von der Liebe zwischen Mann und Frau in der Ehe ausgeht. Dennoch besticht die Enzyklika durch ihre wertschätzenden Sicht im Blick auf die Beziehung zwischen zwei Menschen und der Betonung, „dass mit Liebe Verantwortung verbunden ist, dass man nicht auf Probe und nicht auf Zeit lieben kann, sondern dass Liebe auf Dauer hin ausgerichtet ist.“ (Gunther Prüller-Jagenteufel)

Auf „Deus Caritas est“ folgten zwei weitere Enzykliken: „Spe salvi“ über die christliche Hoffnung (2007) und „Caritas in veritate“, die Sozialenzyklika des deutschen Papstes (2009), die sich mit der damals aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise auseinandersetzte und am Vortag des G8-Gipfels in L'Aquila erschien. Erst nach seinem Pontifikat veröffentlichte Papst Franziskus die Enzyklika „lumen fidei“ über den Glauben, in der er Vorarbeiten Benedikts aufgriff. Die drei lehramtlichen Rundschreiben Benedikts fanden auch außerhalb der katholischen Kirche in anderen Konfessionen, Religionen, aber auch bei Philosophen, Politikern und Verantwortungsträgern in Wirtschaft und Gesellschaft durchgängig wohlwollende Aufnahmen, auch wenn man zugeben muss, dass einigen Vertretern der katholische Soziallehre die Kritik des Papstes und der Aufruf zur Veränderung in seiner letzten Enzyklika zu schwach erschien. Ohne Zweifel wird aber seine erste Enzyklika auf Dauer die weitreichendste Bedeutung haben. Wie kam der Papst darauf, der „Liebe“ seine erste Enzyklika zu widmen? War es das anstehende Weihnachtsfest, also das Fest der Liebe? Das ist nicht völlig abwegig: Die Enzyklika trägt das Datum vom 25.12.2008. War es eine Rückbesinnung auf das paulinische Hohelied der Liebe im 1. Korintherbrief, der mit dem großen Schlusssatz endet: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Kor 13,13) Das ist durchaus ein Impuls. Aber letztlich ist der Gedanke der Liebe zu Gott, der Welt und den Menschen einer der großen Schlüssel für das Denken von Papst Benedikt. Benedikt schreibt nicht über die „Liebe“ nicht, um sein Image aufzupolieren, sondern weil sie eines der zentralen Themen seines Denkens ist. Seine erste Enzyklika eröffnet der Papst mit einem Verweis auf den ersten Johannesbrief, der ja auch den Titel für die folgenden siebzig Seiten darstellt: "Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4, 16). In diesen Worten aus dem Ersten Johannesbrief ist die Mitte des christlichen Glaubens, das christliche Gottesbild und auch das daraus folgende Bild des Menschen und seines Weges in einzigartiger Klarheit ausgesprochen. Außerdem gibt uns Johannes in demselben Vers auch sozusagen eine Formel der christlichen Existenz: "Wir haben die Liebe erkannt, die Gott zu uns hat, und ihr geglaubt" (vgl. 4, 16). (Deus Caritas est 1)

Dieser zentrale Vers aus dem 1. Johannesbrief „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ beschreibt für Benedikt schon seit der Anfangszeit seines theologischen Arbeitens das Besondere der christlichen Offenbarung, die nicht nur in der Schrift und in der Tradition zu finden ist. Beide sind eine wichtige Quelle der MItteilung Gottes an die Welt. Offenbarung im christlichen Sinn ist aber nicht ein System von Sätzen, sondern „ein Ereignis, in dem sich Gott dem Menschen zeigt und sich ihm als Liebe zusagt.“ (Kurt Koch, Bund zwischen Liebe und Vernunft; das theologische Erbe von Papst Benedikt, Freiburg i. Brg. 2016). Schon als junger Theologe sieht Benedikt die Krise der Glaubensweitergabe in einer Verkürzung des Wesens von Religion auf Lehrsätze. Dagegen versteht er Religion als „Das Ja-Sagen meines Ich zum ewigen Du Gottes, das mir begegnet und mich fordert.“ (J. Ratzinger; Zur Krise der Verkündigung: Klerusblatt 38/1958). Im Glauben geht es also um ein neues Verhältnis, besser eine neue Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. Wer der Liebe Gottes glaubt und ihm vertraut, wird befreit aus dem Gefängnis des Kreisens um sich selbst und öffnet sich der absoluten Wahrheit, nach der er eigentlich Sehnsucht hat. Für viele moderne Denker gibt es keine objektiv erkennbare Wahrheit, die absolut gilt. Diese aber in Gott, der die Welt und den Menschen unbedingt liebt, zu anzunehmen und ihm zu vertrauen, beschreibt für Benedikt den biblischen Begriff der „Umkehr“. Die Liebe ist Gott selbst, der sich dem Menschen zeigt und als Liebe erkannt werden will. Immer wieder kommt Benedikt darauf zurück, dass Christentum als die positive Option zum Leben anzubieten. Es ist nicht zuerst Verzicht und Einschränkung, sondern die Erfahrung von Liebe und das Geschenk von Vertrauen. Das wird v.a. in der Bereitschaft Jesu deutlich, den Weg des Vertrauens in den Vater bis zum Kreuz zu gehen. In seiner Predigt zu seiner Amtsantritt am 24. April 2005 beschreibt Papst Benedikt sein Verständnis des Petrusamtes mit den Worten:

 

Dazu sind wir da, den Menschen Gott zu zeigen. Und erst wo Gott gesehen wird, beginnt das Leben richtig. Erst wo wir dem lebendigen Gott in Christus begegnen, lernen wir, was Leben ist. Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht. Es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken.“

 

Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht“, diese wunderbare Zusage setzt einen Gott voraus, dem der Menschen begegnen und den er erfahren kann. Das kann nur ein Gott sein, der auch als ein persönliches Gegenüber erkannt wird. Eine ewige Schicksalsmacht oder eine Vorstellung von Gott als Urprinzip bleiben abstrakt und können uns das nicht sagen. In unserer Zeit nehme ich wahr, dass die Herausforderung an einen persönlichen Gott zu glauben, für viele Menschen immer schwieriger wird. Einige Menschen brauchen überhaupt keinen Gott oder eine Vorstellung von einer letzten Macht, die Tod und alles Irdische übersteigt. Viele aber wollen an der grundsätzlichen Vorstellung von Gott festhalten, können aber mit einem persönlichen Gott nichts mehr anfangen. Die christliche Theologie erscheint ihnen zu abstrakt und zu verworren. Sie akzeptieren eine göttliche Macht, die sie um Schutz für ihr Leben und das der Menschen, die sie lieben, bitten können, aber der christliche Glaube an den Vater, Sohn und Heiligen Geist geht ihnen zu weit. Für das christliche Bekenntnis dagegen gilt: Ohne das Vertrauen in ein Du, an das ich mich im Gespräch wenden kann, werde ich auch nicht fähig, diese Zusage über mein Leben zu hören, dass ich gewollt, gesehen und geliebt bin. Dann aber fehlt mir eine letzte Basis, auf dem mein Leben seine Sicherheit und sein Ziel gewinnt. Für Benedikt braucht der Mensch zu einem sinnvollen Leben dieses Ausstrecken nach der letzten Wahrheit, die allein im liebenden Gott zu finden ist.

Letztlich fragt uns der Papst auch an, ob wir dieses Vertrauen in Gott, der uns sieht und uns begegnet, wirklich leben können? Denn ein Gott, der mich nach seinem Bild geschaffen hat und in mein Leben spricht, der fordert mich auch zur Verantwortung heraus, die in der Liebe zu ihm und zu den Menschen besteht.

Jesus lebt aus dieser Liebe, die Gott zu uns hat. In ihr ist sein Vertrauen zum Vater so stark, dass er im heutigen Evangelium jeder Versuchung widersteht, sich ganz auf sich zu verlassen und selbst zur Mitte der Welt zu machen. Jesus tritt nicht in die Falle, die Probleme der Welt selbst regeln zu wollen und in sich die Lösung zu sehen. Er legt nicht nur sich, sondern auch die Welt in die Hände des Schöpfers. Die Versuchungsgeschichte am Anfang der Fastenzeit zeigt uns auf, in welche Richtung wir uns in diesen kommenden Wochen entwickeln können: Wer die Liebe, die Gott zu uns hat, erkennt, wird Vertrauen haben, dass Gott die Dinge zum Guten führt, und er wird fähig, vorbehaltlos den anderen Menschen zu lieben ohne Neid und Hintergedanken.

 

Am Schluss seiner Enzyklika „Deus Caritas est“ schreibt Papst Benedikt:

Glaube, Hoffnung und Liebe gehören zusammen. Die Hoffnung artikuliert sich praktisch in der Tugend der Geduld, die im Guten auch in der scheinbaren Erfolglosigkeit nicht nachlässt, und in der Tugend der Demut, die Gottes Geheimnis annimmt und ihm auch im Dunklen traut. Der Glaube zeigt uns den Gott, der seinen Sohn für uns hingegeben hat, und gibt uns so die überwältigende Gewissheit, dass es wahr ist: Gott ist Liebe! Auf diese Weise verwandelt er unsere Ungeduld und unsere Zweifel in Hoffnungsgewissheit, dass Gott die Welt in Händen hält und dass er trotz allen Dunkels siegt, wie es in ihren erschütternden Bildern zuletzt strahlend die Geheime Offenbarung zeigt. Der Glaube, das Innewerden der Liebe Gottes, die sich im durchbohrten Herzen Jesu am Kreuz offenbart hat, erzeugt seinerseits die Liebe. Sie ist das Licht — letztlich das einzige –, das eine dunkle Welt immer wieder erhellt und uns den Mut zum Leben und zum Handeln gibt. Die Liebe ist möglich, und wir können sie tun, weil wir nach Gottes Bild geschaffen sind. Die Liebe zu verwirklichen und damit das Licht Gottes in die Welt einzulassen — dazu möchte ich mit diesem Rundschreiben einladen.“

 

Diese Liebe zu erkennen, sie anzunehmen und zu erwidern durch ein Leben nach dem Willen Gottes ist die Bestimmung des Christen. Die österliche Vorbereitungs- zeit, an deren Ende das Liebeswerk Jesu am Kreuz steht, lädt uns ein, uns neu der Frage zu stellen, ob ich bereit bin, mich wirklich einem persönlichen Gott zu öffnen und ihm zu vertrauen. Dann kann ich auch die Kraft haben, den anderen Menschen und die Welt in Gottes Sinn zu lieben. Amen

 

Sven Johannsen, Pfarrer

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