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Predigt in der Christmette 2019:

Weihnachten ist das Fest der Liebe. Liebe ist verschenkte Zeit.

Dresden - die Schöne Sachsens, barockes Juwel August des Starken und seiner Nachfolger, aus dem Bombenhagel vom 13 auf den 15. Februar 1945 nach langem Nichtstun und Dornröschenschlaf in der Zeit der DDR wiederauferstanden zu einer der schönsten Städte unseres Landes.

23.12. Der letzte Abend vor dem Heilig Abend auf dem Neumarkt, auf dem nach dem glanzvollen Wiederaufbau der Frauenkirche sich ein städtebauliches Ensemble gebildet hat, das von unvergleichlicher Schönheit in unserem Land ist. Die Dunkelheit ist bereits eingebrochen: Tausende Menschen habe sich bereits gegen 16.00 Uhr eingefunden, der Motor des Wiederaufbaus der Frauenkirche, der Trompeter Ludwig Güttler, renommierte Sänger wie Gunter Emmerlich und die Mitglieder des berühmten Kreuzchores stehen auf der Bühne und singen mit den Menschen Weihnachtslieder. Am Ende beginnt die Christvesper und es werden in einer Stadt, in der von den weit über eine halbe Millionen Einwohner nicht einmal mehr zwanzig Prozent einer christlichen Kirche angehören, 19.000 Menschen auf dem Neumarkt stehen und den Abendgottesdienst zur Eröffnung des Weihnachtsfestes, der keineswegs ein weltanschaulich neutrale Meditation ist, mitfeiern. Ein Phänomen. Alles begann vor 27 Jahren: Vor den Ruinen der Frauenkirche vesammeln sich 50.000 Menschen zu einem vorweihnachtlichen Gottesdienst. Und jnoch heute, das Gotteshaus steht längst wieder, fidnen sich am 23. Dezember immer noch tausenden Menschen, um miteinander Gottesdienst zu feiern.  

Dieses Bltzlicht auf Dresden ruft es uns in Erinnerung: Weihnachten ist ein Phänomen, denn Weihnachten mögen alle. Während alle anderen christlichen Feste deutliche Abwärtstendenzen zeigen, ist das Fest der Geburt Jesu Christi zum Weltereignis geworden.

Ostern konzentriert sich auf die Osternacht. In vielen Dörfern ist es gar nicht mehr sinnvoll, vor leeren Bänken den Ostersonntag zu feiern.

Martin muss darum kämpfen nicht zum Sonne-Mond-Sterne-Laternenzug zu verkommen.

Karfreitag ist für viele nur noch ein Zumutung, weil ihnen am stillen Tag das Tanzen in Diskotheken verboten und so ihre Freiheit eingeschränkt wird.
Allerheiligen reduziert sich auf den Friedhofsgang, den man auch schon oft nicht mehr klassisch mit der Andacht der Gemeinde verbindet.

Neue Feste gewinnen Beliebtheit: Halloween allen voran. Aber in Großstädten lädt man jetzt vermehrt zu Diwali, dem hinduistischen Lichterfest im Herbst ein, oder Holi, dem aus der gleichen Religion stammenden Fest der Farben im Frühjahr.

Schön, dass wir wieder ins Bewusstsein rücken, dass unsere jüdischen Schwestern und Brüder in diesen Tagen Chanukka, das große Lichterfest als Erinnerung an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels feiern. Und es ist wohl auch sinnvoll, dass wir von den Medien auf große Feste des Islam wie das Zuckerfest hingewiesen werden, denn Muslime sind längst Teil unserer Gesellschaft geworden.

Doch es bleibt das Phänomen: Weihnachten schlägt alle andere, wenn es um Beliebtheit geht.
Weihnachten mag jeder. Auf Weihnachten freut sich jeder und feiert jeder. Für Weihnachten muss man nicht Christ sein, wie das große Ereignis aus Dresden zeigt. Weihnachten kann jeder feiern.

Zweifelsohne ist entspricht die Art, wie wir uns auf Weihnachten vorbereiten, keineswegs der Biblischen Botschaft, die nicht von Plätzchen, Glühwein, Einkaufstress und adventlicher Romantik erzählt, sondern von Menschen im Aufbruch, von Krisensituationen und Erfahrung der Not und Bedrohung. Aber dennoch haben auch Menschen, die nicht an den Gott glauben, den Christen bekennen, nicht nur, wie wir manchmal abfällig meine, Freude an einem Fest des Schenkens und des hemmungslosen Konsum, sondern ein Gespür für die frohe Botschaft, die sich mit diesem Fest verbindet. Der Theologe und Weihnachtsforscher Stephan Wahle hat das so formuliert:

Sogar Atheisten oder Humanisten schätzen Weihnachten, eben weil es existenzielle Fragen berührt, und weil darin auch eine gewisse Skepsis gegenüber dem Alltagsleben zum Ausdruck kommt. … Die Menschen haben das Gefühl, dass da etwas ist, was über den Alltag und auch über andere Feste hinausreicht, was viel mehr ist als das."

 Da ist etwas Mehr als der Alltag, der geprägt ist von Unfriede, Hetze, Stress, Streit, Kämpfen um Erfolg und dem Bemühen sich durchzusetzen. Für viele kommt das zum Ausdruck in dem einfachen Wort: „Weihnachten ist das Fest der Liebe“

Wenn in diesen Tagen ein Kind seine Eltern und Großeltern immer wieder darauf aufmerksam gemacht hat: „Ich bin doch lieb gewesen“. Dann wissen kluge Erziehungsberechtigte schnell, welche tiefliegender Botschaft mit dieser stolzen Selbsteinschätzung verbindet: Lieb heißt brav: „Ich habe aufgeräumt, die Pflichten im Haushalt erledigt, nicht mit dem kleinen Bruder gestritten.“ „Ich bin lieb gewesen“ impliziert den Anspruch auf Belohnung. Das ist vor Nikolaus und Weihnachten ein klarer Deal: Liebe Kinder werden vom Nikolaus und vom Christkind beschenkt, böse Kinder gehen leer aus.

Das Fest der Liebe, oder nicht eher der Berechnung? So sehr man sich über Kinder freuen kann, die brav sind, letztlich wissen sie genau, was sie damit erreichen wollen. Ist das dann wirklich Liebe?

Werden unsere Feiertage nicht sogar von so einer berechnenden Liebe durchzogen?

Eltern bereiten liebevoll das Weihnachtsfest vor für die Kinder, die aus dem Studium, aus der Ausbildung oder vom Arbeitsplatz heimkehren Kochen, Schmücken, Richten alles, dass es so wird wie in ihrer Kindheit. Aber verbunden ist damit auch die Erwartung, dass die Kinder nicht bei nächster Gelegenheit sich zurückziehen oder abhauen, um sich mit Freunden zu treffen. Das können sie auch nach der Christmette machen.

Schlimm wäre es, wenn wir Geschenke für andere nur besorgen, damit wir eine Gegenleistung erhalten. Und das glaube ich bei den wenigstens. Aber vom anderen wahrgenommen zu werden, Dank zu erfahren, das ist schon Teil meines Schenkens.

Letztlich investieren Pfarrer und Kirchenmusiker, Ehrenamtliche mit viel Liebe Zeit und auch Geld in die Weihnachtsfeier. Und erhoffen sich als eine Art „Gegenleistung“ auch einen guten Kirchenbesuch. Wie traurig, wenn die Kirche nach all den Mühen, die sich Kantor und Sopran, Küster und Pfarrer gemacht haben, nur halb besetzt wäre. Natürlich hätte die Feier den gleichen Wert, aber ob wir das nächstes Jahr noch einmal machen, stünde dann in den Sternen.

Ich will das jetzt nicht schlecht reden und despektierlich machen, aber doch darauf hinweisen, dass Liebe bei uns oft mit Erwartungen von Gegenleistungen verbunden ist.

Und wenn wir heute das Fest der Liebe feiern, dann muss es doch noch einen Schritt weitergehen, damit es nicht als kalte Berechnung demaskiert wird und schließlich eskaliert, weil man sich gegenseitig überfordert.

Die biblische Überlieferung zeigt uns hier den Kern der Menschwerdung Jesu auf, wenn es heute im Titutsbrief heißt:

„Die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.“ Freiwillig, ohne Deal, verlässt Gott seine Himmel, um die Menschen neu zu machen. „Tatmotiv Liebe“, so könnten wir den tiefsten Grund für Weihnachten bezeichnen: Nicht eine fanatische Liebe, in der Menschen letztlich die Grenzen des Zulässigen überschreiten, nicht eine berechnende Liebe, die auf dem Prinzip „Do ut des“ aufbaut, nicht eine Liebe, die den anderen ausnutzt, weil man sich letztlich nur selbst liebt, sondern eine hingebende, verschenkende Liebe, die nicht auffordert und Rechnungen stellt, sondern zum Vorbild wird für das eigene Lieben. „Sie erzieht uns dazu, voll Eifer das Gute zu tun“, so der Titusbrief.

Genau das ist das biblische Fest der Liebe: Das Ereignis einer Liebe, die sich hingibt, verschenkt und keine Angst, enttäuscht zu werden. Darum beginnen Matthäus und Lukas ihren Bericht von Jesus nicht wie Markus erst mit dem Auftreten des Predigers, der die Entscheidung fordert, sondern mit der Geburt eines Kindes in einem ärmlichen Stall: Ein Kind muss, ein Neugeborenes muss man einfach lieben, kann man nicht mit Misstrauen und Ablehnung begegnen: Das ist nicht menschlich. Und zugleich öffnet es noch eine andere Dimension von verschenkender Liebe: Gott hat Zeit für uns

Zeit ist Geld und Geld ist Macht. Heute werde ich erfolgreich, wenn ich keine Zeit verliere, schnell handle, Entscheidungen instinktiv treffe, Geld mit einem Mausklick um die Welt schicke und investiere. Beeindrucken können Menschen, die die Welt zum Dorf machen, um sie jetten ohne Pause, uns Mails schicken vom Ende der Erde und schon längst auf dem Weg sind zum nächsten Ziel. Wolfgang Huber, der langjährige Ratsvorsitzende der EKD schreibt einmal: „Geschwindigkeit ist Macht. Wer es langsam angehen lässt, verzichtet auf Macht. Dieser Machtverlust ist Sanftmut. Mit kommt die Liebe. Sie braucht Zeit.“
Genau das beschreibt m.E. das Geheimnis von Weihnachten: Gott lässt sich Zeit. Er wird ein Kind in einem Stall und verschwindet damit nach der Anbetung der Hirten und Könige erst einmal dreißig Jahre von der Bildfläche der öffentlichen Wahrnehmung. Lukas wird nach dem Verschwinden des zwölfjährigen Jesu und seiner Rückkehr nach Nazareth über ihn sagen: „Jesus aber wuchs heran und seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen.“

Der erwachsene Jesus wird sich Zeit nehmen, nicht durch Israel hetzen, sondern nur wenige Orte besuchen, aber dort mit Menschen essen, ihnen zuhören, auf ihre Not achten. Selbst die Frau, die heimlich in der Menge sein Gewand berührt, wird er nicht übersehen. Er nimmt sich Zeit für das Gebet, die Einkehr. Er verliert kein Zeit, er verschenkt sie an Gott und die Menschen, so dass sie erfüllte Zeit wird. Die Menschen spüren, sie werden nicht nur als Fälle abgehandelt, sondern sind wirklich geliebte Kinder Gottes, für die er sich Zeit nimmt.

Wenn wir Weihnachten als Fest der Liebe feiern, dass ist das vielleicht der Horizont, der uns die Menschwerdung Gottes erschließt: Zum Menschsein gehört es auch, dass wir uns Zeit nehmen wie Jesus und Gott.
Liebe ist verschenkte Zeit, nicht verschwendete für so viel Nebensächlichkeiten auf der Suche nach Unterhaltung und Abwechslung.

Wolfgang Huber erinnert in der Weihnachtszeit an Tiere, die jetzt nicht unbedingt Saison haben und die wir nicht gleich mit dem Ereignis in Bethlehem verbinden: Hummeln.

Er weist darauf hin, „dass Hummeln, die Behäbigen unter den Insekten, eine Geschwindigkeit von bis zu zwanzig Stundenkilometer erreichen können, aber wenn sie von Blüte zu Blüte hüpfen, dann legen sie in einer Stunde nur einhundert Meter zurück. Sie lassen sich Zeit, ihren Hunger zu stillen und sich zweihundertmal langsamer unterwegs, als ihre Flugmuskulatur erlauben würde.“ (Kara und Wolfgang Huber; Tatmotiv Liebe, Stuttgart 2019, S. 79)

Mit gefällt dieses Bild. Wir werden unsere schnelle Welt nicht ausbremsen, wir sind ja selbst ein Teil der Highspeed-Gesellschaft. Aber wir können uns selbst an diesem Fest entschleunigen und wieder genau darauf achten wem wir Zeit schenken wollen:
Ich denke an die Familien, die jetzt zusammenkommen und Zeit haben, dass die wichtigen Themen zur Sprache kommen. Mit Smalltalk lässt sich kein Tag rumbringen.

Ich denke auch an die, die allein sind, und sich selbst eine Freude machen durch ein Konzert, durch das Pflegen von Bräuchen, durch ihren Einsatz bei sozialen Aktionen im Dienst für andere Menschen. Menschen, die sich nicht nur freuen, wenn die Feiertage vorbei sind, sondern sie selbst auch als Geschenk für sich erfahren.

Ich denke auch die Schwestern und Pfleger im Altenheim, im Krankenhaus und anderen sozialen Einrichtung, die auf Station etwas weniger Stress haben und jetzt vielleicht auch mit etwas mehr Ruhe ihren Bewohnern, Patienten oder Hilfesuchenden zuhören können oder mit mehr Achtsamkeit einen Kaffee mit der Kollegin oder dem Kollegen trinken können, die ihr Herz ausschütten möchten.


Weihnachten ist ein Phänomen: Denn Weihnachten mögen nicht nur alle. Weihnachten können alle Menschen. Natürlich haben wir als Christen einen theologischen Zugang zu diesem Fest, aber das Grundgeschehen der Liebe, das darin gipfelt, dass Gott uns signalisiert „Ich habe Zeit für dich“, das dürfen wir auch bei anderen unterstellen. Das Fest der Geburt Jesu ist, so unsere Hoffnung, eine Besinnung auf das, was wesentlich ist, eine Gelegenheit zum Danken, zur Stille und Besinnung.

 

Vielleicht haben die vielen tausend Menschen am gestrigen Abend in Dresden das gespürt: Natürlich ist es eine Veranstaltung, die alle Kriterien erfolgreichen Eventmanagment erfüllt: 

  • Der ideale Zeitpunkt: Der Arbeitsstress ist unterbrochen
  • Eine traumhafte Kulisse: Der stimmungsvolle Neumarkt vor der hell erleuchtenden Frauenkirche
  • Und die richtige Botschaft vom Frieden und von Liebe zur richtigen Zeit am Beginn des Weihnachtsfestes.

Aber sicher ist da noch mehr: Das innere Gefühl, aufgehoben und beheimatet zu sein. Das Erleben, mit anderen zu singen, obwohl doch zuhause immer weniger gesungen wird. V.a. aber, dass Liebe und Mitmenschlichkeit keine leeren Begriffe von sozialen Romantikern und Pfarrer ist, sondern eine Botschaft, die das Leben verwandeln kann.
Weihnachten kann jeder: Das Fest der Liebe Gottes zu uns lädt ein, Zeit zu verschenken, weil Gott in unsere Zeit kommt und sie heiligt.

Das Wunder der Liebe geschieht an Weihnachten zuerst durch Gott. Er hat keine Angst, Zeit mit uns zu verlieren, er handelt aus Liebe. Und das Wunder findet seine Fortsetzung in uns, wenn wir lieben und schenken können ohne Hintergedanken. Amen.

 

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