Karfreitagsprozession in Lohr – Viele tausend Gläubige kamen wieder zur diesjährigen Karfreitagsprozession. Dicht gedrängt standen die Menschen am Straßenrand und betrachteten schweigend und mit sichtlicher Andacht die 12 lebensgroßen Stationen, die seit nunmehr über 350 Jahren durch die Straßen Lohrs getragen werden. Früher die Zünfte, heute verschiedene Berufsgruppen, tragen die Verantwortung für die einzelnen Stationen der Leidensgeschichte. In seiner Predigt am Abschluss der Prozession griff Domkapitular Clemens Bieber, Vorsitzender des Diözesancaritasverbandes, die aktuellen Streitigkeiten um die Bedeutung des Kreuzes und des Karfreitags in unserer Gesellschaft auf und stellte das Kreuz als das große verbindende Zeichen unserer Gesellschaft heraus. Für seine Predigt erhielt er am Ende sogar Beifall von vielen Mitfeiernden.
Viele Bilder gibt es auf der HP von Ernst Huber:
Die Predigt von DK Clemens Bieber im Wortlaut:
Karfreitagsprozession Lohr, 30. März 2018
Der gekreuzigte Esel – diese Karikatur stammt nicht aus unseren Tagen. Der gekreuzigte Esel – das Spottgraffito wurde bei Ausgrabungen in Rom entdeckt. Es war mit einem Nagel in die Wand einer Wachtstube des Kaiserpalastes auf dem Palatin geritzt und stammt vermutlich aus dem Jahr 125 nach Christus.„Alexamenos sebete theon“ – „Alexamenos betet seinen Gott an“, so ist dazu gekritzelt. Zu sehen ist ein römischer Soldat, der wohl Christ geworden war, deswegen verspottet wurde. und seinen Gott anbetet, der dargestellt ist als ein am Kreuz hängender Esel.
Die Diskussion um das Kreuz und die Haltung des Gekreuzigten durchzieht die Geschichte der vergangenen zweitausend Jahre bis in unsere Tage. Vor zweitausend Jahren war es für Menschen, die ihre Götter für kraftvoll, mächtig, stolz und unbesiegbar hielten, unvorstellbar, ja blanker Unsinn, eine Eselei, eine Zumutung, dass sich der Gottessohn, an den die Christen glaubten, ans Kreuz schlagen ließ. Deshalb wird derjenige, der in der Haltung und in der Frohen Botschaft Jesu von Nazareth den entscheidenden Weg zum Leben sieht, selbst als Esel abgetan. Ein Gott, der sich kreuzigen lässt: was für ein Esel! Und ein noch größerer Esel, wer an einen solchen Gott glaubt! Heute wird immer häufiger abgelehnt, Gott, gerade auch den Gott, der durch Jesus seine Haltung und sein Menschenbild deutlich macht, als Maßstab für ein friedvolles Miteinander zu achten.
Vor wenigen Wochen erschien das Buch eines Würzburger Rechtswissenschaftlers mit dem Titel „Staat ohne Gott“. Er schreibt zwar, dass dies nicht heiße „Gesellschaft ohne Gott und schon gar nicht: Mensch ohne Gott“, dass sich aber der moderne, säkulare Staat „mit keiner bestimmten Religion oder Weltanschauung identifizieren darf“. Alle früheren deutschen Verfassungen seien ohne Gottesbezug ausgekommen. Doch spätestens bei dieser Aussage drängt sich die Frage auf: Was ist aus den früheren Verfassungen geworden? Im Blick auf die schrecklichen Erfahrungen im dem Dritten Reich hat der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde vor etwa 50 Jahren festgestellt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“
Damit rücken das Kreuz und die Haltung des Gekreuzigten in unser Blickfeld. Papst Franziskus ermunterte vor wenigen Tagen dazu, in schwierigen Momenten oder in Augenblicken der Erschöpfung aufs Kreuz zu schauen. So wie Jesus dem fragenden und suchenden Nikodemus den Blick weitete, so wird auch uns das Herz weit werden und wir erkennen, dass unsere Zukunft nicht allein von unserer eigenen Kraft, von unserem eigenen Vermögen abhängt. Die Schlange, an die Jesus erinnerte, sei ein Symbol für die Vergiftung des Vertrauens: für den Mangel an gleichbleibendem Mut beim Gehen auf dem Weg des Herrn.
Deshalb, so der Papst, ist der am Kreuz erhöhte Herr „der Schlüssel zu unserem Heil, der Schlüssel zu unserer Geduld auf dem Weg des Lebens, der Schlüssel, um unsere Wüsten zu überwinden.“ Franziskus ermutigt: „Auf das Kreuz schauen! Auf den gekreuzigten Christus schauen. … Schau auf IHN. Schau auf die Wunden. … Durch diese Wunden sind wir geheilt. Fühlst du dich vergiftet, traurig, fühlst du, dass etwas nicht stimmt in deinem Leben, dass es voller Schwierigkeiten und auch Krankheit ist? Dann schau dorthin!“
Das Kreuz ist aber nicht nur das Hoffnungszeichen für den Einzelnen, sondern auch das große verbindende Plus im Miteinander der Menschen. Es steht für den Gott, der sich in Jesus auf seine grenzenlose Liebe zu den Menschen für alle Zeit festnageln ließ. Deshalb ist die Liebe zum Nächsten – in ihren vielfältigen Formen und Möglichkeiten – die „authentischste Weise, das Evangelium zu leben“ und unverzichtbar für eine geschwisterliche und offene Gesellschaft – so Papst Franziskus. Und wenn ein Mensch – wie in der vergangenen Woche der französische Polizist Arnaud Beltrame – so weit geht, dass er sich selbst zum Austausch für eine Geisel anbietet, dann geht er – ob ihm das bewusst ist oder nicht – den Weg der Selbsthingabe Jesu.
Das Kreuz erinnert an die nicht von Menschen, sondern von Gott selbst in Jesus definierte Grundhaltung der grenzenlosen Liebe. Es verbindet Menschen untereinander – gleich welcher Hautfarbe, welcher Abstammung, welcher Ethnie, welcher Religion – und macht ihre Verantwortung füreinander und für die uns anvertraute Welt deutlich. Das Kreuz grenzt nicht aus, es ermutigt zum Einsatz für eine friedvolle Welt bei uns, in unserer Gesellschaft und über Kontinente hinweg in aller Welt, wo immer es auch von Menschen abhängt, im unmittelbaren Zusammenleben für Frieden und Zufriedenheit, für Würde und Respekt zu sorgen.
Derzeit sucht die „Initiative kulturelle Integration“ ein Symbol für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie rief am vergangen Montag die Bevölkerung auf, ein Zeichen, Bild, Foto oder Wort einzureichen, das als Symbol für kulturelle Integration und gesellschaftlichen Zusammenhang stehen könne. Ich frage mich: Gibt es ein besseres Symbol als das Kreuz?
Es ist ein starkes Zeichen, dass seit Jahrhunderten in Lohr Menschen aller Berufsgruppen, aber auch Schülerinnen und Schüler, also Menschen auf dem Weg ins Leben, sowie engagierte Menschen in der Abwehr von Gefahren wie die Feuerwehr und sogar Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten oder vertrieben wurden und sich nicht mehr in ihrem Land für ein menschenwürdiges, friedvolles und sozial gerechtes Leben einsetzen können, in der Karfreitagsprozession auf die Haltung des Gekreuzigten hinweisen. Sie alle machen deutlich: Das Kreuz gehört in den öffentlichen Raum! Und die vielen Menschen, die heute hier versammelt sind, werden aufmerksam gemacht auf die Haltung, die zum Leben führt.
Wir Christen verwenden das Kreuz nicht gegen andere. Es ist für uns Rettungszeichen. Es wird am glaubwürdigsten bezeugt durch unseren Einsatz für das Leben, für die Not von Menschen. Deshalb ist es kein Zeichen der Ab- oder Ausgrenzung, sondern des Miteinanders. Gerade, wenn Menschen in der Begegnung mit anderen Kulturen verunsichert sind, kommt es darauf an, radikale Tendenzen nicht zu verharmlosen, aber umso mehr die Gott gegebene Würde eines jeden Menschen sowie die Freiheit im Respekt voreinander zu achten.
Die Erinnerung, dass das Miteinander und die soziale Kultur wesentlich von christlich-jüdischen Traditionen geprägt sind, wird vielfach schnell abgetan. Umso mehr kommt es darauf an, dass wir Christen als Menschen erlebt werden, die dem Weg Jesu folgen und anpacken, um Not zu wenden und Leid mitzutragen.„Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“
Das ist die Haltung unseres Gottes. Das ist nicht die von Menschen gesetzte und definierte Grundlage für ein menschenwürdiges Leben und eine friedvolle Zukunft. Von daher ist es erschreckend, wenn der jugendliche Spitzenkandidat für die bevorstehende Landtagswahl für seine Partei feststellt: „Deswegen brauchen wir in Bayern … keine Scheindebatten … keinen Kulturkampf um Kreuze in öffentlichen Räumen, sondern einen starken, weltanschaulich neutralen Rechtsstaat und eine offene Gesellschaft, in der jeder Bürger nach seiner Fasson selig werden darf.“
Was ist dann das verbindende Plus, wenn das Kreuz nicht mehr an die Haltung des Gekreuzigten erinnern soll, sondern die Individualität der höchste Wertmaßstab ist?
Mit der seit Jahrhunderten gewahrten Tradition wird in Lohr gerade mit dem Schweigen während der Prozession an die grenzenlose Liebe und Menschenfreundlichkeit Gottes erinnert. Gott sei Dank lassen sich die Menschen dadurch ansprechen und haben kein Verlangen, sich bei einer „Heidenspaßparty“ mit Musik und Tanz die Zeit am arbeitsfreien Karfreitag zu vertreiben. Hier wird uns noch die Toleranz entgegengebracht, deutlich zu machen, wovon wir leben und worauf wir hoffen. Hier wird noch der Unterschied zwischen einem Gottesdienst und einer Party wahrgenommen.
Dagegen argumentiert der Bund für Geistesfreiheit im Blick auf die „Heidenspaßparty“ in München, dass die Kirchen mit ihren schrumpfenden Mitgliederzahlen und leeren Gottesdiensten „in einer säkularen und liberalen Gesellschaft … die Deutungshoheit verloren haben“ und die Politik „die Feiertagsgesetzgebung den gesellschaftlichen Realitäten anpassen“ müsse.
Die Deutungshoheit hatten im zweiten Jahrhundert andere, deshalb haben sie den römischen Soldaten Alexamenos verspottet und seinen Glauben lächerlich gemacht. Christus am Kreuz, was für ein lächerlicher Gott, total schwach und ohnmächtig, ein „Esel“ eben. Daran hat sich bis heute nichts geändert. In der Flut von teilweise niveauloser, platter Comedy, mit der uns die Medien überfüttern, begegnen wir immer öfter einer „Beleidigungskultur“, wie es der Kulturwissenschaftler Professor Gunther Hirschfelder dieser Tage in einem Interview über das Osterbrauchtum feststellte.
Umso mehr kommt es darauf an, dass wir gestärkt durch den Blick auf Jesus und seine grenzenlose Liebe zu allen Menschen, unseren Weg durchs Leben, durch den Alltag, auf die Menschen zu so zugehen, dass deutlich wird: Der Weg Jesu, der Weg der Frohen Botschaft führt selbst durch Leiden und Tod hindurch zum Leben.