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Ostersonntag in Lohr a. Main – Festlich wurde das bis auf den letzten Platzt besetzte Osterhochamt in der Stadtpfarrkirche St. Michael von der Kantorei St. Michael mit der "missa Sancti Nicolai" von Joseph Haydn gestaltet. In seiner Predigt griff Pfarrer Johannsen die Verarbeitung der Person Maria von Magdala im Film und in der Literatur auf.

Predigt Ostersonntag 2018

 

Liebe Schwestern und Brüder

 

Bibelverfilmungen gehören zu den ganz großen Höhepunkten der Filmgeschichte

 

  • Die zehn Gebote mit Charlton Heston als Mose und Yul Brunner als Ramses

  • Das Gewand mit Richard Burton und Jean Simmons

  • Der Zeichentrickfilm Der Prinz von Ägypten

  • Pier Paolo Pasolinis „Das erste Evangelium“, dem sogar die Ehre zuteil wurde, vom Vatikan als einer der ganzen wenigen Filme der Geschichte besonders empfohlen worden zu sein

  • Die Passion Christi von Mel Gibson, der ganz in Aramäisch, Herbräisch und Lateinisch gedreht wurde und wegen seiner Gewaltszenen große Aufregung hervorgerufen hat.

 

Immer können Verfilmungen von biblischen Geschichten mit viel Interessen, hohen Auszeichnungen und einem großen Publikum rechnen. Sie erzählen nicht nur die biblische Geschichte wie sie die Bücher der Heiligen Schrift berichten. Die Charaktere der Personen werden interpretiert, Freundschaft, Hass, Verzweiflung, aber auch Glaube und Hoffnung eindrücklich in Szene gesetzt. Die Schauspieler und Regisseure versuchen den so oft gehörten Geschichten neues Leben zu geben, in dem sie die Petrus, Pilatus, Judas und natürlich Maria von Magdala eine Seele geben, Emotionen in den Vordergrund stellen und ihre innere Zerrissenheit betonen. Gerade Maria Magdalena ist dabei ein beliebtes Sujet. Viele Interpretationen kreisen um sie: Die Verzweifelte, die Starke, die Liebende - seit spätestens Andrew Lloyd Webber ihr im Musical Jesus Christ Superstar mit dem Song „I don't know how to love him“ ein unsterbliches Denkmal gesetzt hat, ist ihre Liebe zu Jesus ein viel bearbeitetes Motiv geworden. War sie seine Ehefrau, die er nachdem er sie vom Weg der Prostitution gerettet hat geheiratet hat, mit der er, so eine Theorie, sogar statt zu sterben nach Indien gegangen ist und eine Familie gegründet hat. Die Beziehung Maria und Jesus enthält soviel Potential, das der Stoff immer wieder neu gedeutet und entfaltet wird. Eine Steilvorlage für jeden Autor und Regisseur. Nun schickt sich ein neuer Film an, in unseren Kinos Maria von Magdala zum Superstar der Leinwand werden zu lassen. Seit März läuft er in den Kinos und heißt einfach nur „Maria Magdalena“. Der Film will eine der lange verdrängten Frauen aus der Kreis Jesu in den Mittelpunkt stellen und präsentiert sie als die eigentliche Lieblingsjüngerin Jesu, deren Lebensgeschichte einen neuen Blick auf Jesus eröffnet, der sich stark von den männlich diktierten Evangelien unterscheiden. In einer Kritik zum Film heißt es:

 

Die junge, unangepasste Frau bricht aus der patriarchalischen Enge ihrer Familie und Dorfgemeinschaft aus (man denkt bei diesen Anfangsszenen unwillkürlich an muslimische Frauen im Nahen Osten heute), schließt sich dem Outsider Jesus an, erfährt bei ihm Achtung und Ermächtigung, erlebt ihn als Emanzipator auch der Frauen und findet durch ihn zu einer befreienden Spiritualität und einem Leben tätiger Barmherzigkeit. So ist sie am Ende nicht nur diejenige, die ihm bis in den Tod treu bleibt, sondern sie wird auch die erste Zeugin seines neuen Lebens und Predigerin eines Glaubens an Christus, der den Tod überwindet. Dabei schreckt sie nicht davor zurück, mit mächtigen Männern zu streiten – ihrem Vater, dem Bruder oder mit Petrus. Die weibliche Hauptfigur stiftet so eine schöne Sensibilität für den »liberalen« Jesus, und schenkt eine Ahnung dafür, dass ein christlicher Glaube auch heute noch möglich ist.“ EPD Filmdienst



Maria Magdalena als emanzipierte und selbstbewusste Frau, die auch Führungsverantwortung im Kreis der Jünger übernimmt. Die ehemalige Landesbischöfin von Hannover, Margot Käsmann, ist natürlich begeistert von der mutigen Frau, die Jesus liebte, an ihn glaubte und als eine der ersten begriffen hat, dass bei ihm der Tod nicht das letzte Wort hatte.

Das entspricht durchaus auch unseren heutigen Erkenntnissen über die Apostolin der Apostel. Und von daher ist der Film sicher sehenswert.
Aber ob er das Eigentliche im Leben der Maria von Magdala erkennen lässt, das ist schwierig. Maria ist die erste Osterzeugin und es ist sehr schwer Menschen unserer Zeit zu vermitteln, wie sie das wurde, was in ihr geschehen ist, dass sie erkennt.

Der Schriftsteller Patrick Roth hat in einer kleinen Novelle „Maria von Magdala am Grab“ von einer Magdalena Sekunde erzählt. Ich glaube, dass trifft es am meisten.
Er erzählt die Geschichte eines Theaterprojektes genau zum Text, den wir heute als Evangelium gehört haben. Ein unbekannt bleibender Ich-Erzähler probt mit einer jungen Darstellerin allein in einem Haus die Szene am Grab. Plötzlich verändert sich etwas in ihrem Verhalten. Sie wird immer unruhiger, ergriffener, befangener, Der Erzähler versteht die Unsicherheit nicht.

Heimlich schreibt sie ihrem Mitspieler auf ihr Textmanuskript: „Er ist hier. Er beobachtet uns.“ Der Mitspieler spürt auch, dass jemand auf der Galerie sein muss und vermutet den eifersüchtigen Ehemann der Schauspielerin, der die Probe überwacht. Es wird bis zum Ende nicht aufgedeckt, wer es war, aber der Leser spürt, da steht jemand anderes und beobachtet die beiden, schaut auf sie. Von einer Sekunde auf die anderen wird der Darstellerin der Maria Magdalena klar: Er ist da. Er sieht mich.

Und beide entdecken, dass im biblischen Text etwas ausgelassen sein muss. Tatsächlich wenn Sie noch einmal sich erinnern, dann stimmt etwas nicht. Viermal berichtet Johannes, dass Maria sich wendet. Und die beiden letzten Wendungen sind eigentlich widersprüchlich. Petrus und der andere Jünger sind weg. Maria beugt sich ins Grab und sieht zwei Engel. Da hört sie die Stimme, die fragt: Frau, warum weinst du? Sie dreht sich von den Engeln weg hin zum Eingang und sieht Jesus, so das Evangelium. Der fragt sie wieder: Warum weinst du? Wen suchst du? Sie hält ihn für den Gärtner und bittet um Auskunft, wo der Leichnam Jesu ist. Man müsste meinen, sie schaut doch jetzt Jesus an, der am Eingang steht. Aber dann kommt die Magdalenensekunde. Jesus sagt: „Maria“ Und jetzt heißt es: Sie wandte sich ihm zu und spricht: Rabbuni. Es kann gar nicht anders sein: Es muss eine Bewegung übergangen worden sein. In dem Moment wo sie den vermeintlichen Gärtner bittet: Sagt mir wo du ihn hingelegt hast“ muss sie an Jesus vorbeigegangen sein, so dass sie sich von einander abgewendet haben, sich nicht mehr gesehen haben und sie ihn jetzt im Rücken hat. Erst jetzt in diesem Augenblick schauen sie einander wieder an. Maria ist an diesem Gärtner schon vorbei gegangen, vielleicht raus ins Freie und er hat sich nicht zu erkennen gegeben. „Jetzt rufst du mich - jetzt erst“, lässt Roth seine Maria Magdalena sagen.
Sie ist an Jesus vorbeigegangen, nach draußen, hätte weglaufen können in ihrer Suche nach dem Toten, nach dem Leichnam des Menschen den sie liebt. Und er sagt nichts, schaut auch ins Grab. In diesem Moment sind sie völlig von einander abgewandt. Für ein paar Sekunden passiert die eigentliche Österliche Wendung: Sie drehen sich einander wieder zu: Gott und Mensch sehen sich wieder an. So einfach und so schnell geschieht Ostern.

Wir sind aneinander vorbeigelaufen, haben ihn nicht mehr gesehen, uns abgewandt, nicht weil wir nichts von Gott wissen wollten, sondern weil wir ihn nicht mehr gesehen haben, im Dunkel, in der Trauer, im Leid, im Erschrecken, in der Konzentration auf das Böse und Ängstmachende. Und er hat uns gehen lassen in unserer falschen Suche nach dem Tod. Dann aber ruft er mit Namen, wie bei der Taufe und in dieser einen Sekunde schauen wir uns wieder an, sehen wir mit verweinten Augen voller Tränen: Er ist da. er beobachtet uns. Er schaut uns an.


Liebe Schwestern und Brüder

ich finde das Bild von der Magdalenensekunde einen wunderbaren Schlüssel für die Ostererfahrung auch des heutigen Glaubenden Menschen. Wie oft laufen wir an Gott vorbei in unserem Alltag und in unserer Trauer, in unseren Zweifeln und in unseren Fragen. Wie oft suchen wir die Todeszeichen und übersehen die Lebensspuren. Wir sind noch in der Wirklichkeit des Todes verhaftet und gehören doch eigentlich dem Leben. Und oft genug erscheint uns Gott fremd. Keiner der biblischen Zeugen hat nicht auch die Nacht des Glaubens, die Gottesfinsternis durchmachen müssen, in der er sich scheinbar von uns abgewandt hat. Es ist Teil unseres Glaubensleben, dass wir das Gefühl haben, dass Gott uns den Rücken zukehrt, dass er uns warten lässt bis er sich zu erkennen gibt. Jetzt erst rufst du mich, sagt die Maria Magdalena bei Patrick Roth. Jetzt wo ich schon fast weg war von dir, auf dem Heimweg, auf der Flucht vor dir, gibst du dich zu erkennen. Da steckt auch Trost für uns Suchenden und Fragende. Manchmal zeigt sich Gott spät, aber niemals zu spät.


Sicher hilft ein Film über das Leben der Osterzeugin Maria Magdalena um die Anfänge der Kirchengeschichte besser zu verstehen, um ihre große Bedeutung für das frühe und auch heutige Christentum zu entdecken und um das mit vielen Verzerrungen überfrachtete Lebensbild dieser Frau wieder von falschen Vorurteilen und Legenden freizumachen.

Wer aber in ihr eine Hilfe für den Glauben sucht, der braucht keine Filmlänge, sondern eine Magdalenensekunde, den einen Augenblick, in dem wir uns umwenden vom Vorbeigehen an Gott hin zum Erkennen. Das ist Ostern, eine Sekunde, ein Augenblick, der doch ein ganzes Leben mit Zuversicht und Hoffnung füllt.

Er ist da. Er sieht uns“

 

 

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