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Predigt 6. Sonntag im Jahreskreis C

Ist Jesus unser schlimmster Kritiker?“

6_Jesus_unser_Kritiker_22.pdf

Liebe Schwestern und Brüder,

 

ich darf Ihnen vorstellen: Die Hauptakteure auf der Bühne unseres täglichen Kampfes mit uns selbst, unsere inneren Kritiker. (vgl. Jochen Peichl; Rote Karte für den inneren Kritiker; München 2014) In der Regel sind es nicht die Chefs, Ehepartner, Familien, Lehrer, Freunde, die am meisten an uns auszusetzen haben, sondern wir selbst und die Gedanken, die wir uns über uns machen. Den Reigen eröffnet der Kontrolleur, jener Typ in unserem Kopf, der mit verschränkten Armen uns immer wieder warnt, nicht die Kontrolle über uns und unser Leben zu verlieren, uns nicht gehen zu lassen oder hinreißen zu lassen zu peinlichen Gefühlsausbrüchen. Er hat gleichsam unser inneres Regelwerk fest in den Händen. Ihm zur Seite steht der Perfektionist, der uns hinterfragt, ob wir wirklich alles, was wir vorhaben, richtig durchdacht, geplant und organisiert haben. Er will uns überzeugen, dass wir nur okay sind, wenn wir möglichst fehlerfrei sind. Der Perfektionist ist die Sicherheitsabteilung in unserem Kopf. Ihren natürlichen Partner findet das Team „Vorsicht“ im inneren Antreiber, der uns einredet, dass immer noch etwas mehr geht, dass ich noch mehr erreichen könnte, wenn ich mich mehr anstrenge. Sein Prinzip lautet: „Beeil dich, um nichts zu verpassen.“ (Peichl 21). Er bringt uns in Versuchung, hektisch zu werden und Stress heraufzubeschwören. (Ich kenne den Herrn sehr gut) Die drei von der „Druckabteilung“ werden schließlich ergänzt vom „Allen-Rechtmacher“. Wir wollen ja beliebt sein und das geht nur, wenn wir nicht immer zu allem „nein“ sagen, sondern die Erwartungen anderer an uns erfüllen. Wahrscheinlich sorgt er für unsere Nackenschmerzen, denn seine Lieblingsgeste ist das Kopfnicken. Dieses Kritikerteam in unserem Kopf wird überboten von einem ganz fiesen Typ, dem „Be- und Verurteiler“. Er hat eigentlich das Urteil über uns schon gesprochen: „Du bist schuld.“ „Du bist nicht gut genug.“ „Dich kann man nicht lieben.“ „Du machst alles falsch.“ „Du kannst das nicht.“ Mit ihm im Bunde können aus den Herrschaften, die uns helfen unser Leben zu beherrschen, Despoten unseres Lebens werden, die uns jegliche Freiheit und Freude am Leben nehmen. Dieser innere Richter, der dunkle Herrscher, dessen Kraft mit jedem Tadel, jeder Infragestellung und Zurückweisung seit Beginn unseres Lebens wächst, ist für viele Psychotherapeuten eng mit religiösen Vorstellungen verbunden.

Stellt der Glaube nicht Forderungen an uns, die wir niemals erfüllen können? Will er uns eine ideale Gestalt unseres Ichs an die Wand malen, die so perfekt, so gut, so rein ist, dass sie uns schlichtweg immer scheitern lässt? Dann hat der innere Richter leichtes Spiel, wenn er uns beständig verurteilt als „sündige, böse und schwache Menschen, die dem Ideal nie gerecht werden. Ist vielleicht Jesus unser schlimmster Kritiker, der innere Richter, der dunkle Beherrscher unseres Selbstbewusstsein, der uns zu Sklaven der Unzulänglichkeit macht? Nicht wenige Menschen haben das so gesehen und viele Zeitgenossen würden diese Meinung auch heute teilen. Die Forderungen Jesu an den Menschen sind so groß und unerreichbar, dass wir gar nicht anders können als zu scheitern und uns minderwertig, schlecht und schuldig zu fühlen.

In den Forderungen der Bergpredigt bei Matthäus und der Feldpredigt des Lukas wird dieses Dilemma auf die Spitze getrieben. Wenige Sätze nach den Seligpreisungen wird Jesus im Matthäusevangelium fordern: „Seid vollkommen, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ (Mt 5,48)

Das schaffe ich niemals!!!

Sind nicht die Seligpreisungen und Weherufe, wie sie Lukas uns heute in der Feldrede überliefert, solche Messlatten, die viel zu hoch liegen? Wie Matthäus in seiner Bergredigt sammelt Lukas in der Feldrede (Lk 6) grundsätzliche Bedingungen und ethische Verhaltensanforderungen für ein Leben in der Nachfolge Jesu. Schon Otto von Bismarck, obwohl ein strenger Protestant, hat festgestellt, dass man damit keine Politik machen kann. Also gelten sie nur für den privaten Bereich, für mein persönliches Leben und nicht für die Öffentlichkeit. Das heißt übersetzt, um selig zu werden, muss ich arm sein, hungern, trauern und gehasst werden. Wer will das schon? Selbst Ordensleute werden nicht behaupten können, dass sie gänzlich arm sind. Auch wenn sie nichts persönlich besitzen, haben die Orden doch ausreichend Möglichkeit, jeder Ordensfrau, jedem Ordensmann ein Zimmer mit Bett und ein warmes Essen zu garantieren. Dann aber ist man schon nicht mehr arm. Selbst die Brüder des Heiligen Franziskus, der „nackt dem nackten Christus“ folgte, wurden irgendwann gezwungen, zumindest als Orden Eigentum zu besitzen. Zum anderen darf man Not nicht vergeistigen: Armut ist ein Schicksal, kein erstrebenswertes Ziel. Stellt Jesus hier unmögliche Hürden für das Reich Gottes auf, die wir gar nicht überspringen können und somit uns immer als Verlierer fühlen müssen?. Gerade Lukas gibt uns Hinweise, dass das nicht seine Absicht ist. Zwei Details helfen, um besser zu verstehen, was ihn bewegt, diese Worte Jesu so prominent in seinem Evangelium zu platzieren.

Zum einen richtet sich Jesus nicht an eine geistliche Elite, die Jüngerschaft, sondern an das Volk, das auserwählte Volk Israel, das vom Süden (Judäa) und vom Norden (Tyrus und Sidon) kommt, nicht um neue Gesetze zu empfangen, sondern um Heilung und Gesundung zu erleben. Vorausgehen bei Lukas Krankenheilungen und die Austreibung von Dämonen. Diese Erfahrungen einer neuen heilvollen Wirklichkeit macht das Volk erst aufnahmebereit für Jesu Worte. Es geht nicht um Gesetzgebung, sondern um Heilung der Herzen und Sieg über die Dämonen, die den Menschen unterworfen haben. Dazu gehören auch die übermächtig gewordenen inneren Kritiker. Jesus stärkt nicht die, die uns im Innersten klein machen, sondern macht uns groß, gerade in schwierigen Erfahrungen unseres Lebens, damit wir ihnen nicht unterliegen. Sie sind die Dämonen, die er bezwingt. Wer auf sein Leben schaut, sich mit anderen vergleicht und fragt, was doch alles möglich gewesen wäre, der wird sehr schnell unzufrieden und niedergeschlagen. Aber Jesus preist gerade die Menschen, die auf nichts stolz sein können, weder auf ihren Besitz, ihren Luxus, ihr Glück noch auf gute Beziehungen und Freundschaften. Alles, was Jesus hier benennt, sind ja Maßstäbe, die uns nach außen hin als Verlierer erscheinen lassen. Die Gegenseite aber birgt die Gefahr der Abhängigkeit von Erfolg und materiellen Dingen in sich. Jesu Worte sind nicht Forderung, sondern Einladung, auch ein Leben mit Erfahrungen des Scheiterns als beste Voraussetzung für das Heil zu sehen. Wir müssen uns nicht an Titel, Besitz, Ehrungen o.ä. messen lassen. In einem Leben kann, aus welchen Gründen auch immer, vieles schief gehen und doch war es kein verlorenes Leben. Das wird sich erst am Ende offenbaren.

Zum anderen ist es das Wort, das Jesus als Lob verwendet: „makarioi.“ Wir übersetzen es meist mit „selig“, aber das ist viel zu fromm gefüllt. Es geht nicht um ein Versprechen künftiger Seligkeit im Himmel als einer Art Vertröstung für bessere Zeiten. „Makarios“ meint „glücklich“ hier und jetzt in dieser Welt. Es ist kein Zuspruch, sondern Ansage von Glück, das erfahrbar wird. Das geht aber wohl gänzlich an der Wirklichkeit vorbei. Heute ist Glück ganz anders gefüllt: Besitz, Ansehen, Luxus, Macht u.v.m. Letztlich ist das im Blick auf das persönliche Lebensschicksal wirklich so. Sehr wohl kann jemand arm und dennoch glücklich sein. aber keiner ist glücklich, weil er arm ist. Das wäre ein gewaltiges Missverständnis, weil es ein Desinteresse am Menschen in Not legitimieren würde. Dieser Stolperstein kann vielleicht die Augen öffnen für die Adressaten der Seligpreisungen: Die Gemeinde der Jünger Christi. Weder sind die Worte Jesu eine allgemeine staatliche Gesetzgebung, noch eine Vertröstung von einzelnen Leidenden. Sie sind Einladung an seine Gemeinde, die Atmosphäre der Reiches Gottes schon für Menschen in Not spürbar zu machen. In der Kirche, in Jesu Gemeinde sollen Menschen nicht bewertet werden nach äußeren Kriterien. Willkommen ist jeder, der bei Gott Heil sucht, unabhängig von seinem Besitz, von seiner Herkunft, von seiner Hautfarbe oder seinem Lebensschicksal. Ganz im Gegenteil sollen in ihr gerade die Benachteiligten und Gescheiterten einen Ort finden, in dem sie nicht ausgegrenzt und abgewertet werden. Hier zählt nicht, ob ich immer perfekt war, welche Leistungen ich vorzuweisen habe und ob ich viel spenden kann, hier sollen Reiche und Arme, Glückliche und Traurige, Einfache und Schwierige miteinander zusammenleben können. Das ist natürlich eine Vision. Auch als Gemeinde sind wir nicht perfekt, aber wir können immer besser werden. Jesus ist nicht unser schlimmster Kritiker, er ist der, der ermutigt, eine neue Form des Zusammenlebens zu wagen, weil wir in ihr schon das Reich Gottes erfahren, das mit ihm begonnen hat. Amen.

Sven Johannsen, Lohr

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