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Predigt Pfingsten 2022 „Explosion des Guten“

 

(Explosionsgeräusch über Lautsprecher)

Liebe Schwestern und Brüder

Welche Bilder verbinden Sie mit diesem Geräusch?

 

Die Rauschschwaden über Mariupol und anderen ukrainischen Städten nach den Einschlägen von russischen Raketen und Bomben. Explosionen, die aus Kulturstätten Trümmerfelder machen.

Die Schüsse des Amokläufers an der Grundschule in Uvalde in Texas. Ein normaler Schultag der zum Todes- und Trauertag werden. Überall hört man kleine Explosionen von Munition und das Klirren von Fenstern?

Das Chaos in Jerusalem während der Beisetzung der Journalistin Abu Akle, einer Christin, die durch eine Kugel aus der Waffe eines israelischen Polizisten getötet wurde. Während des Trauerzuges eskaliert die Situation: Steine fliegen, Schlagstöcke donnern auf Menschen ein, Blendgranaten fliegen durch die Luft. Der Sarg fällt zur Erde, Fensterscheiben bersten, Läden werden zertrümmert.

 

Explosionen sind schon längst nicht mehr nur Naturphänomene. Während der Vesuv seit 1944 mehr oder weniger ruhig bleibt, richtet der Mensch ununterbrochen Eskalationen der Zerstörung an. Explosionen sind Auslöser von Unglücken wie jetzt vor wenigen Tagen in einem Bergwerk in Kolumbien, bei dem 14 Bergleute eingeschlossen wurden, oder Gasexplosionen in Haushalten, die uns immer wieder erschrecken. V.a. aber sind sie gewollte Akte der Gewalt und des Auslöschens von Leben, Kultur und Heimat von vielen Menschen. Explosions-geräusche sind zum Tinnitus der Menschheit geworden und sie machen krank, weil sie Leid, Zerstörung und Tod ankündigen. Wenn die Rauchschwaden sich verziehen, dann sehen wir Trümmer und Gräber

 

Andererseits kann in unserem Sprachgebrauch auch die Natur explodieren, wenn sie jetzt im Frühjahr zu einem Siegeszug der Farben ansetzt. Nicht nur Preise können explodieren, sondern auch die Nachfrage, z.B. nach neuen Energielösungen oder nach deutschem Gouda-Käse in Fernost, wie vor kurzem zu lesen war. Kreativität kann explodieren und neue Idee können eine Sprengkraft haben, die eingefahrene Muster und Grenzen im Denken aufbrechen.

Letztlich ist eine Explosion ein normaler physikalisch-chemischer Vorgang. „Im Allgemeinen wird ein Vorgang als Explosion bezeichnet, wenn in sehr kurzer Zeit eine sehr große Energiemenge freigesetzt wird, in Form eines starken Temperatur- und Druckanstiegs, der zu einer starken Volumenvergrößerung führt, also Materie beschleunigt.“ Das Ergebnis ist also nicht per se Zerstörung, sondern die Freisetzung von Energie. Vorausgeht ein Anstieg von Druck, der die Grenzen des Bisherigen zum Bersten bringt.

In dieser Definition hat auch der Geist Jesu explosive Kraft. Er schlägt durch, wo Strukturen, Situationen, Haltungen nicht mehr tragbar sind und der Druck so steigt, dass er alles nach Veränderung schreit. Nicht nur Kriegsherren können Explosions-wellen freisetzen, auch der auferstandene Herr vermag es durch den Geist, das Energie- und Kraftpaket Gottes.

 

Zweimal wird uns heute das Kommen des Geistes erzählt, im mit den eindrücklichen Bildern von Feuer und Sturm illustrierten Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte und in der eher intimen Darstellung des Johannesevangeliums. Beim ersten Hören scheinen die Texte sich zu widersprechen. In Wirklichkeit beleuchten sie das Ereignis der Explosion des Lebens durch den Geist Gottes von zwei Seiten. Während Johannes die Innenperspektive der Geisterfahrung im sonntäglichen Gottesdienst der frühen christlichen Gemeinden schildert, öffnet Lukas die Gabe des Geistes für die Außenperspektive, die missionarische Kraft der jungen Gemeinde. Beide Perspektiven, „Innen“ und „Außen“. sind wichtig. Johannes stellt uns den Ur-Moment der Geisterfahrung, das gemeinsame Gotteslob, vor. Lukas erinnert uns, wohin uns der Geist führen will, zu den Menschen und zur Welt, denen die frohe Botschaft verkündet werden soll.

Nähern wir uns über die Sichtweisen des Lukas und des Johannes dem explosiven Feueratem Gottes und schauen, was der Geist sprengt und freisetzt.

 

  1. Das Kommen des Geistes ist eine Explosion des Hörens

Die Jünger im Bericht des Lukas hören das Brausen des Windes. So kündigt sich der Geist an. Hier kling die Erfahrung des Propheten Elia an, der am Berg Horeb Gott begegnen durfte. Erdbeben, Gewitter, Sturmböen erheben sich, aber Elija, der vierzig Tage mit Wut und Unverständnis durch die Wüste gelaufen ist, hört in ihnen Gott nicht. Erst ein leises Säuseln des Windes öffnet die Ohren seines Herzens für Gottes Gegenwart und er kann erzählen, was ihm auf dem Herzen liegt, was ihn unsicher und ratlos macht. Er kann die Frage vor Gott bringen, warum er ihm scheinbar in der tiefsten Krise nicht geholfen hat. Als all die lauten Stimmen der Wut, des Zorns, der Angst und des Zweifelns mit ihrem Geschrei verstummt sind, kann er die leise Stimme Gottes hören, die eigentlich immer zu ihm gesprochen hat. Was haben die Jünger bisher gehört? Sie haben Jesu Verheißung gehört, dass er sie nicht allein lässt. Sie haben die Worte der Männer bei der Himmelfahrt gehört, dass sie nicht sehnsüchtig in den Himmel starren sollen, denn Jesus wird wiederkommen. Oder haben sie nicht vielleicht auf die ganz anderen Stimmen gehört, die in ihrem Herzen geschrien haben, dass sie wieder ganz allein dastehen, dass Jesus sich aus dem Staub gemacht hat und sie hier zurück lässt, dass Gefahr droht, wenn sie sich zu ihm bekennen und ihnen niemand mehr helfen kann, wenn die Gegner einmal losgelassen sind?

Was hören wir in unserer Zeit? Leider viel zu selten von der Freude am Glauben und zu oft von Problemen und Klagen. Sind nicht auch in uns die Stimmen mächtig, die uns für verrückt halten, dass wir noch in dieser Kirche sind, dass wir „das System stützen“, das sich nicht verändern wird. Wie laut sind die Worte der Freunde und Familienangehörigen, die in uns nachklingen und uns drängen, endlich einen Schlussstrich zu ziehen, den Rücken zu kehren und endlich sich davon zu machen?

Oder hören wir noch die Worte des Auferstandenen: „Friede sei mit euch!“ Friede ist in diesem Gruß nicht das Glück, in einem sicheren Land und nicht in der Ukraine, in Israel oder einem Krisengebiet der Erde zu leben. Friede ist immer Shalom, Wohlergehen, eine innere Stimmigkeit, Ausgeglichenheit in einer Welt, die aus den Fugen gerät, und einem Leben, das von Unwägbarkeiten bedroht ist. Shalom, Friede sei mit euch, wenn ihr Halt findet im Glauben an den Auferstandenen, der das Dunkel überwunden und den Sieg des Lebens verkündet hat.

Der Geist bringt die überdrehten Schreie des Zweifels und der Angst zum Schweigen und öffnet die Ohren unseres Herzens für die Stimme des Auferstandenen: „Fürchtet euch nicht. Friede sei mit euch.“

 

  1. Das Herabkommen des Geistes ist eine Explosion des Sehens

Lukas und Johannes stimmen überein, wenn sie den Blick der Jünger vor dem Kommen des Geistes sehr begrenzt darstellen. Sie sehen nur noch Mauern. Sie haben sich zurückgezogen und die Türen verschlossen. Ein Blick nach draußen ist nicht möglich und nicht gewollt. Man sieht nur noch die sichere Zuflucht und sich selbst.

Durch das Kommen des Geistes sehen die Jünger im Johannesevangelium Jesus in ihrer Mitte. Der Auferstandene ist der Mittelpunkt des Gottesdienstes und der Gemeinde, um ihn dreht sich alles, nicht um die Ängste und Befürchtungen der Jünger im Angesicht der schwierigen Situation, in denen sie als Minderheit stecken. Johannes erinnert daran, was Christen, wenn sie zusammenkommen zuerst und v.a. sehen: Jesus ist die Mitte, der Auferstandene ist unter ihnen und versammelt sie. Der Geist sprengt Fixierungen im Sehen wie wir sie auch im Augenblick erleben. Wir sehen auch in unseren Gottesdiensten nur noch das Beklagenswerte: die Probleme der Kirche in unserem Land und in unseren Tagen, Kirchenkrisen, Schlagzeilen, Entfremdungen und Streit. Noch schlimmer wir schauen auf das, was wir nicht sehen: fehlende Familien, Jugendliche und Kinder. Nur nebenbei bemerkt: Es fehlen auch viele Ältere. Dabei sehen wir oft nicht mehr, wer da ist und mit welcher Freude Menschen jeden Alters da sind, weil sie spüren, dass der Auferstandene in unserer Mitte ist. Wir sind mitunter betriebsblind geworden, d.h. für mich, dass unser Blick verstellt wird von Bildern vor der Pandemie und nicht mehr erkennen kann, mit welcher Freude Menschen mit uns den Sonntag feiern. Tertullian hat vor mehr als 1800 Jahren gesagt: „Den Sonntag überlassen wir der Fröhlichkeit“ Das Frohe sehen, wenn ich heute Morgen den Gottesdienst feiere, dazu sprengt der Geist meinen begrenzten und eingeengten Blick und lässt mich weiter sehen und tiefer erkennen.

 

  1. Die Kraft des Geistes bewirkt eine Explosion des Redens

Ein Sprachwunder ist die Wirkung des Geistesgeschenk in der Apostelgeschichte. Plötzlich beherrschen die Jünger Fremdsprachen. Da könnte mancher Spötter behaupten, dass das eine echte Geschäftsschädigung für alle Sprachschulen und Wörterbuchverlage ist. Klingt etwas unglaubwürdig. Aber vielleicht verlangt Lukas von uns so eine extreme Vorstellung gar nicht. Die Menschen aller Zungen und Kulturen können die Jünger verstehen. Kann das nicht auch heißen, dass sie jetzt mit ihrem Zeugnis die Herzen erreichen und nicht mehr an den Grenzen des Verstandes abgeblockt werden. Die entscheidende Veränderung ist doch nicht ein Wechsel im Bildungsgrad, sondern dass ängstliche, furchtsame Jünger jetzt zu mutigen und mitreißenden Verkündiger werden. Sie sprühen Begeisterung aus. Möglicherweise haben die Menschen in Jerusalem gar nicht jedes Wort verstanden, aber sie haben gespürt, dass da Menschen vor ihnen stehen, die etwas zu sagen haben, die Hoffnung machen und von mehr reden als nur den Vorschriften und Regeln, die es einzuhalten gilt, um ein guter Jude zu sein. Wenn im Johannesevangelium Jesus im Mittelpunkt steht, dann ist dort kein Platz für Lehren, Katechismen und moralische Vorschriften. Die Jünger, die vom Geist ergriffen sind, reden nicht von klugen Lehren, sondern sprechen von ihrer Erfahrung mit Jesus und davon, wie sie sein Evangelium ergriffen und verändert hat.

Wenn die Kirche wieder Gehör finden will, dann sicher nicht durch Strategie-konzepte, mit denen sie ihre wegbrechenden Einnahmen kompensieren wollen, sondern mit dem Erzählen von den Erfahrungen, die Menschen mit Jesus als dem Auferstandenen gemacht haben und noch immer machen.

Der Geist sprengt unsere einstudierten Sätze und klugen Formeln auf und lässt uns einfache, aber glaubwürdige Worte finden, die Menschen erreichen, die müde und gleichgültig geworden sind, an ihrem Leben oft schwer tragen und sich nach Hoffnung sehnen.

Liebe Schwestern und Brüder

Manchmal bewirkt der Geist keine große Explosion in uns und unserer Welt. Manchmal ist er vielleicht nur eine zündende Idee, ein Funke, der überspringt, oder eine Freude, die ansteckt. Immer aber bleibt er eine Energie, die sich allen Kräften widersetzt, die Lebensmöglichkeiten erkalten, einschläfern oder gar absterben lassen wollen. Er ist das Feuer des Auferstandenen, das wir seit der Osternacht in unserer Kirche bewahren, und das aus dem Stein geschlagen und im Wasser der Taufe entzündet allem standhält, was es auslöschen möchte. An Pfingsten beten wir „Komm Heiliger Geist, entzünde in uns das Feuer deiner Liebe”, das die Langeweile tötet und den routinierten Betrieb bloßstellt. Lass‘ in Flammen aufgehen, was leeres Stroh geworden ist, verholzt, die Berge von Papier, die die Kirche bedecken ... Entfache das Feuer in uns, die geistliche Energie. So ruft es die Kirche in einem ihrer schönsten Gesänge, dem Pfingsthymnus „veni creator spiritus“, „komm, Schöpfer Geist, kehr bei uns ein“ des Rabanus Maurus aus dem 9. Jahrhundert:

Accende lumen sensibus,

infunde amorem cordibus,

infirma nostri corporis

virtute firmans perpeti.

 

 Zünd an in uns des Lichtes Schein,

gieß Liebe in die Herzen ein,

stärk unsres Leibs Gebrechlichkeit

mit deiner Kraft zu jeder Zeit.

 2022_Explosion_des_Geistes3769.pdf

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