Predigt 16. Sonntag im Jahreskreis C
„Kirchliche Gastfreundschaft für Christian Lindner?“
Liebe Schwestern und Brüder
Sie müssen mir bei einer wichtigen Entscheidung helfen. Karl Lauterbach, der Bundesgesundheitsminister, möchte in unserer Kirche seine neue Lebensgefährtin heiraten. Sollen wir das zulassen? Bekanntlich ist Karl Lauterbach ja schon vor Jahren aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Kann er dann für seinen Ehebund den kirchlichen Segen erwarten?
Natürlich ist diese Vorstellung frei erfunden. Zum einen weiß ich gar nicht, in welchem Beziehungsstatus Herr Lauterbach steht. Zum anderen dürfte es andere Gotteshäuser geben, die eher in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten, z.B. die St. Severin-Kirche in Keitum auf Sylt. Diese Kirche auf der Prominenten-Ferieninsel erlangte ja in den letzten Tage eine nationale Bekanntheit, weil dort der Bundesfinanzminister Christian Lindner und die Journalistin Franca Lehfeldt mit dem Segen der evangelischen Pfarrerin geheiratet haben. Beide sind kirchlich nicht gebunden. Seit dem ist eine heiße Diskussion entbrannt, ob diese kirchliche Feier für zwei bekenntnislose Menschen ein Zeichen der Gastfreundschaft oder eine reine Show war?
Heftig kritisiert hat Margot Käsmann in der Bild-Zeitung die Feier in der Keitumer Kirche. Sie verwies auf die Bedeutung von Kirchen als „durchbetete Räume“, in denen Menschen über Jahrhunderte Freud und Leid vor Gott bringen. Darum ärgert es sie, dass die Kirche nun als Kulisse für die romantische Inszenierung zweier Menschen herhalten muss, die erklärt haben, dass sie sich nicht als Christen verstehen. Dafür sollte sich die Kirche nicht hergeben, so die Theologin und Autorin.
Anders sieht es der evangelische Bischof von Schleswig und Holstein, Gothart Magaard. Er gibt zu, dass es gegen die kirchliche Rechtsordnung verstoße, wenn beide Ehegatten nicht kirchlich sind, rechtfertigt aber die Ausnahme mit der Begründung: „Es ist etwas Wunderbares, wenn sich zwei Menschen den Segen Gottes zusprechen lassen wollen"
(vgl. https://www.domradio.de/artikel/theologin-kaessmann-kritisiert-lindners-trauung-kirche)
Es bleibt offen, ob der Bischof diese große Freude nur im konkreten Fall von Herrn Lindner und Frau Lehfeldt mit ihrem Prominentenstatus verspürt oder ob es eine generelle Haltung ist, was aber die Frage aufwirft, warum es dann überhaupt noch eine Regelung braucht. In jedem Fall bleibt ein Nachgeschmack und der Verdacht, dass hier mehr dem Amt des Politikers gehuldigt und weniger Gott die Ehre gegeben wurde.
Andererseits stellt sich die Frage, ob die Gastfreundschaft nicht auch eine biblische Tugend ist. Gepriesen wird sie an vielen Stellen, so z.B. im Herbäerbrief: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ (Hebr 13,2) Der Text nimmt direkt Bezug auf die Erzählung der ersten Lesung. Abraham erkennt nicht, wer die drei Männer sind, die da vor seinem Zelt auftauchen, aber er weiß, dass sie hungrig und durstig sein müssen nach einer Wanderung in dieser trockenen Gegend am Rande der Wüste. Er lädt sie ein und tischt auf, ohne nach ihrer Identität oder gar ihrer Religion zu fragen. Es ist die selbstverständliche Gastfreundschaft der Nomaden, die hier vom Urvater des Glaubens praktiziert wird und die sich für Abraham und Sara als große Überraschung erweisen wird. Die Gäste werden von ihnen bewirtet, sie aber werden von den Gästen, drei Engel Gottes, beschenkt mit der Verheißung, einen Sohn zu bekommen. Gewährte Gastfreundschaft ist oft auch mit der Erfahrung verbunden, selbst beschenkt zu werden. Von daher fordert Paulus auch zum geistlichen Gewinn der Getauften: „gewährt jederzeit Gastfreundschaft!“ (Röm 12,14)
Gibt es aber für diese Gastfreundschaft nicht Grenzen? Ist es nicht schon ein schönes Zeichen, wenn Gemeinden ihre Pfarrheime für Feiern auch von nichtkirchlich gebundenen Menschen zur Verfügungen stellen? Müssen wir sie auch noch in die Kirchen lassen? Wo ist die Grenze zwischen Gastfreundschaft und Selbstverleugnung?
Das Evangelium des heutigen Sonntags könnte hier eine Hilfe bieten. Manche Zuhörer stören sich an der scheinbaren Abwertung des Dienstes des Marta durch Jesus: „Maria hat den besseren Teil erwählt. Der soll ihr nicht genommen werden.“ Vielleicht hilft es, den Horizont von geschwisterlicher Konkurrenz zu verlassen und einmal allegorisch die Frauen zu deuten. Dann könnte Marta vielleicht für die vielen engagierten Haupt- und Ehrenamtlichen in der Kirche stehen, die sich mühen und organisieren, um das Haus Gottes und die Gemeinde ansprechend und einladend zu gestalten. Für mich ist Marta das Urbild des Engagements in der Kirche. Maria aber könnte dann die Schwester sein, die nicht in Gremien und Teams tätig ist, möglicherweise mit dieser Gemeinschaft auch gar nichts zu tun haben möchte. Aber sie zeichnet sich aus durch ihre Bereitschaft, sich Jesus zu Füßen zu setzen und seinen Worten zuzuhören. Der Austritt aus der Kirche ist oft auch ein Bruch mit dem Glauben, aber eben nicht in jedem Fall. Es gibt Menschen, die auf Distanz zur Institution gehen, aber dennoch in Gotteshäusern eine Tür zur Begegnung mit Christus suchen und hier den Ort finden, an dem sie dem „Mehr und Größerem“ des Lebens auf die Spur kommen. Von daher verbietet es sich in meinen Augen, rigoros die Türen zuzuschlagen für Menschen, die nicht mehr offiziell zur Kirche gehören. Ebenso aber ist es entscheidend, dass wir nicht uns für billige Schauspiele hergeben und zur Kulisse für Feiern werden, die keinen tieferen Bezug zum Schöpfer haben. Wir spüren als Seelsorgerinnen und Seelsorger aber schnell, ob Eltern, die keine kirchliche Bindung haben, ihr Kind zur Taufe bringen, weil sie einen Anlass für eine Familienfeier brauchen oder weil sie doch in der Tiefe ihres Herzen ahnen, dass ihr Kind ein Geschenk Gottes ist und sie ihm zum Dank verpflichtet sind. Wir spüren, wenn zwei jungen Menschen kommen, um den Bund der Ehe zu schließen und sie dabei einfach nur der Wunsch leitet, bei den besten Entertainern zu buchen, oder ob sie ein Wort des Segens brauchen für ihren gemeinsamen Lebensweg. In vielen Situationen sind wir heute als Vertreterinnen und Vertreter der Kirche vor der Herausforderung, Grenzen zu ziehen, weil unsere Kirchen als Kulissen für Hochglanz-Events missbraucht werden, oder Türen zu öffnen, weil Menschen an entscheidenden Wendepunkten ihres Lebens nach einer Deutung aus der größeren Perspektive Gottes suchen, ganz dem Beispiel der Maria im heutigen Evangelium folgend. Wir leben in keiner Schwarz-Weiß-Welt, sondern in einer Welt vieler Schattierungen. In diesem Sinne ist die kirchliche Trauung von Lindner und Lehfeldt "ein Zeichen unserer Zeit" (Detlev Pollack). Die Mehrheit der Menschen ist mittlerweile kirchenfern, will aber auf den Segen Gottes nicht verzichten. Unsere Aufgabe ist es die Ernsthaftigkeit dieses Wunsches zu prüfen und nicht einem Fetischglauben zu dienen. Das gilt nicht nur bei Trauungen und Taufen, sondern auch im Blick auf Erstkommunion, Firmung und Beisetzungen. Schon oft habe ich erlebt, dass wir z.B. mit den Eltern von Kommunionkindern auch einen Glaubensweg gegangen sind. Menschen, die vorher scheinbar nur eine schöne Feier für ihr Kinder wollten, haben den Weg zu Gott und in die Kirche gefunden und engagieren sich auch heute noch in der Gemeinde. Hätten wir im Vorfeld bereits mit Überforderung die Familien vor den Kopf gestoßen, wären Türen geschlossen worden, die nie wieder offen gestanden hätten. Ich denke, dass wir in den kommenden Jahren noch oft mit solchen „Skandal“-Ereignissen mit mehr oder weniger öffentlichem Interesse konfrontiert sein werden. Es wäre gut, wenn wir dann klug und kosequent, aber nicht zu streng entscheiden, denn die Gefahr ist groß, dass wir so Menschen den Weg zu Gott verstellen. Amen. Sven Johannsen, Lohr