Predigt 22. Sonntag im JK C - „Die Berge lehren uns die Demut der Bodenhaftung“
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Liebe Schwestern und Brüder
Berge oder Strand? Was für ein Urlaubstyp sind Sie? Ich optiere eindeutig für die erste Wahl und gestehe, dass ich v.a. in Südtirol sehr gerne Urlaub mache. Das Lebensgefühl in schönster Verbindung von Österreich und Italien, die Sehenswürdigkeiten, Burgen und Kirchen einer Region, die über die Jahrhunderte ein Zentrum europäischen Kultur war, und natürlich die Landschaft, v.a. die Berge.
Die Berge lehren uns Demut: Ihre Erhabenheit, ihr Alter, ihre Größe. Sehe ich hinauf zur Texelgruppe, zum Ortler oder zum Rosengarten spüre ich als Mensch wie klein und überschaubar doch mein Leben ist. Sie stehen da als Zeugen der Ewigkeit, während wir Menschen um Tage und Stunden kämpfen. Sie fordern uns heraus, sie zu besteigen, oben auf dem Gipfel zu stehen und Weitsicht zu gewinnen. Sie lehren uns Demut durch ihr Alter, durch ihre Größe, durch die Anstrengung, die es uns kostet, sie zu begehen. Es ist keine Demut im Sinne eines Eingeständnisses, dass ich und mein Leben unbedeutend sind. Sie senden auch nicht die demütigende Botschaft: „Das kannst du nicht!“ „Du bist nichts“ „Du bist zu jung“ „Dein Leben ist nur ein Windhauch“ Oft genug bekommen wir solche erniedrigenden Maßregelungen zu hören durch andere Menschen. Nein, demütigen wollen uns die Berge nicht. Sie lehren uns aber, uns nicht zu überschätzen. Wenn ich unbedingt auf einen 3000er will, dann werde ich mich gut prüfen, ob ich die anspruchsvolle Tour über Klettersteige auf den Gipfel des Bechers bewältige oder ob nicht auch eine Wanderung von der Seiser Alm zur Schlernhütte, die bessere Alternative wäre. Die ist wohl auch anstrengend, aber fordert bei weitem nicht das Können eines Bergsteigers. Das ist nicht das demütigende Eingeständnis, dass ich unfähig bin, sondern Ergebnis einer nüchternen Einschätzung meiner Kondition und Sicherheit. Das aber ist Demut. Demut ist nicht die Haltung, die immer vorgibt, dass ich nichts kann und schlechter bin als alle anderen Zeitgenossen. Demut ist im Lateinischen zurückzuführen auf das Wort „Humilitas“, das seine Wurzeln im Begriff „Humus“ „Boden, Erde, Staub, Dünger“ findet. Es hängt sehr eng zusammen mit dem Wort „human“, also „menschlich“. Human ist es, auf dem Boden zu bleiben, nicht abzuheben und sich über andere zu stellen. Demut drückt uns nicht in den Schmutz, sondern lässt uns Menschen sein, die mit beiden Füßen auf der Erde stehen. Demut ist also bodenständig. Der Benediktiner David Steindl-Rast meint: „Eigentlich bedeutet demütig … irdisch oder erdig. … Es ist … mit „human“ und „Humor“ verwandt. Wenn wir die irdischen Qualitäten unserer menschlichen Kondition akzeptieren und annehmen (und ein bisschen Humor ist dabei durchaus hilfreich), dann werden wir feststellen, dass wird das mit demütigem Stolz tun. in den besten Augenblicken unseres Lebens ist Demut einfach ein Stolz, der zu dankbar ist, um auf jemanden herabzublicken.“ (zit: Annette Behnken; Demut: Hymne an eine Tugend, München 2021).
Pater David hat recht genau erkannt, um was es Jesus geht, wenn er im heutigen Evangelium die Tugend der Demut empfiehlt. Will er wirklich eine Vorschrift für gutes Benehmen erlassen? Ließe man den einen Satz Jesu im Evangelium isoliert stehen, mit dem er rät, den untersten Platz einzunehmen, um dann vom Gastgeber nach vorne gebeten zu werden, ist das nicht wirkliche Demut, sondern Berechnung. Man nimmt dann den untersten Platz nicht ein, weil man ihn für angemessen hält, sondern weil man sich Aussichten auf einen besseren Platz und damit öffentliche Würdigung macht. Das ist keine Selbstzurücknahme, sondern Inszenierung mit dem Ziel, publikumswirksam geadelt zu werden. Der Sinn des Jesus-Wortes erschließt sich von der folgenden Weisung an den Gastgeber, die einzuladen, die es ihm nicht vergelten können. Unter ihnen gibt es keine hierarchische Ordnung mehr, die eine bestimmte Sitzordnung verlangt. Wer jetzt kommt, der muss nicht ungeschriebene Gesetze achten, sondern darf dankbar sein, am Tisch zu sitzen. Wenn Jesus diese Forderung an einen der führenden Pharisäer richtet, so wie es Lukas betont, dann sagt er damit auch etwas über das Verhältnis von Mensch und Gott aus. Vor Gott können wir nicht auf Stand und Stellung klagen, unsere Plätze an seinem Tisch mit einer Reservierung belegen, sondern nur dankbar sein, dass wir überhaupt Gäste an seinem Tisch sein dürfen. Jesus relativiert aus der Sicht Gottes heraus menschliche Hierarchien und Standesdünkel. Demut meint dann eine gelassene Sicht auf sich selbst. Ich kann noch so ehrgeizig Stufe um Stufe, oder Platz für Platz, nach vorne rücken wollen, letztlich habe ich als Mensch dieser Erde keinen Anspruch auf einen Ehrenplatz bei Gott. Diesem Gastgeber kann ich seine Einladung nie vergelten, sondern nur dankbar sein. Dann aber kann ich manchmal mein Leben auch entspannter und möglicherweise sogar mit Humor betrachten.
Demut ist keine inszenierte Selbsterniedrigung damit andere mich erhöhen. Sie ist Rückkehr zum wahren Wesen meiner Person. Demut ist letztlich Ehrlichkeit über sich selbst zu sich selbst: Wer bin ich eigentlich im Kern? Titel, Ansehen, Macht, Stellung? Ich denke, dass demütige Politiker sich nicht auf einem Flug von Deutschland nach Kanada bei netten Plaudereien ohne Maske fotografieren lassen, nur weil es bei Flügen der Bundeswehr keine Maskenpflicht gibt. Sie hätten sich daran erinnert, dass sie Teil eines Volkes sind, das nicht einfach an den nächsten Flugschalter gehen und einen Flug bei der Bundeswehr buchen kann, sondern sich Airlines bedienen muss, in denen die Maske per Gesetz vorgeschrieben ist. Allein aus der Einsicht in die Solidarität mit den Menschen, aus denen man stammt, hätte sich damit eine so provozierende Darstellung verboten. Demut ist Ehrlichkeit, nicht falsche Sicht von sich weder als Selbstüberschätzung noch als falsch verstandener Selbsterniedrigung. Gerade im Verhältnis zu Gott wird sie deutlich in einem Ritus am Ende des menschlichen Lebens, wenn der Priester bei der Beisetzung dreimal Erde mit der Hand auf den Sarg wirft und dabei spricht: „Von der Erde bis du genommen; zur Erde kehrst du zurück; der Herr aber wird die auferwecken.“ Es gehört zu unserer demütigen Einsicht, uns einzugestehen, woher wir kommen und wo unser letzter Platz ist. Unsere Auferstehung verdienen wir uns nicht, sie ist die Einladung Gottes am Tisch seines himmlischen Hochzeitsmahls Platz zu nehmen.
Bodenhaftung, die mein Denken und Verhalten bestimmt, ist die richtige Grundlage für eine Demut, die förderlich ist für ein Leben in Gemeinschaft. „Was, wenn die Demut nicht das Gegenteil dessen ist, was unser bisheriges Leben ausgemacht hat, sondern vielmehr ein Gegenmittel, das die Nebenwirkungen unserer in vielerlei Hinsicht ungesunden Lebensweise nicht bloß lindert, sondern gar nicht erst entstehen lassen würde?“ so fragt die Autorin und Theologin Annette Behnken in ihrem Buch „Demut: Hymne auf eine Tugend“. Demut ist also vielmehr als der „Mut zum Dienen“, mit der wir manchmal den Ursprung des Wortes erklären. Es ist nicht der unterwürfige Sklavendienst, die aufdringliche Sorge, die anderen Menschen oft als überzogen auf die Nerven geht, sondern der Wunsch, „so zu sein, wie wir sind, wenn nichts hinzugetan wird und nichts weggenommen“, wie eine Ordensschwester einmal „Demut“ erklärte (Annette Behnken; Demut: Hymne an eine Tugend; München 2021).
Demut vermiest mir nicht die Freude am Leben. Sie baut darauf auf, dass ich ein Mensch bin mit Bedürfnissen, Wünschen, Stärken, Begabungen und Erfolgen, aber sie sieht diese Seite meines Lebens nicht getrennt von der anderen Seite der Schwächen, Misserfolge, Defizite und Versuchungen. Sie spaltet unsere Person nicht auf in eine glückliche und eine unglückliche Seite, sondern hilft uns beim Versuch, uns ganzheitlich zu sehen, und verschafft uns so Bodenhaftung, „humilitas“. Es gibt dann nicht mehr ungetrübte Glücksmomente, die uns himmelhoch jauchzen lassen, und den schnell folgenden Absturz in das tiefste Jammertal, sondern eine neue dankbare Sicht unseres Lebens in allen seinen Facetten.
Pater David Steindl-Rast hat diese demütige Verwandlung unseres Lebens in eine sinnige Pointe gefasst. „Nicht Glück macht uns dankbar, sondern Dankbarkeit macht uns glücklich“. Demut zeichnet den dankbaren Menschen aus, der mit seinem Leben und seinem Platz in der Welt versöhnt ist, und so glücklich hoffen darf, dass Gott noch Großes für ihn bereithält. Amen. Sven Johannsen, Pfarrer Lohr