Predigt 3. Fastensonntag
„Name, nicht Nummer“
iebe Schwestern und Brüder
„Es ist ganz egal, was Sie über mich schreiben, Hauptsache Sie schreiben meinen Namen richtig.“
Dieses Bonmot wird vielen Prominenten in den Mund gelegt. Von wem es stammt, wissen wir nicht wirklich. Es beschreibt aber gut, was Autoren in den Zeitungsredaktionen häufig erleben: Das Wichtigste ist im Gespräch zu bleiben. Agenturen kümmern sich darum, dass ihre Kunden in regelmäßigen Abständen mit Namen und Bild in der Yellow-Press und v.a. in der Tageszeitungen mit den großen Buchstaben erscheinen. So lesen wir wichtige und unwichtige Nachrichten, Gerüchte, Fake-News über mehr oder weniger prominente Menschen, die die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit für ihren Marktwert brauchen. Schnell ist die x-te mutmaßliche Schwangerschaft eines Sternchens wieder vergessen, also müssen wir möglichst bald von ihrer Trennung vom augenblicklichen Lebensabschnittspartner lesen, den sie meist erst in der letzten Woche kennengelernt hat. Der Name in den Schlagzeilen garantiert, dass ich nicht vergessen werde. Wahrer Ruhm wird denen zuteil, die sich darum gar nicht kümmern müssen, sondern so bekannt sind, dass sie von Paparazzi und Fans auf Schritt und Tritt verfolgt werden.
Namen sind nicht Schall und Rauch, sie schaffen Identität. Wenn ich in der Klasse ein Kind mit falschem Namen oder auch nur mit falscher Endung aufrufe, dann hagelt es massive Proteste. Wir sind empfindlich, wenn man unsere Namen falsch ausspricht, denn an nichts sind wir so gewöhnt wie an ihn. Wir hören ihn meist sogar im größten Lärm unter Menschenmassen heraus. Wenn ihn der richtige Mensch ruft, dann gibt Vertrauen das und schafft Sicherheit. Auch das Gegenteil ist richtig: Wo der Mensch keinen Namen mehr hat, sondern nur noch eine Nummer ist, da verliert er seine Würde. Die Antithese von Namen ist Nummer. Mich erschreckt noch immer, wenn Überlebende eines KZ Unterarme entblößen und die tätowierte Nummer zeigen, die in dieser furchtbaren Zeit ihren Namen ersetzte. Sie waren nur noch eine Nummer, keine Lebewesen mehr. Sie wurden entmenschlicht nicht erst durch Folter, Hunger und Willkür, sondern in dem Moment, in dem man ihnen den Namen, ihre Persönlichkeit, ihr Geschlecht, ihre Einmaligkeit wegnahm. Im Judentum hat sich die Regel erhalten, dass kein Mensch andere Menschen zählen darf. Wenn es doch nötig ist, z.B. beim Vergewissern, ob die zehn Personen anwesend sind, die das Quorum für einen Gottesdienst bilden, dann bedient man sich eines biblischen Verses mit zehn Worten. In anderen Fällen zählt man mit der Formel „Nicht eins, nicht zwei…“ Es ist das Ur-Trauma des Volkes Israel, dass man ihm in Ägypten die Identität nehmen wollte. Der Befehl, alle männlichen Erstgeborenen zu töten, wird bis heute gedeutet als Versuch, ihnen die Einmaligkeit und Unterschiedlichkeit wegzunehmen. Namen sind menschlich, Nummern seelenlos. Wer nur noch eine Nummer ist, der hat vielleicht noch eine Funktion, aber keine eigenständige Persönlichkeit.
Schon der Urmensch hatte die Aufgabe, allen Lebewesen einen Namen zu geben, damit sie lebendig werden. Er selbst wird erst in dem Moment, in dem Eva ihren Namen bekommt, zum Adam. Vorher war er ein „Erdling“.
Es wundert nicht, dass Mose in der heutigen Lesung die Frage nach dem Namen Gottes stellt. Er fragt nicht, wie der Trick geht, einen Dornbusch brennen, aber nicht verbrennen zu lassen, sondern nach dem Namen Gottes, den er den Israeliten nennen kann. Die Antwort ist rätselhaft. Gott nennt ihm drei Namen: „Elohim“, „JHWH“ und „ejeh asher ejeh“. Die ersten beiden Namen dürften Mose geläufig sein. Elohim bezeichnet gleichsam die Gattung „Gottheit“. Es könnte aus der Wurzel „stark sein“ kommen und zeigt die wesentliche Eigenschaft einer Gottheit. „JHWH“, wiedergegeben als „Der Ewige“, ist der charakteristische Name Gottes im Volk Israel. Er ist keine Projektion meiner Wünsche, sondern der Gott der Väter und Mütter im Glauben, der „Ewige“, der war, ist und sein wird.
Rätselhaft wird auch für Mose der dritte Namen, den er auf Nachfrage genannt bekommt: „ejeh asher ejeh“. Schon die Übersetzung macht Schwierigkeit: Ist es Futur oder Gegenwart? Heißt es also „Ich bin, der ich bin“ oder „ich werde sein, der ich sein werde“ oder sogar eine Mischung „Ich bin, der ich sein werde“? Dieser Eigennamen wirft mehr Fragen auf, als dass er Antworten gibt. Vielleicht ist es eine Mahnung, Gott die Freiheit zu lassen: „Ich werde sein, der ich sein will“? oder es ist eine Zusage: „Ich bin der „Ich bin da für euch“ bzw. „Ich werde sein, was das Morgen erfordert.“ Daraus könnte Mose hören, dass Gott stets ein offenes Ohr haben wird für die Not seines Volkes und für das, was es braucht.
Der Name muss rätselhaft bleiben, denn Gott lässt sich nicht definieren und der Glaube des Mose steht noch ganz am Anfang. Vergleicht man ihn mit Abraham, von dem wir letzte Woche gehört haben, dann schneidet Mose heute sehr schlecht ab. Abraham hört den Ruf Gottes und geht los. Mose hört den Ruf Gottes und stellt erst einmal Fragen, ja widerspricht und wehrt sich, typisch jüdisch würden die Rabbiner dazu sagen. Mose steht erst am Anfang eines Wegs mit Gott. Die Bibel betont, dass kein Mensch je Gott näher kam als Mose, aber auch für ihn bleibt Gott bis zum Ende rätselhaft. Schritt für Schritt wird er diesen Gott kennenlernen, erleben, wie er eingreift, beharrlich an der Seite seines Volkes bleibt und seinen Bund hält bis zur Gabe des gelobten Landes.
Der rätselhafte Gottesname „ejeh asher ejeh“ will ihm und auch uns sagen: „Du kannst Gott nicht erkennen, wenn du ihn nicht wirklich erfahren hast.“ Über Gott kann man viel reden, aber sein Wesen kann man nur erleben als der, der da war und da ist und so auch die Sicherheit gibt, dass er künftig da sein wird. Dieses Urvertrauen ist ein Wagnis, aber letztlich das einzige Portal zu einem Glauben, der trägt.
Mit diesem Hintergrund wird auch das äußerst schwierige Evangelium ein wenig besser verständlich. Jesus will keine Angst einjagen, dass Gott uns alle in den Untergang treiben wird, sondern weist eine selbstgerechte Haltung der Menschen zurück, die ihm von den Katastrophen und Tragödien erzählen, die sich ereignet haben. Mit ihren Berichten verbinden sie das selbstsichere Urteil, dass nichts sich ohne Grund ereignet. Sie sind überzeugt, dass diese Grausamkeiten und Unglücke Strafen Gottes für die Sünden derer sind, die von Pilatus hingerichtet oder vom Einsturz des Turmes erschlagen wurden. Das war zur Zeit Jesu noch bei vielen Menschen im Denken verankert: Leid geschieht als Reaktion auf Vergehen. Diese Haltung macht dann alle, denen es gut geht, „gerecht“. Jesus lässt diesen Schluss nicht zu. Seine drastische Reaktion entzieht dieser Selbstgefälligkeit den Boden. Keiner kann das Wesen Gottes entschlüsseln oder sein Handeln berechnen. Sein Name ist nicht Drohung durch Unglück, sondern Zusage im Dunkel. Daran müssen sich auch die frommen Schwarzseher halten. Es gibt keine pauschale Verurteilung ganzer Gruppen durch einen Gott, der sich selbst als eigenständige Persönlichkeit vorstellt und uns nach diesem Abbild geschaffen hat. Jesus rehabilitiert mit seiner Reaktion zum einen die Identität und Würde der Opfer und macht zum anderen deutlich, um was es im Glauben geht: Die persönliche Hinwendung zum ewigen Gott.
Liebe Schwestern und Brüder
in einem Kinderlied zur Taufe heißt es: „Ich trage einen Namen, bei dem der Herr mich nennt. Du rufst mich in der Taufe, damit auch ihr mich kennt.“ In der letzten Strophe kommt für mich in kurzen Worten zum Ausdruck, auf welcher Gewissheit unser Glaube bauen darf:
„So trag ich meinen Namen, bei dem, du Herr, mich nennst,
und weiß, dass du mich immer mit meinem Namen kennst.“
Eine Gesellschaft kann uns zu Nummern degradieren, Menschen können unsere Namen vergessen, wir aber bleiben immer und ewig bekannt bei dem, der war und ist und sein wird. Amen.
Sven Johannsen, Lohr