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Liebe Schwestern und Brüder

Erinnern Sie sich noch an „Nobody“? Der schlitzhohrige Revolverheld, den Terence Hill in zwei sog. Italo-Western der siebziger Jahre verkörperte. Der Titelheld ist „Nobody“, also „Niemand“. Einen „Nobody“ kann man nicht identifizieren und verfolgen. Das wusste schon der listenreiche Odysseus in den Epen des Homers.

Als er mit seinen Gefährten vom einäugigen Riesen Polyphem gefangen und fast verspeist wird, trickst er ihn aus und nennt ihm als seinen Namen einfach „Niemand“. Danach sticht er ihm ein Auge aus und flieht mit seinen Gefährten. Polyphem, der Hilfe bei anderen Riesen sucht, und laut schreit, dass „Niemand“ ihm das angetan hat, macht sich natürlich lächerlich und wird für verrückt gehalten. Ein „Niemand“ kann schnell in der Masse abtauchen und verschwinden. Die amerikanische Poetin Emily Dickinson (gestorben 1886) beginnt ein berühmtes Gedicht mit den Worten „I'm Nobody! Who are you? Are you - Nobody - too?“ „Ich bin niemand! Wer bist du? Bist du auch „Niemand“?“ Zeitgenossen schildern das Leben Dickinsons als zurückgezogen und unnahbar. Ihre 1800 kurzen Gedichte sammelte sie in Reinschrift für sich und band sie zu Büchern, die 1891 von Verwandten entdeckt und veröffentlicht wurden. Wäre das nicht geschehen, wäre sie immer ein „Nobody“ geblieben. Wer aber will schon „niemand“ sein? Menschen streben heute danach, ein „somebody“, also ein „Jemand“ zu sein, einen Namen zu haben, mit dem man sofort eine Person verbindet. In den Medien geben sich untalentierte und intelligenz-reduzierte Muskelmänner und Sternchen die Klinke in die Hand in der Hoffnung, dass sie in die Schlagzeilen kommen und man sich ihre Namen merkt. Ein „Somebody“, ein „Jemand“ ist einmalig und unverwechselbar, was für die meisten dieser gestylten Peinlichkeiten auf zwei Beinen aber kaum gilt. Sie müssen in der ständigen Angst leben, vergessen und aus dem Olymp der Berühmtheiten verstoßen zu werden. Deswegen stehen sie unter dem Druck, ständig Skandale zu provozieren, sich uns unverhüllt in bestimmen Zeitungen entgegenzustrecken und regelmäßig in wenig anspruchsvollen Shows von Privat-Sendern noch weniger kluge Dinge der Weltöffentlichkeit zu verkünden. Das ist gar nicht so leicht, denn das gesamte Selbstwertgefühl hängt nur noch vom Grad der Bekanntheit ab. Da hat es ein „Nobody“ schon entschieden einfacher. Er / sie muss sich nicht abheben, ständig sich als „besonders“ produzieren und kann einfach einer / eine unter vielen sein. In einem Impuls zum heutigen dritten Ostersonntag fragt deshalb Andrea Riedl, Fachbereichsleiterin für Kirchengeschichte an der TU Dresden: „Ist das Leben der Somebodys in aller Öffentlichkeit tatsächlich erstrebenswert? Ist es nicht vielmehr trist und einsam hoch oben, den bewundernden Massen ausgesetzt, ohne Rückhalt und Verlässlichkeit? Nobodys hingegen konstituieren Gemeinschaft, sie sind die Gesichter des Kollektivs. Sie halten zusammen, sind geborgen in Anonymität. Das Motiv des Nobody ist ein wunderbar facettenreiches, ausgestattet mit kraftvollem Potential zur Macht- und Gesellschaftskritik, aber auch zu Satire und Ironie.“ (https://media.herder.de/files/978-3-451-00002-7_2023-17_CIG_Online-oP-id-74202.pdf) Wer sich damit abfindet, dass er ein „Nobody“ ist, der kann wesentlich zufriedener leben als der, der vom Ehrgeiz „Jemand zu sein“ aufgefressen wird.

Manchmal aber tritt „Nobody“ aus dem Schatten der Anonymität und steht im Rampenlicht, so heute im Evangelium von den „Emmaus-Jüngern“. Wir wissen kaum etwas von den beiden Jüngern Jesu, die am Ostertag von Jerusalem aus das Weite suchen. Wir kennen einen Namen, „Kleopas“, aber der sagt uns nicht viel. In der weiteren Geschichte der frühen Jüngergemeinde nehmen sie keinen herausragenden Platz mehr ein, so dass sie auch in der Apostelgeschichte des Lukas keinen Nachhall finden. Ihre Geschichte ist eingerahmt durch den „Somebody“ der Urgemeinde schlechthin, Petrus. In den Versen vor der Emmausgeschichte finden wir ihn am Ostermorgen am Grab und am Ende der Erzählung wird gleichsam als entscheidendes Argument für den Glauben auf die Auferstehung wieder auf „Simon Petrus“ verwiesen, dem Jesus erschienen ist. Erst danch kommen die beiden Emmausjünger an die Reihe und können ihre Geschichte erzählen. Aber in diesen 22 Versen konzentrieren sich alle österlichen Hoffnung auf sie. Es ist kein „Jemand“ da, hinter dem sie sich verstecken könnten. Sie begegnen dem Auferstandenen, erkennen ihn im Brechen des Brotes und müssen davon Zeugnis geben. Es gibt niemanden, den sie vorschicken könnten, weil sein / ihr Wort mehr Gewicht hätte. Für die Verkündigung der Osterbotschaft werden dauerhaft andere Zeugen bedeutender. Ihr Zeugnis wird auf sie hin personalisiert und ihre Namen bürgen für die Glaubwürdigkeit: Petrus als Anführer der Urgemeinde, Maria von Magdala als erste Osterzeugin überhaupt, Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, und der Zweifler Thomas. Sie sind als „Jemand“ in die Ostergeschichte eingegangen. Unsere beiden Jünger dagegen auf dem Weg in ein Dorf, dessen Lage wir heute gar nicht mehr kennen, bleiben sehr abstrakt und verschwommen. Aber für alle Zeiten erinnern sich glaubenden Menschen daran, was sie erlebt haben. Vielleicht sind sie gerade deshalb so wichtig, weil sie als Jünger Jesu nicht in die vorderste Reihe gehören, aber ihre Ostererfahrung sich in die Sammlung der wichtigsten Urkunden unseres Glaubens einreiht. Sie treten nicht als Personen in den Vordergrund, sondern als Typen von glaubenden Menschen, die ein neues Sehen lernen und ein neues Verständnis von der Schrift finden müssen. Gerade weil sie vorher und nachher nicht ausgezeichnet werden durch Einzeldarstellung, sondern wieder in der Gruppe der „Nobodies“ eintauchen, bekommt ihre Erfahrung eine allgemein gültige Bedeutung für Menschen, die zu allen Zeiten einen Zugang zum Ostergeschehen suchen. Andrea Riedl schreibt: „Die Interpretation der Emmausjünger als „berühmte Nobodys“ hingegen ist neu, bietet aber sympathische Anknüpfungspunkte und solidarisch-tragende Elemente: Nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Geschichte von Kirche ist wesentlich getragen von den vermeintlichen Nobodys. In der Gegenwart und auch in der Geschichte wird ihr Einfluss unterschätzt. Gerade kirchlich provoziert die Rede von ihnen nicht nur unsere Zu- und Einordnung, sondern auch die verantwortungsvolle Ausgestaltung unserer Rolle – so oder so.“ (CiG 17/2023).

Die Jünger von Emmaus haben kein Problem damit, den Platz auf dem Weg neben Jesus freizugeben und uns an ihre Stelle treten zu lassen. Sie laden ein, die Gegenwart Jesu auch in unserer Zeit wahrzunehmen in seinem Wort, in der Feier der Eucharistie, im Erleben von Gastfreundschaft, Solidarität in Krisen und Zweifeln und in der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche.

Damit dieses Ereignis aber wirklich stattfinden kann, muss ein Mensch bereit sein, sich ernsthaft darauf einzulassen. Er muss die Begegnung mit Jesus suchen. Selbst dann noch kann er sie nicht herbeizwingen. Jesus selber muss sich offenbaren, und das bleibt ein unverfügbares Ereignis - es ist Gnade. Unter Umständen muss einer lange warten, bis er einmal eine Erfahrung macht, die ihn so tief ergreift, dass er sagen kann: »Ich bin Jesus begegnet!« Dennoch lohnt es sich, zu suchen und zu warten. Denn wenn es einmal geschieht, wandelt sich die Art und Weise, wie ein Mensch glaubt, grundlegend: Eine Beziehung zu Jesus entsteht. Er versteht alle Zusammenhänge neu. Innere Kraft und Ausstrahlung wachsen. Sein Glaube macht nun einen ähnlich ursprünglichen Eindruck wie jener der ersten Jünger.

Wahrscheinlich finden wir uns mit unserem Glauben eher in den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus wieder als in den „Großen“ der Urkirche. Für besonders bedeutend werden wir unseren Glauben nicht halten. Darauf kann man keine Kirche bauen und keine Welt bekehren. Dennoch wird es Menschen geben, für die unser Glaube aus dem Schatten der Lehre tritt und zum Anstoß wird, selbst nachzudenken und nach dem zu fragen, was ihnen Hoffnung und Halt gibt.

Die Jünger von Emmaus helfen uns, das Brennen in unseren Herzen nicht zu übergehen und das wenige, das wir verstehen, ins Wort zu bringen und mit ihnen zu bezeugen, dass auch wir Jesus begegnet sind. Für manche Menschen kann das zum Impuls werden, selbst seinen Weg nach Emmaus zu gehen und den Auferstandenen zu sich reden zu lassen. Amen.

Sven Johannen, Pfarrer

(Auf der Grundlage eines Artikels von Andrea Riedl in CiG 17/2023

3._Sonntag_2023_Nobody.pdf

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