Predigt 5. Fastensonntag „Der neue Bund“

Predigt 5. Fastensonntag Jer 31,31-34 „Der neue Bund“

Liebe Schwestern und Brüder

Unter dem MottoBündnis gegen rechts“ gehen in den letzten Wochen Hunderttausende Mitbürgerinnen und Mitbürger in großen und kleinen Städten unseres Landes auf die Straßen, um gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit zu demonstrieren. Auch in Unterfranken sammeln sich Einzelpersonen und Gruppen, die sich zu solchen Bündnissen zusammenschließen und zeigen, dass die Unterstützer von Demokratie, Offenheit und Achtung der Menschenwürde mehr sind in unserem Land als diejenigen, welche die Werte unserer Demokratie in Frage stellen.

In ihnen sammeln sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Hintergründen, die im Alltag oft sehr gegensätzlich erscheinen: Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Angehörige verschiedener Religionen, aber auch Künstler, Wirtschaftsvertreter, Studenten, Rentner, Familien und viele mehr. Wir verbünden uns, um Stärke zu zeigen und uns denen entgegenzustellen, die lautstark behaupten, dass sie den Willen der Mehrheit vertreten. Bündnisse werden geschlossen zwischen Interessensgruppen, aber auch zwischen Völkern, um Werte wie Freiheit und Menschenwürde zu schützen. Der Grundgedanke findet sich im Slogan „Gemeinsam sind wir stark“ oder noch greifbarer im gemeinsamen Schwur der drei Musketiere in Alexandre Dumas gleichnamigen Roman: „Einer für alle und alle für einen.“ Bündnisse sichern Partner, die alleine militärisch, politisch oder wirtschaftlich zu schwach wären, um in einer aggressiven Welt zu überleben. Eines der wichtigsten Bündnisse unserer Zeit ist die NATO, die 1949 gegründet wurde und heute 32 europäische und nordamerikanische Staaten sammelt. Trotz vieler Schwierigkeiten hat sie uns den Frieden und die Freiheit bewahrt. Ohne das Bündnis der Alliierten im zweiten Weltkrieg hätte der nationalsozialistische Wahn noch mehr Leid und Tod in die Welt gebracht. Aber Bündnisse sind zerbrechlich. Ehemalige Partner können zu Gegner werden, wenn ihre Interessen in Kollision geraten. Letztlich ist so der kalte Krieg entstanden. Bündnisse und Koalitionen sind nur solange sicher, wie die Partner gemeinsame Interessen und Absichten teilen. Ist das nicht mehr gegeben, kann ganz schnell Schluss sein, ja sich aus einer Allianz eine Gegnerschaft entwickeln.

Wechselt Gott den Bündnispartner?

Der Prophet Jeremia legt uns in der heutigen Lesung eine Formel vor, die aufhorchen lässt. Er spricht vom „Neuen Bund“, den Gott schließt. Diese Wort findet sich in der hebräischen Bibel ausschließlich an dieser Stelle. Für Christen ist es eng verbunden mit dem Wort Jesu im Abendmahlsaal: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut“ (Lk 22,20). Oft hat man daraus geschlossen, dass schon Jeremia angekündigt hat, dass Gott seinen Bund mit Israel aufgekündigt und sein auserwähltes Volk verwirft. Die Christen sind das neue Bundesvolk. Die Feier des Letzten Abendmahles vollendet diesen neuen Bund, der den alten Bund ablöst. Ersetzen Christen die jüdischen Gläubigen im Bund mit Gott? Das hieße ja, dass das Judentum überholt, ja sogar ausgeschlossen ist aus der Gemeinschaft mit Gott. Früh schon kommt eine solche Deutung der Worte Jesu aus dem Abendmahlsaal in christlichen Gemeinden auf. Bereits der Autor des Hebräerbriefes zitiert in seinem achten Kapitel die Stelle aus dem Jeremiabuch und folgert daraus: Indem er von einem neuen Bund spricht, hat er den ersten für veraltet erklärt. Was aber veraltet und überlebt ist, das ist dem Untergang nahe.“ (Hebr 8,13). Es gibt eine leidvolle Geschichte in der der christlichen Tradition, die mitunter bis heute behauptet, dass die Kirche Israel als Bundespartner Gottes ersetzt hat. Demgegenüber beruft sich das II. Vatikanische Konzil in seiner Erklärung über das Verhältnis zwischen Kirche und Judentum in der Erklärung „Nostra Aetate“ auf das Wort des Apostels Paulus, der im Römerbrief sagt: „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt.“ (Röm 11,7) Sowohl das Konzil als auch die Päpste, unter ihnen in besonderer Weise Johannes Paul II und Benedikt XVI, haben mit Nachdruck herausgestellt, dass die Kirche niemals Israel ersetzt hat und Israel „zu allen Zeiten“ (Benedikt) eine besondere Stellung innehat. Es bleibt im Besitz der Offenbarung als Zeichen seiner Erwählung. Johannes Paul hat unser Verhältnis zum Judentum in die treffende Formulierung von den älteren Geschwistern gefasst.

Aber was bedeutet dann das Wort des Propheten Jeremia vom „neuen Bund“, den Gott schließen wird? Papst Benedikt hat darauf hingewiesen, dass die Vorstellung einer „Kündigung“ des Bundes nicht zur Begriffswelt der Hebräischen Bibel gehört. Allerdings, so der Papst, wurde der Bund von den Menschen immer wieder gebrochen. Gott aber bleibt immer treu.

Um welchen Bund geht es? Die hebräische Bibel kennt mehrere Bundesschlüsse Gottes mit den Menschen: mit Noah und der ganzen Menschheit nach der Sintflut, repräsentiert durch das Symbol des Regenbogens, mit Abraham und allen glaubenden Menschen unter dem Sternenhimmel von Hebron und mit Mose und den Kindern Israels, die er aus Ägypten befreit hat, auf dem Berg Sinai. Als Zeichen dieses Bundes gibt Gott seinem Volk durch Mose das Zehnwort, die beiden Steintafeln mit den zehn Geboten. Auf ihnen findet sich die Ordnung für ein Leben der Kinder Gottes in Freiheit. Dieser Bund aber war von Anfang an darauf angelegt, dass er mehr als ein Vertrag ist, dessen Worte gelesen und eingehalten werden müssen. Wer Beziehungen auf Verträge aufbaut, sucht schnell das Kleingedruckte, das ihm Hintertürchen öffnet, den eigenen Vorteil zu gewinnen und gegen den eigentlichen Sinn des Bündnisses zu handeln. Deshalb hatte schon Mose dem Volk angekündigt: „Der HERR, dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen beschneiden. Dann wirst du den HERRN, deinen Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele lieben können, damit du Leben hast“ (Dtn 30,6).

Mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele lieben“, diese Haltung ist das Neue am Bund, den Gott niemals aufgekündigt hat und der in Jesus Christus zur Entscheidung für eine Person wurde. Nicht mehr Abkommen regeln die Beziehung zwischen Gott und den Menschen, vielmehr baut sie auf Vertrauen auf. Im Glauben geht es nicht darum zu fragen, was bin ich Gott schuldig aufgrund von Geboten und Gesetzen, sondern was möchte ich ihm geben, weil ich ihn mit ganzem Herzen und ganzer Seele lieben kann. Die Verheißung eines neuen Bundes ist nicht die Aufkündigung der besonderen Erwählung Israels und das Austauschen der jüdischen Glaubenden durch die Christen, die jetzt alles besser und richtig machen. Vielmehr bekommt der Bund eine neue Qualität weil er keine Steintafeln, keine Katechismen, keine falschen Schuldgefühle braucht, sondern der Glaube wirklich das ist, was er vom lateinischen Ursprung „credere“ zu sein beansprucht: „Herzensgabe“. Der glaubenden Mensch ist aus der Erfahrung, dass sich Gott in seinem eigenen Herzen offenbart, so stark, dass er Gott vertrauen kann in Freud und in Leid und erkennt: „Der Weg zu Gott bist du selbst.“ (Phineas Fletcher).

Ich will hier nicht einen Glauben propagieren, der sich löst von der Tradition und der Gemeinschaft der Kirche, aber wohl für einen Glauben plädieren, der sich nicht abhängig macht von äußeren Vorgaben oder sich erschüttern lässt, wenn die Kirche als Glaubensgemeinschaft schuldig wird. Der Weg zu Gott wird nicht garantiert durch den Gehorsam gegenüber menschlichen Autoritäten, sondern durch die innere Sicherheit, die sich aus dem Gebet und dem Hören auf Jesus Christus speist, in Einklang mit Gott zu leben. Für mich ist das Wort von Karl Rahner eine entscheidende Wegmarkierung: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“ Keine Institution kann mir das Heil schenken, die Kirche kann nur zum Ort werden, an dem ich erfahre, das es „mehr“ gibt als ich sehe und der mir eine Ahnung gibt von Gott, zu dem ich unterwegs bin. Karl Rahner hat seinen Gedanken weitergeführt und geschrieben: „Wenn einer es heute fertig bringt, mit diesem unbegreiflichen, schweigenden Gott zu leben, den Mut immer wieder neu findet, ihn anzureden, in seine Finsternis glaubend, vertrauend und gelassen hineinzureden, obwohl scheinbar keine Antwort kommt als das hohle Echo der eigenen Stimme, wenn einer immer wieder den Ausgang seines Daseins frei räumt in die Unbegreiflichkeit Gottes hinein, obwohl er immer wieder zugeschüttet zu werden scheint durch die unmittelbar erfahrbare Wirklichkeit der Welt, ihrer aktiv zu meisternden Aufgabe und Not und ihrer immer noch sich weitenden Schönheit und Herrlichkeit, wenn er dies fertig bringt ohne die Stütze der „öffentlichen Meinung“ und Sitte, wenn er diese Aufgabe als Verantwortung seines Lebens in immer erneuter Tat annimmt und nicht als gelegentlich religiöse Anwandlung, dann ist er heute ein Frommer, ein Christ. (…)“ (Karl Rahner, Frömmigkeit früher und heute 1965)

Wir sind nicht nur Koalitionspartner Gottes, die fürchten müssen, das er kündigt oder die Seiten wechselt, wir stehen fest in seinem Bund. Darum können wir ihn mit ganzem Herzen und ganzer Kraft lieben, ja ihm vertrauen. Das ist der neue Bund, den uns Jesus ermöglicht hat. Amen. (Sven Johannsen)

Der neue Bund