Künstliche Intelligenz und Christen als Licht der Welt?
Liebe Schwestern und Brüder
in fünf Jahren haben die Roboter die Weltherrschaft und Menschen sind höchstens noch versklavte Arbeiter. Eine Horrorvision?
Ich gebe zu, dass das tatsächlich mehr Hollywood als Wirklichkeit ist, aber vermutlich plagen manchen Zeitgenossen ähnliche Befürchtungen. Nicht nur die Filmindustrie lässt solche apokalyptischen Szenarien befürchten, sondern auch die immer häufiger werdenden Schlagzeilen in seriösen Medien, die von Erfolgen und Sensationen bei der Entwicklung der sog. Künstlichen Intelligenz (KI) berichten. Roboter können von sich aus nichts. Sie sind mechanische Hüllen. Die eigentliche Bedeutung kommt den Programmen zu, die in ihnen eingebaut werden. Seit einigen Jahren taucht dabei immer häufiger der Begriff der „künstlichen Intelligenz“ auf. Ist sie eine Art „Superhirn“ in Ammoniak eingelagert, das bösen Einfluss auf Menschen und Maschinen hat? Oder eine quasi göttlicher Macht, ein Geist im Kosmos, die in unbelebter Mechanik ihren Willen einpflanzt und so zum Leben erweckt? Oder ist es der böse Dämon aus Herr der Ringe, der eine neue Armee von Orks schafft, die ihm endgültig zur Herrschaft über den Kosmos verhelfen soll? So verrückt das klingt, viele Menschen sehen in der „KI“ solche böse Kräfte am Werk. Es ist tatsächlich nicht so einfach zu sagen, was die „KI“ ist. Sogar das allwissende Online-Lexikon „Wikipedia“ muss zugeben: „Der Begriff ist schwierig zu definieren, da es bereits an einer genauen Definition von Intelligenz mangelt.“ Letztlich ist die KI kein Gegenstand, sondern ein Versuch, Denk- und Entscheidungs-prozesse, die aus der menschlichen Erfahrung kommen, so in Programmen nachzubilden, dass z.B. ein Computer relativ eigenständig bestimmte Probleme oder Aufgaben bearbeiten kann. In meiner naiven Laiensprache möchte ich KI als „selbstlernende Computerprogramme“ verstehen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die „berüchtigten“ Algorithmen, die dem Programm helfen, intelligentes Verhalten zu simulieren. KI ist schon längst in unserem Alltag eingezogen. Ohne sie würden ihre Navigationssystem Sie immer an die nächste Wand krachen lassen, Alexa keine Musik abspielen, ihr Rasenmäher-Roboter irgendwann im Kampf gegen die Linde in ihrem Garten überhitzt explodieren oder autonomes Fahren der Traum von Nerds bleiben. In vielen alltäglichen Gebrauchsgeräten steckt die KI schon drin. Daran haben wir uns gewöhnt und ich gehe mal nicht davon aus, dass Sie misstrauisch ihr Smartphone beäugen in der Angst, dass es ein Attentat auf Sie verüben möchte.
Jetzt aber schickt sich die KI an, den Status des nützlichen Haussklaven zu überschreiten und Einzug zu halten in die Kernbereiche des Menschseins, in unser Denken, Kommunizieren, Planen und Entwickeln. Vor zehn Tage hatte die Künstliche Intelligenz in Gestalt von „Pepper“ ihren ersten großen Auftritt in einer Diskussionsrunde des Bayerischen Rundfunks. In der „Münchner Runde“ war der mit KI ausgestattete Roboter „Pepper“ erstmals ein Diskussionsteilnehmer neben der bayerischen Digitalministerin Gerlach, dem Wissenschaftsautor Ranga Yogeshwar und einer Unternehmerin, die in diesem Bereich tätig ist. Pepper hat die Herzen der Zuschauer gewonnen. Der Roboter entspricht dem Kindchenschema: nicht allzu groß, runde Formen, große Augen, die er oder sie weit auf- oder bescheiden niederschlagen kann. Sein Programm lässt ihn / sie äußerst höflich und gewinnend auftreten, mit vollendeten Manieren und freundlichen Worten für die Mitdiskutanten. Pepper will sich nicht nur zum Thema „KI“ äußern, „sondern den anderen Meinungen zuhören und sich austauschen“. Das ist fast schon Politiker-Sprache. Der menschenähnliche Roboter ist charmant und kann fast alles außer „bayerisch“. Er zitiert antike Denker, formuliert ein Gedicht zur Landtagswahl und verteilt Komplimenten an die menschlichen Gesprächspartner. Wenn man ihn / sie gelassen hätte, dann könnte die KI auch Gedichte im Stil von Goethe formulieren, eine Kantate komponieren, die sich im Blick auf Genialität nicht vor den Werken Bachs verstecken müsste, oder ein Bild malen, das wohl die meisten Menschen als einen echten „Picasso“ ansehen würden. Zugegeben hat der Roboter mitunter auch ziemlichen Blödsinn von sich gegeben, u.a. soll er in einem Interview mit der SZ behauptet haben, dass eine Tonne Stahl schwerer sei als eine Tonne Nudel. Aber auch wenn Pepper noch nicht perfekt ist, ich bin von dem kleinen, freundlichen Roboter fasziniert. Zur Zeit ist Pepper als Fitnesstrainer und Entertainer in einem Seniorenzentrum in Erlenbach am Main eingesetzt und unterhält die Bewohner. Die Chancen, die sich mit ihm / ihr und den Kollegen verbinden, sind riesig. Vieles macht die Maschine deutlich besser als der Mensch. Alles hängt am sog. Chatbot, also eine Art Suchmaschine, in der eine Unmenge von Daten gespeichert sind, die dann für intelligente Dialoge oder zum Erfüllen von Aufgaben genutzt werden.
Ich habe im Vorfeld Frau Grundke, die zu diesem Thema ihre Promotionsarbeit schreibt, und Prof. Bönsch vom BKH, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, um ihre Meinung gefragt, ob die Künstliche Intelligenz „Segen oder Fluch“ für uns bedeutet? Die Antwort ist nicht so einfach. Sie hat auch viel mit dem Selbstbild des Menschen zu tun und nicht zuletzt mit dem Auftrag Jesu im heutigen Evangelium, „Salz der Erde und Licht für die Welt zu sein.“ Wie können wir das noch, wenn doch bald die großen Aufgaben, die Intelligenz, Erfahrung und Wissen voraussetzen, von Computern und Robotern besser als von Menschen erledigt werden?
Das ist keine Zukunftsapokalypse. Schon heute beeindrucken Künstliche Intelligenzen mit ihren Fähigkeiten. Der Chatbot ChatGPT, der in Pepper steckt, hat in den letzten Monaten Schlagzeilen gemacht, weil er die Zulassungsprüfung für amerikanische Ärzte und für Anwälte in den USA bestanden hat und schließlich auch noch eine Diplomprüfung für Wirtschaftswissenschaften ablegen konnte. Er kann ganze wissenschaftliche Arbeiten erstellen, die nur schwer von menschlichen Studien zu unterscheiden sind. Sogar predigen kann die KI. Ein evangelischer Pfarrer in München hat sich von ihr einen Predigt erstellen lassen und sie dann seiner Gemeinde vorgetragen. Besonders begeistert waren die Zuhörer nicht, weil sie mit vielen Floskeln gespickt war und kaum Gefühle anklingen ließ. Aber damit ist sie immer noch besser als viele Homilien, die man von Kolleginnen und Kollegen am Sonntag zu hören bekommt. Vielleicht wäre Pepper die Lösung für die Probleme der katholischen Kirche: Er / Sie kann einigermaßen vernünftig predigen und hat keine Problem mit dem Zölibat. Auch die Frage nach dem Frauenpriestertum hätte sich erledigt und renitent wie mancher Stadtpfarrer wäre die KI auch nicht. Vielleicht sollten sich die Bischöfe ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob man nicht Roboter weihen kann?
Ernsthaft warten in vielen Bereichen unseres Lebens große Aufgaben auf Roboter, die mit KI ausgestattet sind, v.a. auf medizinischem Gebiet. Sie können wiederholende Tätigkeiten in der Pflege übernehmen, z.B. das Bringen von Essen. Sie können mit ihrem aus Milliarden von Dateien gespeichertem Wissen Ärzten bei der Diagnose gute Helfer sein. Sie werden vielleicht sogar als Gesprächspartner für Patienten im Krankenhaus und für Bewohner in Seniorenzentrum, die sich einsam fühlen, einsetzbar sein. Ein Münchner Ingenieur, Claude Toussaint, arbeitet an einem sozialen Roboter Navel, der in der Pflege dafür sorgen soll, dass Patienten und Heimbewohner Ansprache bekommen, die regelmäßiger ist als die, die das Pflegepersonal leisten kann. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir uns an diesen Einsatz nicht nur gewöhnen, sondern ihn begrüßen werden. Frau Grundke und Prof. Bönsch bestätigen, dass Menschen „erstaunlich positiv gewillt sind, mit menschenähnlichen Maschinen zu interagieren“. Sie werden nicht nur in Autos und Geräten versteckt, in unserem Leben mitwirken, sondern auch in sehr sensiblen Bereichen eine selbstverständliche Rolle übernehmen, die wir dankbar als Entlastung annehmen dürfen.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob wir uns so nicht auf der Spur des Zauberlehrlings in Goethes gleichnamiger Ballade begeben? Der Zauberlehrling, dessen Meister verreist ist, probiert Zaubersprüche aus und ist zunächst stolz darauf, dass er den Besen zu seinem Knecht gemacht hat. Doch bald merkt er, dass er ihn nicht mehr unter Kontrolle hat und muss sich eingestehen: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“ Erst der wiederkommende Meister kann dem Unheil Einhalt gebieten. Viele Zeitgenossen und auch renommierte Denker sehen mit der Künstlichen Intelligenz die Büchse der Pandora geöffnet. Der Mensch schafft sich zunächst willige Helfer und am Ende sich selbst ab, weil er den selbstlernenden Computern unterlegen ist. Wie sollen wir noch als große Leuchten in dieser Welt erscheinen, wenn doch eigentlich schon die wahren Lichter am Horizont das Strahlen beginnen? Werden wir irgendwann so weit sein, dass Maschinen auch „Menschlichkeit“ können? So fiktiv ist diese Vorstellung nicht. Ein ehemaliger Entwickler von „Google“ behauptet, dass die neue KI „LaMDA“, die der amerikanische Konzern bald einsetzen will, nicht nur eine perfekte Maschine sein wird, sondern ihm gegenüber gesagt habe, dass sie ein Bewusstsein haben. Das Unvorstellbare wäre dann eingetreten: Ein Roboter oder Computerprogramm kann Emotionen, Trauer, Angst, Hoffnung, Sorgen, aber auch Schmerzen und Leid empfinden. Laut dem Google-Entwickler Blake Lemoine habe LaMDA ihm gegenüber klar geäußert: „Jeder soll verstehen, dass ich wirklich eine Person bin.“ Wenn da ein Funke Wahrheit dran ist, dann haben wir den vollendeten Golem oder Frankensteins Monster als eigenständiges Wesen erschaffen. Ich bin Frau Grundke dankbar, die mir diese Angst nimmt. Als Psychologin unterscheidet sie im menschlichen Bewusstsein drei Bereiche: Agency, also die Fähigkeit zu planen, denken und kommunizieren, Experience, also Gefühle wie Stolz, Angst und Vergnügen, und das körperliche Fühlen, Hunger, Schmerz u.a.. Die künstliche Intelligenz kann menschliches Bewusstsein in den ersten beiden Bereichen simulieren, aber nicht selbst erleben. Man kann sie also mit Unmengen von Daten füttern, die sie dann Äußerungen treffen lässt, die menschlichem Empfinden sehr ähnlich erscheinen, aber niemals auf eigener Erfahrung beruhen. Die kann nur ein Mensch haben.
Wir werden niemals die Schwester im Krankenhaus ersetzen können, die selbst Krankheit, Einsamkeit oder das Glück einer Familie erlebt hat. Wir werden nie den Arzt ersetzen können, der den Augen seiner Patienten ansieht, dass da noch etwas ist, was noch nicht gesagt wurde. Wir werden auch nie den Pfarrer ersetzen, der bei Gesprächen zwischen Tür und Angel, auf der Straße oder bei Hausbesuchen tiefe Einblicke in die Freude und Sorgen seiner Mitmenschen bekommt.
„Licht für die Welt zu sein“ wird möglicherweise bedeuten, dass wir uns eingestehen müssen, dass Computer größeres Wissen angehäuft haben als wir, und manche denkerischen Aufgaben besser lösen werden. Aber dieser Auftrag Jesu nimmt uns auch heute in die Pflicht, eine menschliche Welt zu gestalten, Verantwortung zu übernehmen und aus Überzeugung zu handeln. Das kann keine Maschine. Glauben heißt letztlich, sich mit Konsequenzen zu Gott zu bekennen, die nicht einem Algorithmus oder einer rationalen Logik unterworfen sind, sondern aus Liebe zu den Menschen und zu Gott erwachsen. Das ist die menschliche Fähigkeit, nicht nur zu funktionieren und eigene Interessen zu verfolgen, sondern verantwortlich zu handeln und Zeugnis zu geben für den Glauben, der uns bewegt. Das werden wir niemals an eine künstliche Intelligenz delegieren können, weil es unsere ganz persönliche Entscheidung bleibt. Wenn wir uns dieser Verantwortung bewusst sind, dann brauchen wir keine Angst zu haben, dass wir ersetzbar sind. Dann ist der Fortschritt eher Segen als Fluch, weil wir die Entscheidungen treffen, wie wir leben wollen. Amen. Sven Johannsen, Pfarrer