Predigt Mariä Himmelfahrt 2022 „Sacra conversatione“
Liebe Schwestern und Brüder
„Stifterfigur im Naumburger Dom mit drei Buchstaben?“ Klar: UTA
Eine der leichtesten Aufgaben selbst für jedem Kreuzworträtsel-Fan. Uta ist ohne Zweifel die bekannteste Figur im Naumburger Dom, zumindest bis jetzt. Seit einigen Wochen macht eine andere Frau im Naumburger Dom mehr Schlagzeilen: MARIA. Wegen ihr könnte der Dom sogar den Titel „Unesco-Weltkulturerbe“ verlieren.
Für alle, denen das jetzt ein wenig verworren klingt, der Reihe nach.
Der Naumburger Dom St. Peter und Paul zählt zu den der berühmtesten Kultur-Sehenswürdigkeiten in unserem Land. Machtvoll erhebt er sich über der Klein-stadt an der Saale und darf sich rühmen, eine der schönsten und am besten erhaltenen Kathedralen des Hochmittelalters in Europa und somit weltweit zu sein. Seit 2018 trägt die Domkirche aufgrund ihrer Bedeutung den herausragenden Titel „Unesco-Weltkulturerbe“.
Die größte Anziehungskraft übt der Westchor mit dem Lettner und seinen zwölf Stifterfiguren aus der Mitte des 13. Jahrhunderts aus. Wir kennen den Namen des genialen Architekten und Bildhauers nicht, der in nur sechs Jahren diesen Teil der Kirche schuf, der den Dom zu einem der elegantesten Kirchenbauten der Gotik machte. Bis zum heutigen Tag zieht die Doppelchor-Anlage in Naumburg unzählige Besucher aus der ganzen Welt an und ihr Superstar ist unangefochten Uta, die schönste Frau des Mittelalters, deren kühle Eleganz die hochadelige Frauengestalt abhebt von allen anderen Statuen. Bis jetzt war sie die Frau, deren Namen einem sofort einfiel, wenn man vom Naumburger Dom sprach. Nun aber schickt sich eine andere Frau an, die Schlagzeilen zu füllen: Maria. Im Westchor steht erhöht ein dreiflügeliger Altar, den Lucas Cranach 1519 gestaltete. 1544 wurde das Mittelbild, das die Gottesmutter mit dem Kind zeigte, von Bilderstürmern in den Reformationswirren zerstört. Nach mehr als 500 Jahren gestaltete 2022 der Leipziger Künstler Michael Triegel ein Mittelbild und gab so dem Westchor seine Patronin zurück. Man sieht Maria umgeben von einer Gruppe Heiliger und heiligmäßiger Menschen. Die Darstellung dieser Menschen ist das auffallend, denn Triegel stellt sie als Menschen der Gegenwart da. Um Maria reihen sich Paulus als jüdischer Rabbi, Petrus mit einer Schildkappe, Dietrich Bonhoeffer, Elisabeth, Anna und Agnes als Frauen unserer Zeit. Maria, traditionell gekleidet in ein weißes Gewand und einen blauen Umhang, und ihr Kind sind ebenfalls gut erkennbar als Menschen des dritten Jahrtausends. Ihnen fehlen gotische Distanz oder barocke Idealisierung. Zum Problem, das uns nicht weiter interessieren muss, wird der Altar für die Gralshüter des Weltkulturerbes, weil damit der Status Quo bei der Verleihung des Titels nicht mehr gewahrt ist. Sicher wird man dafür eine gütliche Einigung finden. Für uns ist die Art der Darstellung durch Michael Triegel interessanter: Ein Marienaltar, der ganz verhaftet ist in der malerischen Tradition des 16. Jh., und doch den Geist der Gegenwart atmet. Das Motiv der Darstellung wird in der Kunstgeschichte „sacra conversazione“, also eine „Heilige Unterhaltung“, genannt. Das Gespräch findet in der Regel nicht innerhalb der Gruppe von Heiligen statt, sondern mit dem Betrachter. Sowohl Maria als auch einzelne Heilige, Bonhoeffer und die Heilige Anna, richten ihren Blick auf den Betrachter und treten mit ihm ins Gespräch. Ein wunderbarer Gedanke: Maria hat uns noch etwas zu sagen. Wir schauen sie nicht an wie Uta, die kühle Schönheit aus längst vergangenen Zeiten, sondern treten ins Gespräch mit einer Frau, die eine Geschichte und eine Botschaft hat. Aus der langen Marienverehrung haben sich bis in unsere Tage Worte Mariens erhalten, die auch heute noch zum Nachdenken und zum Glauben einladen. Drei Worte können wir auf der Grundlage des heutigen Evangeliums noch immer hören:
1. Erhebe deine Seele und dein Herz, denn Gott schaut auf dich
„Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter!“ Wenn Maria die Seele und den Geist als die Organe ihres Lobpreis ins Wort bringt, dann meint sie damit nicht einen klug ausgedachten Hymnus, sondern eine freudige Bewegung der ganzen Person. Alles, was in ihr Gott loben kann, ihr Herz, ihr Leib, ihr Denken, Fühlen, Lachen, Hoffen ist mit ein-geschlossen. Es ist keine Sonntagspflicht im liturgischen Rahmen, sondern gelebte Antwort auf die Aufforderung, die auch uns in jeder Messfeier zugerufen wird. „Erhebet die Herzen“ oder in der Wiedergabe der Lateinischen Fassung „Hoch die Herzen“. Kann ich wirklich so hochgestimmt vor Gott treten in diesem Augenblick? Gibt es nicht so viele Gründe, die mein Herz und meine Seele vom Höhenflug abhalten? Wer von uns will denn ein religiöser Spinner sein, der die Wirklichkeit nicht mehr wahrnimmt, weil er sich in der Verzückung über alles erhebt? Ich muss hier keine vollständige Auflistung von Gründen anfügen, die es schwer machen, mit ungeteilten Herzen Gott zu danken. Natürlich weiß jeder, dass er Gott viel verdankt, aber ungetrübt und mit ungeteiltem Herzen angesichts von Krankheit, Schicksalsschlägen, dem Leid in der Welt loben, ist das nicht ein wenig viel verlangt? Auch Maria ist keine religiöse Extremistin. Die schwangere Frau hat gerade einen gut 100 km langen Weg von Nazareth nach Ain Karem hinter sich, möglicherweise mit schmerzenden Füßen, und dürfte sich kaum etwas mehr wünschen als eine sichere Unterkunft bei ihrer Verwandten. Dennoch trifft sie im Augenblick der Begegnung noch einmal, vielleicht unerwartet, Gottes Ermutigung durch Elisabeth, die schon im Heraneilen sieht, dass etwas Großes geschehen ist. Maria muss doch in diesem Augenblick spüren, dass die Begegnung mit Gottes Boten, dem Engel Gabriel, sie verändert hat, dass Menschen ihr anmerken, dass etwas Besonderes in ihrem Leben geschehen ist. Sie wird oft genug daran erinnert, dass der Weg nicht leicht sein wird, auf den sie sich mit ihrem Ja-Wort gegenüber dem Gott gemacht hat, aber sie spürt auch, dass er sie im Blick hat, gütig, wohlwollend und ermutigend. „Für Gott ist nichts unmöglich“, der Engel hat für seine Argumentation ihre Verwandte Elisabeth als Beispiel angeführt. Aug in Aug mit der älteren Cousine und im Hören auf deren Worte wird ihr vielleicht erst wirklich bewusst, dass Gott nicht auf Stippvisite bei ihr war, sondern seine Zuwendung jetzt zum festen und tragenden Fundament ihres Lebens wird in allem, was geschieht. Vielleicht könnte Maria uns sagen: „Erinnere dich an die Zusagen bei der Taufe „Ich bin mit dir, mein Geist durchdringt dein Leben und gibt dir einen Plan. Gott schaut auf dich, auch wenn du orientierungslos geworden bist. Erhebe dich zu ihm mit allem, was in dir lebt.“
2. Sieh, was er getan hat, und sei ein Mensch der Hoffnung
Maria und Elisabeth sind „guter Hoffnung“, so sagen wir in unserer Sprache im Blick auf schwangere Frauen. Die Hoffnung greift natürlich aus auf ihr Kind. Welche Hoffnungen haben sie? Erfolg, Reichtum, Gesundheit, Beliebtheit? Beiden Frauen dürfte aus den Umständen der Schwangerschaft klar sein, dass diese Erwartungen zu kurz greifen. Gott hat etwas mit ihren Kindern vor. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie schon jetzt den Plan Gottes durchschauen und ein genaues Bild davon haben, wie der Weg ihrer Söhne verlaufen wird. Aber gerade darum können sie Hoffnung haben für den Augenblick, in dem ihre Kinder beginnen selbständig ihre Wege zu gehen. Sie haben nicht das Empfinden, dass das Schicksal ihrer Kinder bereits besiegelt ist, sondern. Ihre Hoffnung speist sich aus der Erfahrung ihres eigenen Lebens und der ihres Volkes. Ihr persönliches Erleben Gottes ist ja schon unfassbar: Er, der Ewige und Allmächtige, schaut auf zwei Frauen unterschiedlichen Alters, beide unbedeutend für die Weltgeschichte, ohne Einfluss und Namen. Ihnen gibt er Ansehen, nimmt sie ernst, erfüllt Elisabeth den langgehegten Wunsch nach einem Kind und wirbt bei Maria um ihr Mittun an seinem Plan. Beide Frauen sind bewandert in der Überlieferung ihres Volkes, die letztlich in Gottes nicht zu begreifenden Bund mit dem unbedeutenden Israel ihre Kernbotschaft findet: Gott paktiert nicht mit den mächtigen Staaten Ägypten, Babylon, Assur oder dem Hethiterreich, sondern mit einem schutzlosen Nomadenvolk am Rande der Wüste. Für diese „Niedrigen“, so die Worte des Magnifikats stürzt er Mächtige vom Thron: „Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Die Hoffnung dieser gläubigen Frauen Israels beschränken sich nicht auf das Schicksal ihrer kleinen Familie, sondern greift aus auf die Verhältnisse der Welt, die Gott einmal auf den Kopf stellen wird. Das Magnifikat ist ein Lied der Hoffnung, dass nichts so bleiben muss, wie es ist, dass der einzelne Mensch und die ganze Menschheit in all den Krisen, in denen wir stecken, mit Gottes Hilfe noch immer die Möglichkeit haben, die Dinge zum Guten zu wenden. Wer das Magnifikat anstimmt, muss nicht „Ton-sicher“ sein, aber ein gutes inneres Gehör haben für die Verheißungen, die da zum Klingen kommen. In ihrem Lied sagt uns Maria: „Erinnere dich, dass die Erde und alles, was lebt, Gott gehört und dass er über alles Leben gesagt hat: Es ist gut. Wenn du ihm mehr vertraust als denen, deren Herzen voll Hochmut sind, wird er dich nicht enttäuschen, auch wenn das Gute oft lange braucht, bis es zum Blühen kommt.“
3. „Vergiss nicht, dass er treu ist, und traue Gott etwas zu.“
Gerade am Hochfest Mariä Himmelfahrt wird uns im Evangelium die Begegnung der beiden Frauen Elisabeth und Maria erzählt und das große Hoffnungslied Marias vorgesungen. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass das eigentliche Festgeheimnis, die Aufnahme Mariens mit Leib und Seele in den Himmel, nicht in den Schriften des Neuen Testaments explizit geschildert wird. Dann wäre das heutige Evangelium eine Art Verlegenheitslösung. Ich glaube aber, dass sich die Schöpfer der Leseordnung ganz bewusst für diesen Text entschieden haben, denn sie kommen ja mit dem Festtag an die Kernfrage unseres Glaubens: Was wird aus uns werden? Nicht in dieser Erdenzeit, sondern dann, wenn wir die letzte große Schwelle überschreiten? Fallen wir ins Leere oder ist da eine Zukunft, auf die wir hoffen dürfen? Paulus redet nicht viel herum, sondern stellt den Worten der heutigen Lesung eine Annahme voraus, der man nicht widersprechen kann: Er argumentiert gegenüber den Christen in Korinth, dass es einen Glauben an Jesus Christus nicht geben kann, wenn er nicht ganz auf die Auferstehung ausgerichtet ist. Paulus ist überzeugt, dass Christen erbärmlicher dran sind als alle anderen, wenn Jesus nicht von den Toten auferstanden ist. Dann ist ihr Glaube leer. Wer aber glaubt, dass Christus von den Toten erstanden, so der Gedankengang der heutigen Lesung, der muss auch mit den Folgen rechnen: er selbst wird in die Auferstehung Christi mitgenommen: „Erster ist Christus, dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören.“
Äbtissin Maria Petra Articus OCist aus der Abtei Seligenthal hat in einem Beitrag für den Bayerischen Rundfunk „Zeit und Ewigkeit“ die Bedeutung dieser Botschaft für das heutige Fest und unseren Glauben treffend gedeutet: „An Mariä Himmelfahrt feiern Christen den Kern ihres Glaubens, den Grund, warum wir alle über Zeit und Ewigkeit guter Hoffnung sein dürfen. Wir feiern und freuen uns, dass es keinen Bereich auf der Welt gibt, den Gott nicht mit Leben füllen möchte, dass es keinen Menschen gibt, der sich nicht in seine Arme fallen lassen darf, dass niemand in ein Nichts fällt, selbst wenn er einmal stirbt. Das alles schwingt mit, wenn Maria ihr Loblied anstimmt.“
Maria spricht zu uns Menschen, denen der Tod noch bevorsteht und die mit dem Sterben ihrer Lieben so oft ringen: „Gott, der dich ins Leben gerufen hat, der dir einen Plan gegeben hat, ist gerade dann treu, wenn das Leben zu zerbrechen droht. Du Mensch, der du den gleichen Tod wie Christus gehst, wirst wie er zum Leben auferstehen.“ Dafür ist uns Maria ein untrügliches Zeichen der Hoffnung.
Und was haben wir Maria zu sagen?
Danke für den Glauben und das Beispiel, das du uns vorgelebt hast. Wir wissen aus den Schriften, dass dein Weg nicht immer einfach war. Von Anfang an war das Leben mit dem Kind Jesu eine Herausforderung: Die bescheidenen Verhältnisse im Stall bei der Geburt, die dramatische Flucht nach Ägypten, die verzweifelte Suche nach dem 12 jährigen im Tempel, die Zurückweisung durch den erwachsenen Sohn, das Leid unter dem Kreuz. Wir können nur staunen mit welcher Kraft, du all dies getragen hast. Wir sehen aber auch, aus welcher Zusage du gelebt hast seit der Engel zu dir sagte: „Für Gott ist nichts unmöglich.“ Hilf uns Mutter Gottes und unserer Mutter, dass wir selbst in allen Höhen und Tiefen unseres Lebens unsere Seelen und Herzen zu Gott erheben, dass wir ihm zutrauen, Gerechtigkeit in dieser Welt aufzurichten, und dass wir niemals vergessen, dass er auch auf uns, auf mich schaut und ich ihm vertrauen darf. Amen.
Sven Johannsen, Pfarrer