Predigt Pfingsten 2023 „Ich sehe rot“

Liebe Schwestern und Brüder

„Ich sehe rot“ – Sie müssen jetzt keine Panik bekommen, dass der Pfarrer gleich völlig von der Rolle ist, schreit, tobt und sich noch schlimmer benimmt als bei sonstigen Gelegenheiten. Ich sehe „rot“, nicht weil ich wütend bin und aus der Fassung gerate, sondern weil die Farbe „Rot“ meine erste Wahrnehmung ist, wenn ich in unseren Kirchenraum schaue, der von verschiedenen rötlichen Farbtöne dominiert wird.

Rot ist neben Blau, Gelb und Grün eine der vier Grundfarben und sicherlich die auffälligste unter ihnen. Rot ist die Farbe des Blutes und damit des Lebens. Wenn Fanatiker Rot sehen, dann fließt schnell mal Blut. „Adam“ bedeutet im Hebräischen tatsächlich auch „rot“. Für die Bibel, bitte nehmen Sie das jetzt nicht rassistisch, ist der Mensch eine „Rothaut“, ein Wesen aus Fleisch und Blut, dem Sitz allen Lebens. Es ist also kein Wunder, dass Menschen auf keinen anderen Farbreiz empfindlicher reagieren als auf „Rot“. Würden wir übrigens einen Stier hier in die Kirche führen, wären ihm die Rottöne völlig gleichgültig. Wie die meisten Säugetiere ist er rotblind und reagiert in der Arena nicht auf die Farbe, sondern auf das wilde Gefuchtel des Toreros. Es ist ein Wesensmerkmal des Menschen, dass er Rot besonders schnell wahrnimmt und mit einer breiten Palette von Emotionen verbindet. Schließen Sie einfach die Augen und erinnern Sie sich, welche rote Gegenstände in Ihrer Wohnung sofort vor ihrem geistigen Auge aufleuchten: süße, intensiv rote Erdbeeren, Rote Cola-Dosen, Küchengeräte, Nagellack, Kleidungs-stücke, Bücher. Ich habe im Vorfeld meiner Predigt festgestellt, dass Bücher mit rotem Einband mit Abstand die Mehrheit in meiner Bibliothek bilden. Sie stechen schon in den Schaufenstern der Buchhandlungen heraus und verleiten schneller zum Kauf als die gedeckten Farb-Titel. Aber vielleicht kommen Ihnen noch ganz andere Rottöne in den Sinn:

Der berühmte Rote Faden, den z.B. Pfarrer gerne bei der Predigt verlieren; die rote Linie, die keiner überschreiten soll, wenn er nicht mit Ihnen Ärger bekommen will; das Rote Kreuz, das ich rufe, wenn ich einen Unfall hatte; oder die Rote Karte, die man dem inneren Kritiker und allen, die das Leben schwermachen, zeigen sollte; aber auch der berühmte Rotstift, den Regierungen und Kirchen immer gerne bei Steuerzahlern und Gemeinden ansetzen wollen. Rot ist die Farbe der Mode, des Exklusiven und der Schönheit – im Russischen werden „rot“ und „schön“ synonym verwendet (Der rote Platz ist der schöne Platz) – aber v.a. die Warnfarbe, die uns auf Gefahren hinweist. „Rote Socken“ sind heute auch wieder „in“, nach der Wiedervereinigung dienten sie als Polemik gegen alle linksstehenden Politiker.
Die Farbe steht für Schnelligkeit, wie der berühmte rote Flitzer von Ferrari, aber auch für Widerspruch und Zorn wie der Kopf zeigt, der rot wird. In Rotlichtviertel haben wir Katholiken eh nichts verloren, aber an der roten Ampel bleiben wir als pflichtbewusste Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger immer stehen. Rot muss nicht meine Lieblingsfarbe sein, aber sicher ist sie die Farbe, die schneller und intensiver als alle anderen Farben unsere Aufmerksamkeit erregt. Klassisch wird „Rot“ z.B. auf Wikipedia definiert: „schön leuchtend, weder gelb, noch blau, gegenteilig zu grün.“ Obwohl „Rot“ eigentlich eine warme Farbe ist, verbinden wir mit ihr nicht unbedingt die Eigenschaft von Ruhe und Entspannung, sondern im Gegenteil Energie, Leidenschaft, Schnelligkeit, aber auch Aggression und Gefahr. Sie trägt in sich eine spannende Weite vom Harmlosen zum Besonderen: Wärme und Glut, Liebe und Erotik, schamhaftes Erröten und überhitztes Reagieren.

Rot ist, ob man es mag oder nicht, die Königin unter den Farben. Nicht ohne Grund ist Purpurrot das Herrschersymbol für Könige und Fürsten gewesen und das Kardinalsrot den höchsten Beratern des Papstes vorbehalten.

Aber „Rot“ ist auch der einzige äußerlich´wahrnehmbare Ausdruck des heutigen Pfingstfestes. Woran erkennen wir sonst, dass das Hohe Pfingstfest gekommen ist? Weihnachten hat ein breites Angebot an gut sichtbaren Traditionen und Ritualen: Baum, Krippe, Kugeln, Kerzen, Plätzchen und Volkslieder. Ostern kann da noch einigermaßen mithalten: Eier, Osterkerze, Osterlamm, Palmzweige…

Aber Pfingsten? Pfingsten kann das alles nicht bieten. Der Pfingstochse ist kein allzu weit verbreitetes Brauchtum in unserer Gegend. Es gibt keine eigenen Volkslieder, keine saisonalen Speisen, wenn man den Spargel nicht zum Pfingstessen machen will, keine Naturgegenstände mit Ausnahme der Pfingstrose, die in diesem Jahr punktgenau zum Fest blüht, die Pfingsten erkennen lassen, nur die Farbe „Rot“. An Pfingsten sehen wir Christen „rot“, in der Liturgie die Farbe, die an Palmsonntag, Karfreitag, Festen der Märtyrer und eben am Hochfest des Heiligen Geistes getragen wird. Immer wenn wir vom Geist reden, dann errötet das Gotteshaus. Es ist schon bezeichnend, dass die auffälligste Farbe für das abstrakteste der drei Hauptfeste unseres Glaubens steht. Vielleicht können uns drei „Rot“-Impulse helfen dem Fest des Heiligen Geistes auf die Spur zu kommen:

 

1. Das rote Telefon oder der heiße Draht

Der US-Präsident soll es beim G7-Gipfel in Hiroshima dabei gehabt haben und hat damit für einige Verärgerung bei der Bevölkerung gesorgt: Das rote Telefon. Gerade in der Stadt, die als erste überhaupt im August 1945 zum Ziel von Atombomben-abwürfen wurde, fand man es unpassend, dass Joe Biden den Verbindungsdraht zwischen Russland und den USA im Gepäck hatte, der über den Einsatz von Atomwaffen entscheidet. Zur Zeit läutet das Rote Telefon, das nach der Kuba-Krise 1964 als Verbindung zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion geschaltet wurde, wieder häufiger. Die Krisenlage der Welt ist so angespannt, dass das rote Telefon wieder zum heißen Draht wird, das in letzter Minuten eine völlige Eskalation der Lage verhindern soll. Wir können froh sein, dass es dieses Telefon gibt, wenn Diplomaten und Politiker mit ihren Verhandlungen gescheitert sind. Wenn nichts mehr geht und die Lage außer Kontrolle zu geraten droht, dann ist die letzte Hoffnung der Griff zum Roten Telefon, das dann heiß glüht, um das Schlimmste zu verhindern. Wir brauchen neben unseren Gebeten einen heißen Draht zu Gott, wenn wir in Gefahr sind, in Angst, Depression und Verzweiflung abzustürzen und so den Glauben an ihn zu verlieren. Der Heilige Geist ist jene letzte Hoffnung, die wir trotz aller widersprechenden Erfahrungen in die Güte Gottes und seine Begleitung haben, jener letzte Versuch, in dem nicht mehr viele Worte, sondern nur noch ein Seufzer über unsere Lippen kommt, wie es das Neue Testament beschreibt. Manchmal enden wir mit unseren gut gelernten und sprachlich ausgefeilten Gebeten in der Leere. Wenn uns dann doch noch ein letztes Ausstrecken nach Gott gegen alle Hoffnungslosigkeit gelingt, sehe ich den Heiligen Geist am Werk, der als Geist der Gottesfurcht und Frömmigkeit in uns gegen alle Resignation und Abwendung von Gott kämpft.

2. Der rote Faden

Mittlerweile sollte ich ihn wieder gefunden haben, den roten Faden. Der Pfarrer kann ganz unterhaltsam sein, wenn er ihn verliert, aber wirklich wissen, was er von uns will, wird dann in der Regel kein Zuhörer. Witzige Anekdoten, doch keine Botschaft: der rote Faden ist eben verloren. Der rote Faden steht für Logik, klare Überlegungen, Verständlichkeit und Zielstrebigkeit im Denken und Reden. Wer den roten Faden behält, kommt zu einem Ergebnis. Bekanntlich hat er seinen Ursprung in der griechischen Mythologie. Ariadne, Tochter des kretischen Königs Minos, gibt ihm dem Königssohn Theseus mit ins Labyrinth ihres Vaters, damit er wieder zurückfindet. Der Athener Jung-Heroe will die Heimatstadt endlich vom Zwang der Menschenopfern befreien, die Minos fordert als Gegenleistung für die Verschonung der Bürger, und schreitet mutig in den Irrgarten, in dem der Stier Minotaurus lauert, den er erlegt und dann dank des roten Faden auf schnellstem Weg wieder zur Königstochter zurückkehrt. Das Bild vom Irrgarten, der bekanntlich anders als das Labyrinth eng mit der Gefahr verbunden ist, sich zu verirren, trifft für viele Menschen auf das eigene Leben zu. Wie kann ich den Überblick behalten in einer Welt, die im Großen und Kleinen immer unübersichtlicher, verworrener und komplizierter wird. Einfache Lösungen gibt es für die großen Probleme der Weltfamilie genauso wenig wie für die Sorgen und Fragen der kleinen Familien, in denen wir leben. Bin ich auf der richtigen Spur, komme ich ans Ziel oder drifte ich ab in Perspektivlosigkeit und Überforderung. Viele Menschen fühlen sich aufs Abstellgleis verschoben, weil sie aus dem Beruf geschieden sind, sich nicht mehr gebraucht fühlen oder allein zurückbleiben. Wer hilft mir, die Richtung zu behalten: Die sinnbefreiten Weisheitssprüche im Internet, auch Kalendern oder WhatsApp sicher nicht. Es braucht eine innere Stimme, die mir sagt, wofür ich lebe und es sich anzustrengen lohnt. Der Heilige Geist ist der Geist des Rates, der Erkenntnis, der Stärke, also der Wegweiser, wenn alles undurchschaubar wird. Er ist der rote Faden, der mich daran erinnert, dass ich Begabungen und Charismen habe, wenn ich glaube, dass mein Leben geradewegs auf die Mauer am Ende der Sackgasse zurennt.

 

3. Die Rote Rose

Erinnern Sie sich noch? Irgendwas ist doch an Pfingsten immer besonders in der Stadtpfarrkirche: natürlich, der Rosenregen. Warten wir ab, ob er kommt. Nicht brennende Feuerzungen fallen auf uns herab, sondern Rosenblätter als Zeichen der Zärtlichkeit und Liebe. Viele erinnern sich sofort an den Wunsch von Hildegard Knef: „Für mich soll’s rote Rosen regnen, mir sollten sämtliche Wunder begegnen, / die Welt sollte sich umgestalten / und ihre Sorgen für sich behalten.“

Das Glück der Welt wünschen sich Menschen, die daran glauben, dass es für sie „rote Rosen“ regnen wird:

  • Eine glückliche Partnerschaft und Familie
  • Freundschaften, die halten für ein ganzes Leben?
  • etwas von Leben haben: Erleben und Mitnehmen, was sich bietet?

Die roten Rosen verheißen dieses Glück in Fülle, aber sie zeigen auch, wie zerbrechlich es ist. Rosen haben nicht nur Dornen, sie sind auch sehr empfindlich gegen über starken Druck, Kälte oder Sonne. Es braucht eine große Achtsamkeit, sie zu pflegen und blühen zu lassen. Unser Glück bekommen wir nicht mit dem Holzhammer und wir können es nicht verschenken wie einen Sack Kartoffeln. Es ist zerbrechlich und verlangt nach Zärtlichkeit. Der Heilige Geist ist der Geist der Weisheit und des Einfühlungsvermögens, der uns befähigt, uns in andere Menschen hineinzudenken, zwischen den Zeilen zu lesen und Untertöne zu hören, die oft mehr über die Sehnsucht meines Partners / meiner Partnerin aussagen als gesprochene und geschriebene Worte. Feinschliff verleiht uns der Heilige Geist, in dem er uns lehrt, die Dornen des Lebens zu beachten, dem anderen Menschen mit Fingerspitzengefühl zu begegnen und immer geleitet zu sein vom Wunsch, ihn glücklich zu machen, weil nur so auch ich glücklich werde.

 

Gerade am Festtag, dessen Inhalt und Sinn nur noch Eingeweihte kennen, feiern wir in fulminanten Rot das Zentrum des Lebens. Obwohl wir es das Hohe Pfingstfest nennen, will der, den wir feiern, der Heilige Geist, seinen Platz in unserem alltäglichen Leben finden und uns inspirieren, warnen, führen, antreiben und Orientierung geben. Heute beten wir „In der Glut hauch‘ Kühlung zu. Wärme, was erkaltet ist. Und erfülle uns neu mit deiner Kraft.“ Halten Sie die Augen offen, der Heilige Geist gibt sich viel offensichtlicher zu erkennen. Das Rot, das wir nicht nur heute in der Kirche sehen, gibt immer einen Hinweis auf ihn. Amen.

Predig_ROt.pdf