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Predigt Rochus 2021 „Wir haben noch Hoffnung“

Pfarrer Sven Johannsen, Lohr

Rochus_2021.pdf

Liebe Schwestern und Brüder

hätte ich vor einem Jahr geahnt, dass wir Rochus ein zweites mal in Pandemiezeiten feiern werden, hätte ich die Predigt auf zwei Jahre aufgeteilt. Aber irgendwie war es im August 2020 anders als in diesem Sommer. Damals hatten sicher manche schon geahnt, dass sich die Bedrohung noch hinziehen wird, aber wir haben, mit Ausnahme der ärgsten Schwarzseher, wohl alle gehofft, dass nicht in ein zweites Corona-Jahr gehen müssen. An Silvester haben wir uns gewünscht, dass 2021 besser werden soll als 2020. Jetzt ist diese Zuversicht sehr gering. Die Inzidenz-Zahlen haben früher zu steigen begonnen, die Reisebeschränkungen wurden schneller verschärft und in den Schulen ist genauso viel unternommen worden wie im letzten Jahr zu diesem Zeitpunkt, also nicht viel. Angeblich hat auch schon der Bundesgesundheits-minister einen Aufruf zum Durchhalten bis zum nächsten Frühjahr verkündet. Wir werden also nochmals in einen schwierigen Herbst gehen und wahrscheinlich wird auch 2022 noch ein Corona-Jahr sein. 2020 war das deutlich anders. Da waren wir euphorisch, dass wir es hinter uns haben und waren der Meinung, dass eine zweite Welle nur Geschwätz der Virologen und Politiker sei und sicher nicht kommen wird. Jetzt stecken wir schon in der vierten Welle und unserer Zahlensystem kennt ja die unendliche Zahl. Ein Blick in die Geschichte hätte uns gleich belegt, dass Pandemie die Menschheit immer lange in ihrem Bann hielten. Die große Pest um 1348 hat sich mindestens sechs Jahre hingezogen. Aber irgendwie waren wir der Meinung, dass wir das heute schneller in den Griff bekommen. Das offenbart natürlich auch unser Problem mit Krankheiten: Wir wollen schnelle Heilung, meistens aber erfordern sie viel Geduld. Ein Arzt hat sich einmal mit einem Handwerker verglichen, den man zur Reparatur der Heizung oder des Fernsehers ruft: Ein paar Handgriffe, evtl. noch ein paar Tabletten über einen bestimmten Zeitraum, dann muss alles wieder in Ordnung sein. Aber so verläuft in den meisten Fällen eine Krankheit nicht. Sicher gibt es Unfälle, die operiert werden, Verrenkungen, die wieder in die richtige Stellung gebracht werden, oder Brüche, die man schient und nach einiger Zeit ist es gut. Aber v.a. innere und seelische Erkrankungen können kaum mit schneller Heilung rechnen. Heilung will Zeit, und oft bedeutet Gesundheit nicht die Wiederherstellung des alten Zustands, sondern eine Versöhnung mit einer neuen Situation oder der Veränderung von Verhalten. Es glaubt ja niemand, dass bei einer Diabeteserkrankung das Spritzen der richtigen Insulin-Einheiten schon die Heilung ist? Es ist nur eine akute Maßnahme, die hilft in diesem Augenblick das Richtige zu tun unter den Bedingungen der Krankheit.

Was gibt es also an diesem Rochustag noch Neues zu sagen? Ist nicht alles nur Wiederholung und klingt nach Durchhalteparole? Hoffentlich nicht!

Die Dauer der Pandemie hat auch unser Nachdenken gewandelt. Die Frage nach dem „Warum“ der Pandemie scheint für die meisten Menschen nicht mehr von Interesse zu sein. Es ist wohl der Mehrheit der Weltbevölkerung egal, ob das Virus in einem Labor in Wuhan oder auf einem Markt oder beim Zubereiten von Fledermäusen den Anfang genommen hat. Auch die finsteren Propheten, die noch vor einem Jahr kündeten, dass die Pandemie eine Strafe Gottes sei, sind verstummt oder finden kein Gehör mehr. Natürlich wird man klären müssen, wo der Ursprung der Bedrohung zu finden ist, aber diese Frage beschäftigt heute Forscher und Politiker, nicht die breite Masse. Möglicherweise tritt jetzt verstärkt die neue Frage nach dem „Wozu“ an deren Stelle. Covid hat Langzeitfolgen, nicht nur im Blick auf die Gesundheit des einzelnen Menschen, sondern auch auf das Denken, Verhalten und die Weltsicht der ganzen Menschheit. Der Traum, dass wir irgendwann aufwachen und uns in den Nachrichten das Ende der Pandemie verkündet wird, ist zerplatzt wie Seifenblasen. Wir müssen lernen, mit der Bedrohung zu leben und nicht daran zu verzweifeln. Weder können wir erwarten, dass die Forscher die Krankheit einfach wegimpfen noch können wir uns einfach solange selbst einsperren bis alles wieder gut ist. Die Frage „Wozu“ richtet sich nicht in die Vergangenheit, sondern nimmt die „Zukunft“ in den Blick. Was wird sich verändern bzw. wie werden wir uns verändern angesichts dieser Erfahrung?

Viel Optimismus macht uns die Geschichte nicht bei der Suche nach der Antwort.

Nach dem Schwarzen Tod, die Pestwelle, die zwischen 1346 und 1353 von Asien kommend Europa heimsuchte und der möglicherweise bis zu 25 Mio. Menschen zum Opfer fielen, waren die Chronisten sehr ernüchtert über die Folgen. (vgl. Volker Reinhart, die Macht der Seuche. Wie die Große Pest die Welt veränderte; München 2021)

Sie beklagen einen Umsturz der Verhältnisse. Die alten Führungsschichten starben aus. Neureiche, die am Leid der Menschen verdienten, kletterten die Leiter der sozialen Verhältnisse hoch. Diejenigen, von denen man Beistand erwartete, Priester, Ordensleute, Politiker, Gelehrte, versagten und brachten sich selbst in Sicherheit. Angst vor Fremden und die Suche nach Sündenböcken verblendete die Menschen, so wurden z.B. in Würzburg noch vor Ankunft der Pest die Juden in einem Pogrom schon aus der Stadt vertrieben. An der Stelle ihrer alten Synagoge steht bis heute die Marienkapelle. Ähnliche Reaktionen lassen sich problemlos heute auch erkennen: der Versuch, in betrügerischer Weise mit der Not von Menschen Geld zu machen; das Schweigen der Bischöfe, als Altenheime und Krankenhäuser gesperrt wurden; auch in unseren Tagen gibt es wieder vermehrt antisemitische Tendenzen; ebenso steigt die Gereiztheit im Miteinander der Menschheit, begründet durch die Versuchung, Menschen verantwortlich zu machen für das Andauern der Pandemie. Nur nebenbei möchte ich bemerken, dass ich als Geimpfter nicht jeden Menschen, der Bedenken gegen eine Impfung hat, als Verschwörungstheoretiker oder unsolidarischen Egoisten sehe. Es bleibt die freie Entscheidung jedes Erwachsenen und es gibt gute Gründe, sich impfen oder auch nicht impfen zu lassen.

Die Geschichte macht uns also wenig Hoffnung, dass diese Erfahrung der Pandemie uns in irgendeiner Weise voranbringt. Die Gegenwart verbessert die Stimmung nicht. Wieder erleben wir, wie im letzten Jahr, dass Sorglosigkeit sich breit macht, wenn auf Mallorca die Strände und Bars geöffnet werden. Dann gibt es kein Halten mehr.

Bleibt die Hoffnung auf die Zukunft. Aber die scheint ja auf dieser Grundlage eher ein Luftschloss. Da würde uns wohl der Apostel Paulus vehement widersprechen. In der heutigen Lesung aus dem fünften Kapitel das Briefs an die Gemeinde in Rom tritt er mit Nachdruck ein für die Kraft der Hoffnung auf eine gute Zukunft. Die heutigen Verse schließen sich an seine Überlegungen an, was den Glauben an Gott auszeichnet. Er sieht auf Abraham und Sara, die beiden Erzeltern: Sie sind im hohen Alter noch kinderlos, ein schlimmes Schicksal in der Welt der Hirten und Nomaden. Ihr Name wird verschwinden. Kein eigenes Kind wird sie beerben. Aber sie vertrauen Gott, der ihnen einen Sohn versprochen hat. Das ist unrealistisch und widersinnig. Aber, so Paulus, die Erzeltern zeichnet ein Glaube aus, der „hofft gegen alle Hoffnung“, also auf Gottes Treue vertraut, auch wenn es nach menschlichem Ermessen keine Chance auf Erfüllung gibt. Sie werden nicht enttäuscht. Gottes Gerechtigkeit ist für Paulus seine Treue zum Menschen. Und gerecht gemacht wird der Mensch, wenn er daran festhält und das Vertrauen nicht aufgibt, auch wenn alles gegen eine glückliche Zukunft spricht. Das rührt aus der eigenen Erfahrung des Apostels, der nach vielen Misserfolgen, Verfolgungen und Gefahren nun den Weg nach Rom antritt mit der Hoffnung, weiter ans Ende der Welt zu kommen und dort das Evangelium Christi zu verkünden. Die Bedrängnisse des Apostels sind nicht mehr unsere Nöte, das ist sicher, aber seine Zuversicht, dass aus der Bedrängnis Hoffnung wächst lässt sich leicht auf uns übertragen. Ich bin fest überzeugt, dass viele Menschen in den vergangenen Monaten auch erlebt haben, was Paulus für sich bekennt, dass der Glaube sie getragen hat und ihnen Halt gab. Natürlich ist der Glaube kein Schutzschirm gegen die Krankheit. Er ersetzt die Impfung nicht. Aber wenn ich mehr als nur überleben will, also leben mit Aussicht auf Neues, dann brauche ich auch mehr als nur eine momentane Sicherheit, nämlich eine Zuversicht, die mir hilft, für mein Leben eine Perspektive und eine Vorstellung vom gelingenden Zusammenleben der Menschen zu entwickeln.

Mancher von uns hat vielleicht mit Gott seinen Frieden gemacht, also sich ausgesöhnt mit Schicksalsschlägen, Fragen und Zweifeln und lässt Gott jetzt einfach einen „guten Mann“ sein, wie man im Volksmund sagt. Paulus aber verspricht, dass wir Frieden haben mit Gott, weil im Kreuz Jesu offensichtlich wurde, dass Gott unsere Bedrängnis, unsere existentiellen Ängste um das Leben und unser Grübeln über die Rätselhaftigkeit des Leids nicht gleichgültig sind. Für die Bibel ist „Frieden“ nicht einfach nur das Schweigen von Waffen. „Schalom“ ist ein umfassendes Wohlergehen, in dem der Mensch sich nicht quält mit dem Verdacht, dass der andere etwas gegen ihn hat und gegen ihn arbeitet, in dem er ausgesöhnt ist mit der Begrenztheit und der Zerbrechlichkeit seines Lebens und so voll Vertrauen das Leben wagen kann. Das kann ich nicht nur aus der rationalen Einsicht, dass es eben weitergehen muss. Es braucht eine Grundeinstellung, die geprägt ist von Offenheit und Vertrauen in die Zukunft. Letztlich beschreibt das den Begriff „Hoffnung“ treffend.

Paulus formuliert in diesem Zusammenhang einen durchaus einleuchtenden Dreischritt:
„Bedrängnis bewirkt Geduld

Geduld Bewährung,

Bewährung aber Hoffnung.“

Christliche Hoffnung nimmt die Welt in den Blick wie sie ist: Es ist nicht alles gut in ihr und der Mensch lebt nicht in einem allumfassenden Wohlergehen. Aber die Bedrängnis hat nicht das letzte Wort, sondern die Liebe Gottes, die schon längst in unsere Herzen seit der Taufe ausgegossen ist als Zusage des Heiligen Geistes.

Der verstorbene Theologe Klaus Berger hat diese Einsicht die „Leichtigkeit der Erlösten“ genannt, weil sie „wissen, das alles schon hinter ihnen liegt.“ (Klaus Berger, Die Briefe des Heiligen Apostels Paulus. Meditationen zu den Sonntagslesungen; Freiburg i. Br. 2008)

Ich glaube, dass wir so eine Haltung in der Lebensgeschichte des Heiligen Rochus exemplarisch aufgezeigt bekommen. Er klammert nicht an Reichtum, Stand und Heimat. Er ist in seinem Helfen nicht besorgt, ob er etwas verlieren könnte und am Ende schlechter da steht. Vielmehr weiß er sich von Gott geliebt und bejaht, was ihn dazu führt, selbst aus Liebe den Kranken zu dienen. Er kann die Bedrängnis der Krankheit tragen, weil er vertraut, dass Gott ihn nicht allein lässt. Die Legende wird dies bestätigen durch den Hund, der ihn mit Brot versorgt. Und schließlich hat er die Geduld, fünf Jahre unerkannt und ohne Groll im Gefängnis auszuharren bis man am Toten den Beweis für seine Identität findet.

Die Hoffnung ist mehr als ein vages Vermuten und Tasten. Im Hebräerbrief (6,19) wird sie als Anker beschrieben, mit dem der Mensch sich im Leben festmacht. Ich mag jetzt utopisch klingen, aber ich bin überzeugt, wenn diese Hoffnung mehr Menschen erfüllt, wenn wir ihr mehr Raum geben, so wie Rochus, dann verändert sich etwas in der Welt. Dann wird die Angst, zu kurz zu kommen, die Sorge, nicht alles, was sich mir bietet, mitgenommen zu haben, und der eifersüchtige Blick auf den anderen Menschen, dem es scheinbar besser geht als mir, nicht mehr unser Leben in dieser Weise beherrschen wie wir es im Augenblick beklagen. Dann kann eine neue „Leichtigkeit der Erlösten“ unser Leben bestimmen und das wird Langzeitfolgen haben für die Welt.
Wir müssen noch durch einen schwierigen Herbst, aber wir können in dieser Zeit aus vielen Erfahrungen der Solidarität, der Ermutigung und der Gottesbegegnung, die es geben wird, auch Kräfte sammeln für eine Hoffnung, die unser Leben leichter, offener und froher sein lässt.

Dazu möge uns dieser Tag und die Fürbitte des Heiligen Rochus helfen. Amen.

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