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Predigt zum Rochusfest 2022 „Die Krise als Wiege der Hoffnung“

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Liebe Schwestern und Brüder

Eine Welt im Krisenmodus. Warum sucht man eigentlich noch jedes Jahr ein neues Wort des Jahres? 

Seit langer Zeit dominiert ein Begriff alles Nachdenken und Reden über die Welt, die Menschheit und die Zukunft: KRISE.

Energiekrise, Personalkrise, Ukrainekrise, Klimakrise, Wasserkrise, Gaskrise, Demokratie-krise, Pandemiekrise. Der Nahe Osten ist der Dauerkrisenherd der Welt. Jetzt reihen sich die Ukraine und Taiwan neu in die weltweiten Gefahren ein. Als Katholik braucht man nicht nur eine hohen Leidensfähigkeit, sondern schon fast ein absurde Lust an Krisenzuständen. Denn Skandale, Sorgen um Personal-, Gläubigen- und Finanzmangel, drohende Erosion der Volkskirche, Debatten um Ämter, Frauen, Moral und der Glaubensschwund zermürben schon seit Jahrzehnten selbst die getreuesten Kirchgänger. Wohin wir schauen: Krisen. Viele können das Wort „Krise“ schon gar nicht mehr hören, ignorieren einfach alle kritischen Bedrohungen  und leben so, als sei alles gut. Die Menschheit tanzt auf dem sinkenden Narrenschiff.

Schöne Aussichten: Wir fahren auf dem Meer der Krisen voll gegen die Wand. Dann ist es doch richtig, noch einmal zu leben als gäbe es kein Morgen, und genießen ehe alles vorbei ist. Es gibt viele Zeitgenossen, die haben sich diese Haltung zu eigen gemacht:  „Was interessiert mich das Morgen, ich lebe heute.“ Andere leugnen überhaupt, dass es Krisen gibt: alles von Bill Gates , Angela Merkel und dem Papst erfunden, um uns abzulenken und zu beherrschen.

Ignorieren und Leugnen sind zwei Versuchungen, denen viele Menschen im Angesicht von Krisen erliegen. Krisen flößen Angst ein, weil sie schnell in Verbindung mit Ausweglosigkeit gebracht werden.
Das ist aber gar nicht der ursprüngliche Sinn von „Krise“. Das griechische Original „krisis“ lässt sich zunächst ganz neutral wiedergeben mit den deutschen Begriffen „Meinung“ bzw.  „Beurteilung“, ist also nicht mehr als die gewissenhafte Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation. Weitergeführt wird es dann als „Trennung und Entscheidung“, also als einen Wendepunkt, der eine Veränderung der Situation bewirken soll. Ich schätze eine Situation ein, persönlich oder sogar global, überlege, was jetzt das richtige bzw. das falsche Verhalten ist, und handle so, dass eine Veränderung zum Guten, eingeleitet wird, so der ideale Umgang mit einer Krise. Eine Krise wird dann zur Gefahr, wenn ich wegschaue und die Dinge einfach laufen lassen, aber auch dann, wenn ich übertrieben und zum falschen Zeitpunkt handle. Im Blick auf die Zeit kann man zwei Verständnisse unterscheiden: Zum einen die Menge an Zeit, die ich habe, also die Jahre, Monate, Stunden, die ich messen kann und in denen meine Lebenszeit abläuft. Die Griechen haben sie „Chronos“ genannt. Zum anderen die Zeit, gefüllt und wahrnehmbar, geprägt durch  Freude, Sorge, Hoffnung, Glück,  Trauer. Die Griechen haben diese qualitativ hochwertige Zeit „Kairos“, „der rechte Augenblick“, genannt. Die Krise, also der Moment der Unterscheidung spielt sich in dieser zweiten Zeitdimension ab: In mir oder in der Welt drängt etwas auf Veränderung und es gilt, zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung zu treffen. Mache ich es vorher, dann handle ich aus Panik. Mache ich es zu spät, dann habe ich meist das Nachsehen. Viele erleben es so in der Partnerschaft. Wenn ich schon mit Angst und Sorge an den Traualtar gehe, dann werde ich nie glücklich. Wenn ich erst Hilfe zulassen, wenn die Sprachlosigkeit schon alles besetzt ist, dann wird nichts mehr zu retten sein.

In einer Krise gilt es den rechten Augenblick zu erkennen und die richtige Entscheidung zu treffen. Wir sagen manchmal, dass die Zeit reif sein muss für ein bestimmtes Handeln.

Menschen des 17. Jahrhunderts waren „krisengeschüttelt“. Sie erlebten regelmäßig frühzeitiges Sterben durch Krankheit oder Krieg. Denken wir daran, dass zur Zeit, als diese Kapelle gebaut wurde, der sog. Dreißigjährige Krieg sicher noch einigen Menschen gut in Erinnerung war, da ja nicht nur das Morden der Soldaten, sondern auch die Verwüstung der Felder und Wälder noch lange Folgen für die Menschen hatte. Sie hätten guten Grund gehabt, unzählige Prozessionen zu geloben und ständig hier auf den Berg zu gehen. Sie haben aber mehr versucht, in dieser bedrohten Wirklichkeit ein Fundament für ein „normales“ Leben für sich und ihre Familie zu finden. Dabei spielte zweifelsohne auch das Beten eine wichtige Rolle. V.a. aber galt es, das Mögliche zu tun, um das eigene Wohlergehen zu sichern. Die Aussage „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, ist durchaus keine Blasphemie, sondern beruht auf der Einsicht, dass Gott mir als Mensch genügend Fähigkeiten gegeben hat, viele Probleme selbst zu lösen. Es braucht aber auch die Wachsamkeit zu erkennen, wann ich an meine Grenzen stoße. So verstehe ich den Ursprung dieser Prozession. Man sollte nicht annehmen, dass unsere Vorfahren so naiv waren, Gott ein Versprechen zu machen und dann die Hände in den Schoß zu legen. Sie haben sich wohl bemüht, das ihnen Mögliche zu tun, wusste aber auch, dass letztlich ihr Geschick immer in Gottes Händen ruht. Das machten sie sich in besonderer Weise wieder bewusst angesichts der Krise durch die bedrohlich nahe  Pest und gelobten diese Wallfahrt. Sie haben sich nicht täuschen lassen durch religiöse Blindheit. Vieles, was heute im Hygieneverhalten selbstverständlich ist, war damals noch nicht bekannt, aber man suchte auch nicht zuerst nach Sündenböcken, denen man die Schuld für die Bedrohung gab und deshalb zu eliminieren suchte, wie es noch 300 Jahre zuvor bei den antijüdischen Pogromen in vielen deutschen Städten geschah (Das wäre 1666 eh schwierig, da die ersten Juden erst wieder rund 200 Jahre später sich in Lohr ansiedeln konnten). Krisen sind immer Ausnahmesituationen, auf die man mit panischer Hysterie oder mit dem Versuch, vernünftige Lösungen zu suchen, reagieren kann. Dieser Versuch aber setzt die Besinnung voraus, das Nachdenken und die Demut, sich selbst als nicht perfekt anzuerkennen. An diesem Punkt verorte ich bis heute den Sinn unserer Prozession. Sie hält keine Pandemien ab, aber sie macht uns bewusst, dass Leben immer ein Geschenk ist, über das ich nur begrenzt Macht habe. Ich bin im Blick auf mein Wohlergehen auch auf das Danken und Bitten angewiesen, um nicht der Hybris zu verfallen, dass ich meines Glückes alleiniger Schmied bin.
Ich nehme unsere Zeit wahr als eine zwiespältige Situation. Noch immer ist die Menschheit versucht, sich im Blick auf die Schöpfung und das Leben für allmächtig zu halten, und erscheint mitunter fixiert auf einen optimistischen Fortschritts-glauben, der immer nur mehr Reichtum, Gesundheit und Wohlergehen verspricht- Andererseit verfallen viele in einen Pessimismus, dass wir die Zukunft schon verloren haben. Lange waren wir geradezu unverbesserliche Optimisten, die glaubten, durch Wirtschaft und Technik eine perfekte Welt gestalten zu können.  Jetzt nehme ich verstärkt die gegensätzliche Sicht wahr: Der Mensch hat alles ruiniert und ist nicht fähig, die Dinge wieder zum Besseren zu wenden. Soziologen sprechen davon, dass wir im „postoptimistischen“ Zeitalter leben. Für viele heißt das, dass wir nun alle zu Pessimisten werden müssen angesichts der Unfähigkeit des Menschen, auf die vielen Krisen in der Welt zu reagieren. Ich glaube, dass es zum Absturz aus einem blinden Optimismus in den verzweifelten Pessimismus noch einen Alternative gibt: Der Weg der Hoffnung.
Paulus ist in dem Abschnitt, den wir heute als Lesung hören, überzeugt, dass die Krise die Wiege echter Hoffnung ist. Er baut eine logische Reihenfolge auf, die das begründet: „wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist,“ (Röm 5,3b-5)

Die Krise kann also, so hat es C.G. Jung schon erkannt, auch zur Chance werden im Leben des einzelnen Menschen, aber auch für die ganze Menschheit.

In einer Krise, das darf man nicht verleugnen, steckt immer eine Bedrohung. Erkenne ich eine Krise, gewinne ich die Einsicht, dass eine Situation so nicht bleiben kann, wenn es nicht zur Katastrophe kommen soll. Das macht Angst, denn in der Regel sind wir geneigt, bewährte Pfade zu gehen, die aber jetzt keinen Weg mehr eröffnen.

Das gilt für unseren Umgang mit der Schöpfung. Ich liebe es bis heute, mich ins Flugzeug zu setzen und ferne Länder zu erkunden. Aber diesen Luxus können wir uns angesichts der Klimakrise nicht mehr lange leisten.

Das gilt für unser Leben als Menschheitsfamilie. Natürlich möchte ich gerne meinen Wohlstand behalten. Aber die immer tiefer klaffende Wunde der Spaltung in arm und reich und die damit verbundene Gefahr eines Konflikts zwischen Nord und Süd verpflichtet uns doch schon aus Eigeninteresse, die Menschen in Afrika und Lateinamerika nicht zu übersehen.

Das gilt für die Kirche. Ich habe mich immer in meiner Kirche zuhause gefühlt, aber der massenhafte Exodus muss doch einen ernsten Willen zum Gegensteuern in Gang setzen, wenn wir nicht völlig in die Bedeutungslosigkeit versinken wollen und so den Menschen auch die Verkündigung der Frohen Botschaft vorenthalten.

Eine Krise ist der rechte Augenblick der Unterscheidung zwischen dem, was sich überholt hat, und dem, was die Zukunft braucht. Das darf natürlich nicht panisch geschehen. Kopfloses Agieren bringt keinen Ausweg, kluges Deuten der Zeichen der Zeit ist die Lösung. Im Bayerischen Rundfunk gibt es angesichts der vielen Krisen in unserem Land zur Zeit eine sehr innovative Sendereihe, heute wird so etwas Podcast genannt: „Dreimal besser“ Es wird eine Krise aufgegriffen, aber statt immer wieder das Problem durchzuackern, werden anhand von drei Beispielen Lösungen diskutiert Zuletzt stand die Frage im Mittelpunkt, wie am besten dem Personalmangel in allen Bereichen zu begegnen ist? Soll man einfach alle länger und mehr arbeiten lassen, also z.B. im Modell der Rente mit 67? Ist möglicherweise nicht das Gegenmodell, z.B. die Vier-Tage-Woche, also weniger Arbeit, aber mit höherer Zufriedenheit, besser? Oder muss nicht sogar ganz neu gedacht werden wie z.B. im Fall eines Krankenhauses, dessen Leitung das Personal übernommen hat und so nun über die Zukunft mitbestimmt. Gerade im Blick auf die Kirche wünschte ich mir solche Kopfleistungen. Wenn ich die wilden und undurchdachten Strukturänderungen in unserem Bistum sehen, dann kommt mir der Gedanke, dass alle wissen, dass das zu nichts führt, aber einfach im Rahmen der bisherigen Kirchenstruktur niemanden Besseres einfällt, also sollen jetzt alle pastorale Räume bilden, die schon in wenigen Jahren von der Wirklichkeit überholt werden. Im Blick auf die Krise der Kirche sehe ich zu wenig Anstrengung, wirklich tragfähige Lösungen zu finden. M.E. gefallen sich zu viele Vertreter der Kirche darin, sich selbst darzustellen und durch Polarisierung ins Rampenlicht zu treten. Wenn wir in der Kirche eine massive Krise des Amtes haben, aufgrund von Skandalen, aber auch von Veränderungen im Priesterbild und im Verhältnis von Mann und Frau, dann wird es doch keine Entweder-Oder-Lösung geben, also entweder „Augen zu und durch“ oder „nichts darf so bleiben, wie es war.“ Damit spalten wir nur weiter. Wäre es nicht wichtiger die Zeichen der Zeit zu deuten und zu fragen, ob das Amt in der Kirche wirklich ein so bestimmende Rolle spielen muss. Nach biblischer Überlieferung hängt nicht alles von Bischöfen und Priestern ab. Vielleicht müsste man statt die immer gleiche Forderung nach dem Frauenpriestertum zu erheben, die auf der andere Seite sofort den Vorwurf von Verrat und Häresie provoziert, tatsächlich zunächst mehr den Diakonat der Frau in den Blick nehmen und fragen, ob es nicht in dieser Kirche Entscheidungspositionen gibt, die auch Frauen offen stehen. Der Papst hat es vorgemacht und drei Frauen in die mächtige Kongregation für die Bischöfe geholt. Die sind also jetzt mitbeteiligt, wenn es um die höchste Autorität in der Kirche geht.

Kehren wir aber zu Paulus zurück. Für ihn führt die Krise zum Nachdenken, das neue Lösungsansätze ermöglicht. Aber er geht noch weiter: Am Ende steht die Hoffnung, die nicht zuschanden werden lässt, also blind macht und enttäuscht. Die eigentliche Haltung, die sich als „krisenfest“ erweist, ist die Hoffnung. Im Blick auf sie  wird man gut unterscheiden müssen zwischen Erwartungen und wirklicher Hoffnung.

Erwartungen an die Zukunft haben wir viele, aber nicht jede Erwartung ist auch eine Hoffnung. Oft erwarten wir uns etwas, das gar nicht möglich ist und allein auf einer falschen Einschätzung der Situation bzw. der eigen Person beruht. Solche Erwartungen / Hoffnungen werden in der Regel enttäuscht. Im Nachhinein geht uns aber auch oft auf, wie unrealistisch unser Denken war. Wahre Hoffnung lerne ich von den „hoffnungslosen“ Fällen bei Gesprächen mit chronisch Kranken, Sterbenden oder trauernden Angehörigen. Oft beeindruckt die Zufriedenheit, Lebensfreude und Gelassenheit des Kranken oder des Verstorbenen. Menschen, die sich von der Zukunft nichts mehr zu erwarten haben, v.a. keine Heilung oder Besserung ihrer Situation, geben ein Beispiel echter Hoffnung, wenn sie ihre Situation annehmen und die Zeit, die ihnen gegeben ist, recht füllen können. Wenn Familien von Menschen mit einer schweren Erkrankung, die wissen, dass ihnen nur noch begrenzte Zeit zur Verfügung stehen, beginnen nachzudenken, was jetzt wirklich wichtig ist und welche Schwerpunkte man jetzt noch setzen möchte, dann glaube ich, dass dahinter auch ganz viel Hoffnung steht, dass mein Leben einen Sinn hat und die Menschen, die ich liebe, auch über meine irdische Existenz hinaus mit mir verbunden sind. Ich bin überzeugt, dass Menschen, deren Ende - hoffnungslos - nahe ist, Zeugen der Hoffnung werden können, dass man ein gutes Leben führen kann. Das gilt nicht nur für gläubige Menschen. Denen aber hilft sicher auch der Glaube an die Auferstehung als Motivation für echte Hoffnung. Die wahre Hoffnung auf gutes und erfülltes Leben macht nicht gierig, sondern bescheiden. Sie lässt uns fragen, was wirklich zählt und wem ich in Liebe verbunden bleiben will? Wahre Hoffnung ist, so Martin Buber, „Urvertrauen“, also eine Grundsicherheit, dass mein Leben getragen und gehalten ist, auch in der Bedrängnis. Davon spricht Paulus in der Lesung. Menschen, die diese Urvertrauen haben, ob gläubig oder nicht, können viele zwanghafte Erwartungen an ihr Leben abgeben. M.E. lässt sich das vom einzelnen Menschen auf die ganze Menschheit und die Kirche übertragen. Wenn das Urvertrauen verloren geht, dann muss ich nur noch um meine Rettung kämpfen und versuchen mitzunehmen, was noch zu bekommen ist. Lebe ich als Menschheit im Urvertrauen, dass es auch für die nächste Generation möglich ist, gut zu leben, dann werde ich von einer Mentalität des Ausbeutens zu einer Haltung des Bewahrens für die Kommenden übergehen. Eine Kirche, die noch immer vertraut, dass letztlich Gott ihr Fundament ist, wird nicht versuchen, mit Vertuschung und Machtspielchen ihren Bestand zu sichern, sondern glauben, dass Gott einen Weg für sein Volk finden wird. Wir erleben nicht den Untergang des christlichen Glaubens, wohl aber die Verwandlung der christlichen Gemeinschaft.

Wir stecken in einer Krise, persönlich, kirchlich, global, aber sie führt nicht automatisch zum Ende, sondern ermöglicht einen neuen Anfang.

Wenn wir heute hier auf dem Berg stehen, dann leitet uns nicht die Haltung, dass wir noch einmal alle Glück gehabt haben, sondern die Dankbarkeit für jenes Urvertrauen, das uns hoffen lässt, dass in jeder Krise etwas Neues und Gutes aufblühen kann. Amen.

Sven Johannsen, Lohr

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