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Steh auf und iss, sonst ist der Weg zu weit für dich“

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Liebe Schwestern und Brüder

 

Über manche Nachricht aus dem Vatikan kann man eigentlich nur noch den Kopf schütteln. Da sitzen Kardinäle wegen Finanzskandalen auf der Anklagebank. Es werden geheime Unterlagen des emeritierten Papstes an Medien verkauft oder die Mafia benutzt die Vatikanbank als Ort der Geldwäsche. Eigentlich wundert uns nur noch wenig, wenn es um den kleinsten Staat der Welt geht. Im Kirchenstaat, der letzten absoluten Monarchie Europas unter der Herrschaft des Papstes, geht es menschlich, oft allzu menschlich zu. Da suchen Menschen ihren finanziellen Vorteil, kämpfen Parteiungen gegeneinander und versuchen Priester, „Karriere“ zu machen. Mitunter aber bekommt man auch fast Mitleid, wenn so eine „Erfolgsstory“ jäh endet. Genau das ist dem Geburtstagskind des vergangenen Freitag passiert. Erzbischof Georg Gänswein, der Privatsekretär des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Umjubelt als der George Clooney der katholischen Kirche, der „schöne Mann im Hintergrund“ (BR) und geheime Strippenzieher während des Pontifikats des deutschen Papstes, feierte er am 30. Juli seinen 65. Geburtstag und ist nicht wirklich glücklich. In einem Alter, in dem für die meisten Menschen endlich der Ruhestand beginnt, fühlt er sich übergangen und vom Nachfolger seines Chefs zu Unrecht ins Abseits gestellt. Der Bischof mit Glamourfaktor aus dem Schwarzwald ist zwar immer noch Präfekt, also Leiter des päpstlichen Hauses, eine durchaus wichtige Position, aber Papst Franziskus hat ihn nach einem Konflikt um eine Stellungnahme des emeritierten Papstes zum Zölibat von allen Aufgaben beurlaubt und ihn ganz für die Betreuung von Papst Benedikt freigestellt. Was so fürsorglich klingt, ist eine Entmachtung. Ein Erzbischof, der einmal ganz oben war und dem alle Türen im Vatikan offen standen, sitzt nun mit einem 94jährigen Greis in den vatikanischen Gärten und ist ausgeschlossen von allen Machtspielchen, die gerade im Kirchen-staat, laufen. Er fühlt sich zu Unrecht ausgebootet, so hat er es in einem Gespräch mit Papst Franziskus betont, aber Franziskus scheint die Gabe zu haben, sich lange erinnern zu können, ob jemand gegen oder für ihn gearbeitet hat. Jedenfalls gab Erzbischof Gänswein in ein em Gespräch mit der Zeitschrift „Die Bunte“ zu, dass ihn die Entscheidung des aktuellen Papstes geschockt habe, nicht mehr für ihn tätig sein zu dürfen, und er sich bestraft fühlt für einen Fehler, den er nicht zu verantworten hat. Sogar gesundheitlich hat diese Zeit Spuren hinterlassen. Die Entscheidung des Papstes ist ihm tatsächlich an die Nieren gegangen.

Man kann sich jetzt schadenfroh darüber amüsieren, dass jemand, der sicher zu seiner Zeit ein Meister der Diplomatie war, so tief stürzt, aber, unabhängig von der Frage nach eigener Schuld, lässt sich doch an ihm eine Erfahrung aufzeigen, die viele Menschen machen müssen, die sich plötzlich am Ende eines erfolgreichen Weges im Abseits wiederfinden oder in eine Sinnkrise geraten.

Einer von ihnen wird uns heute modellhaft in der ersten Lesung aus dem ersten Buch der Könige vorgestellt: Der Prophet Elija. Er hat allen Grund zu zweifeln und zu klagen, dass doch alles keinen Sinn mehr macht. Nachdem Königin Isebel, die selbst nicht aus Israel stammte und einer fremden Religion angehörte, ein Massaker unter den Propheten Jahwes anrichten ließ, entkommt allein Elija und fordert nun seinerseits die Priesters des Baals, die von Isebel gefördert werden, zum Zweikampf heraus, den er natürlich mit Gottes Hilfe gewinnt. Verblendend von Rache treibt er nun die Israeliten an, alle Baalspriester zu töten. Isebel reagiert darauf mit der Drohung, ihm auch das Leben nehmen zu lassen. In dieser Situation schweigt Gott. Er macht sich rar und überlässt Elija anscheinend seinem Schicksal. Der Prophet, der für ihn gekämpft hat, kann nun nicht mit der Hilfe Gottes rechnen. Elija fühlt sich von Gott im Stich gelassen und geht in die Wüste zum Sterben. Hier legt er sein Leben in die Hände jenes Gottes, an dem er gerade gezweifelt hatte. Und Gott handelt, anders als Elija es wollte. Der gebrochene und erschöpfte Prophet darf nicht einfach sterben, sondern muss sich nochmals aufmachen und die Wüste durchqueren, um Gott auf dem Horeb zu begegnen.

Gott gibt dem Elija Brot zum Überleben und schickt ihn gleichzeitig in die Wüste. Ein sprechendes Bild. In der Regel nehmen wir die Wüste als Ort der Todesgefahr und der Einsamkeit wahr, aber in der Bibel ist sie seit der Befreiung Israels aus Ägypten der Ort der Gottesnähe. Israels Propheten werden dies Wüstenzeit später als Zeit der ersten Liebe, als „Flitterwochen“ deuten. Hier in der Wüste ist der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen. Hier hat er nichts mehr außer sich und Gott. Hier zählen keine Erfolge, kein Besitz, kein Ansehen und keine Leistung. Das Brot ist das Bild für alles, was notwendig ist zum Überleben. Davon berichten die Legenden über die ersten Mönche, die ja alle Wüstenbewohner waren, immer wieder. Gott versorgt z.B. den Einsiedler Paul von Theben jeden Tag durch einen Raben mit einem halben Brotlaib. Brot wird in diesem Zusammenhang tatsächlich zum Lebensmittel, also echtes Mittel zum Leben und nicht Luxusartikel mit einer großen Breite an Geschmacksvarianten. In der Wüste lernt der Mensch, worauf es in seinem Leben ankommt. Es ist eine Zeit der Quarantäne, vierzig lange Tage, die ihn auch innerlich gesunden lassen können.

Was brauche ich zum Leben? Gerade in den Durststrecken und Wüstenzeiten wird doch deutlich, was wirklich elementares Mittel zum Leben für jeden von uns ist: Partnerschaften und Freundschaften, auf die man sich unbedingt verlassen kann, ein ermutigendes Wort von einem Mensch, dem wir es auch abnehmen, dass er es ehrlich meint, eine Zusage für ein Gebet, wenn wir selbst es nicht mehr können.

Solche Wüstenerfahrungen können auch Hochzeiten des Glaubens werden. Das Wüstenbrot des Elija, das ihn für einige Zeit stärkt, wird zum Vorbild für das Brot des Lebens, das Jesus Christus ist und das uns stärkt für den ganzen Weg bis zu Gott. In jeder Eucharistie feiern wir das Mittel zum Leben, das absolut notwendig ist: Die ermutigende Nähe Gottes zu uns in einem kleinen Stück Brot. Das mag uns nicht immer so bewusst sein. Doch immer dann, wenn wir zur Kommunion treten, können wir uns sagen: „Gott ist da. Er gibt sich uns in die Hand und geht selbst in die Wüste meines Herzens hinein, um mich zu stärken wie den Elija.“ Die Eucharistie, die Begegnung mit Christus, dem Brot des Lebens, soll zur Kraft werden, unseren Weg weiterzugehen, auch wenn er durch die Wüste führt, und uns bestärken in dem Vertrauen, dass doch alles einen Sinn hat.

Erzbischof Gänswein kann heute sagen: "Der Glaube half und hilft mir anzunehmen, was ich im Augenblick nicht verstehen und einsehen kann“ Er ist überzeugt, „dass selbst Lebensphasen, die sinnlos erscheinen, im Tiefsten doch einen Sinn haben - den man allerdings auf den ersten Blick nicht erkennt." (https://www.domradio.de/themen/vatikan/2020-12-29/wie-eine-bestrafung-empfunden-erzbischof-gaenswein-von-franziskus-entscheidung-geschockt)

Vielleicht muss ein Bischof so etwas sagen, aber ich glaube es ihm sogar. Es kann mitunter eine Hilfe sein, ausgebremst zu werden und sich wieder der Frage zu stellen, was wirklich Mittel zum Leben für mich ist. Vieles wird uns einfallen: Familie, Freunde, Lebenssinn, Glück. Hoffentlich begegnen wir dabei auch Gott und spüren, dass er uns wirklich nahe ist und uns einmal vollenden wird am Ende unseres Lebens, wenn es keinen Hunger und keinen Durst mehr gibt. Amen.

Sven Johannsen, Pfarrer

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