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Das Hochamt am Weihnachtstag gestaltete die Kantorei mit der Messe "vidi spexiosam" von Thomas Ludovico da Vittoria. Pfarrer Johannsen legte die Weihnachtsbotschaft ausgehend vom Schlagwort "Raus aus der Komfortzone" aus.

 Predigt am Weihnachtstag 2019

Weihnachten 2019

 

„Raus aus der Komfortzone“

 „Raus aus der Komfortzone, und zwar bald!“ so raten es Karriereberater, Lebenstrainer und viele andere, die wissen, wie Menschen ihre Persönlichkeit entwickeln und angeblich zu ganz neuen Möglichkeiten aufblühen können.

„Raus aus der Komfortzone“, das raten Politiker unserer Jugend, die den jungen Menschen immer mehr verdächtigen, bequem, unpolitisch und zu bieder zu sein. Nur wer seine Komfortzone verlässt, kann sich entwickeln, etwas bewegen und erfolgreich sein.

Was ist das eigentlich die Komfortzone?

Ob da wirklich wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse dahinter stehen, darf man bezweifeln, aber als Weg zum Erfolg, wird das Schlagwort gerne hergezogen. So gibt es ein populärwissenschaftliches Modell, nach dem die Menschen in drei Zonen leben:

Komfortzone, der

Wachstumszone

Panikzone.

Die Komfortzone umfasst eigentlich alles, was wir kennen und uns vertraut ist: Räume, Handlungen, Abläufe, Beziehungen, Pflichten, Gewohnheiten. Die Komfortzone ist das Leben, das wir führen und das uns bestens vertraut ist mit seinen Ritualen, mit seinen Traditionen, mit Menschen, die uns begleiten.

Es ist komfortabel in der der Komfortzone: Hier sind wir sicher, hier kennen wir uns aus, hier fühlen wir uns wohl, oder wenn nicht, dann zumindest sind wir hier ohne Angst, weil nichts Überraschendes passiert oder getan wird.

Nun sagen uns kluge Leute, dass man in dieser Komfortzone nicht wachsen kann als Mensch, sondern beschränkt bleibt, bequem und ideenlos wird. Erfolgreiche Menschen müssen die Komfortzone verlassen. Nur dann können sie wachsen.

 

Weihnachten ist von diesem Zwang „Raus aus der Komfortzone“ gleichsam ausgelöst: Ein junges Paar wird gezwungen, ihren vertrauten Ort Nazareth zu verlassen, die gewohnte Umgebung, ihre Großfamilie und den gewohnten Lebensabläufen. Keine besonders feudale Komfortzone, aber auch nicht die bitterste Armut. Der Handwerker Josef wird im nahen Sephoris, einer aufstrebenden Residenzstadt, genügend Arbeit gefunden haben. Aber die wirtschaftlichen Veränderungen unter den Römern machen es einem Selbstständigen, auf sich allein gestellten Bauzimmerman schwer, irgendeinen Luxus zu erwerben. Aber sicher haben sich die beiden eingerichtet in ihrem Leben: Heirat, Familie, ein Leben im Dorf.

Aber seit gestern sind sie unterwegs. Der Befehl des Kaisers zwingt sie, die Komfortzone Nazareth zu verlassen, und sich auf den Weg zu machen nach Bethlehem, später sogar nach Ägypten. Und jetzt ist es nicht Wachsen, was ihnen bevorsteht, sondern Panik: Fehlende Aufnahme, Verfolgung, Bedrohung des Lebens, Verlust von Haus und Habe. Sie ähneln den Menschen, die heute auf der Flucht sind, in Griechenland sitzen und darauf warten, dass wir ihnen Einlass gewähren.

Weihnachten treibt Menschen aus der Komfortzone: Maria und Josef, die Hirten, die ihre Herden verlassen, die Magier, die sich aufmachen aus ihren Palästen auf eine ungewisse Reise. Die Komfortzone muss kein Schlaraffenland sein, es reicht, dass man auch in der kargen Welt der Hirtenfelder oder des Stalles einen festen Lebensmittelpunkt findet. Auch aus diesen Komfortzone schickt der Engel Menschen fort und macht uns gleichzeitig wachsam für das Schicksal der Menschen, die gezwungen werden aus so vielen Gründen, ihre gewohnten Lebenswelten zu verlassen.

 

Ausgangspunkt aber ist der Schritt Gottes heraus aus seiner Komfortzone, seinem Himmel. Er verlässt ihn und wird in Jesus Mensch auf dieser Erde wie wir. Der Philipperhymnus drückt es so aus: „Er entäußert sich und wurde wie ein Sklave, uns Menschen gleich.“ (Phil 2,3)

Dieses kurze Bekenntnis entfaltet der Prolog des Johannesevangelium, den wir Jahr für Jahr als Evangelium des Weihnachtstages hören.

Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet,
kam in die Welt.
Er war in der Welt
und die Welt ist durch ihn geworden,
aber die Welt erkannte ihn nicht.
Er kam in sein Eigentum,
aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.

 

Warum tut Gott das? Hat er nicht genug mit seinem Himmel?

Er, der Herrscher über Himmel und Erde, verkriecht sich nicht in seinem Palast und schaut dem Treiben auf der Erde tatenlos zu. Nein er geht einen radikalen Schritt hinaus aus seiner vertrauten Umgebung des

Himmels. Und er macht das so konsequent, dass Karl Rahner sagen kann:

Gott ist zu uns gekommen, so gekommen, dass er nur mehr mit der Welt und uns zusammen heim kann in seinen eigenen schrecklich herrlichen Glanz

Er verlässt seine Komfortzone aus einem einzigen Grund: Dass die Menschen wachsen können, dass sie das umsetzen, Franz Kamphaus einmal so beschrieb: „Mach's wie Gott und werde Mensch.“

Biblisch heißt das heute im Evangelium:

Allen aber, die ihn aufnahmen,
gab er Macht, Kinder Gottes zu werden,

 

Weihnachten ist Gottes erster Schritt aus seiner himmlischen Komfortzone, damit wir ihm folgen, zum Wachstum kommen und uns nicht in der Panikzone verlieren.


Über diesem Weg aus der Komfortzone steht das Wort des Engels aus der Heiligen Nacht „Fürchtet euch nicht.“ Am Ostermorgen wird er dieses Wort vor den Frauen wiederholen im Angesicht des Grabes.

 

Es gibt genügend Gründe, diese Welt als Panikzone zu verstehen, sich lieber zu verkriechen und klein zumachen, also aufzustehen und zu wachsen:

Der Ton in unserer Gesellschaft wird rauer. Nicht nur extreme Politiker greifen zu Parolen voller Feindschaft gegen andere Menschen. Wir erleben untereinander, in Stadien, auf Straßen und Pausenhöfe wie Hemmschwellen schwinden.

Gleichzeitig macht sich wie ein Tumor ein Egoismus breit, der Menschen dazu verleitet, ihre eigenen Interessen mit allen Mittel durchzusetzen.

Wir erleben Gewalt, die man nicht mehr verstehen kann. Friedliche Menschen fürchten um Leib und Leben auf Bahnhöfen und Straßenbahnstationen.

Wir haben gute Gründe uns zu fürchten. Furcht aber macht klein, drängt in sichere Höhlen. Weihnachten aber lebt aus dem Mut zum Aufbruch und zum Wachsen. „Fürchtet euch nicht“, heißt auch „Habt keine Angst vor dem Neuen, vor dem Wachsen in Gottes Zukunft.“ Wohin? Wir haben die Macht, Kinder Gottes zu werden. Das ist unser Ziel.

Gestern Nacht wurde uns im Titusbrief ein Wort mitgegeben

Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. Sie erzieht uns dazu, ... besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt zu leben, während wir auf die selige Erfüllung unserer Hoffnung warten“

 

Weihnachten ist das Fest einer großen Hoffnung für die Menschheit und die Welt. Eine Hoffnung, die uns wachsen lässt hin zu einer

Frömmigkeit, die nicht frömmelnd daherkommt, sondern ganz aus dem Vertrauen in Gott den Menschen immer wieder das letzte große Ziel seiner Lebensreise in Erinnerung ruft.

Gerechtigkeit, die nicht einfach nach Recht und Gesetz urteilt, sondern dem Menschen und seinem Leben gerecht wird.

Besonnenheit, die nicht reinfällt auf Parolen, Panikmache, Stammtischsprüchen und einfache Lösungen, sondern tiefer fragt nach dem Geist des Menschgewordenen Gottes, der unsere Denken und unser Handeln durchdringen soll.

„Raus aus der Komfortzone des Selbstmitleides, der Zweifel, der Abschottung und wachsen in Gottvertrauen, Gerechtigkeit und Besonnenheit“, so macht uns Weihnachten zu Mitarbeitern der Hoffnung und der Freude, die uns von den Engel verkündet werden. Wer als weihnachtlicher Mensch wächst, gerät nicht in Panik, sondern in eine neue hoffnungsvolle Weite, von der Paul Gerhard in seinem Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippe“ hier, erzählt:

Ich sehe dich mit Freuden an / Und kann mich nicht satt sehen / Und weil ich nun nichts weiter kann / Bleib ich anbetend stehen. / O dass mein Sinn eine Abgrund wäre / Und meine Seel ein weites Meer, / dass ich dich möchte fassen.

Gottes Engel ruft uns aus der Komfortzone zum Wachstum als angstfreie und weit denkende Menschen, die Boten der Hoffnung werden. Amen.

 

 

 

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