„Leider sind Menschen Menschen.“
[Zitat aus der Überschrift: BILD-Zeitung vom 09. Mai 2025, S. 10]
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Am Tag nach der Wahl unseres neuen Papstes Leo XIV. war in der BILD-Zeitung diese Schlagzeile zu lesen. Die Überschrift bezog sich aber nicht auf die Wahl des Kandidaten des Konklaves, sondern auf ein anderes mahnendes und wichtiges Ereignis am 09. Mai 2025. Vor zwei Wochen und zwei Tagen starb die Zeitzeugin und Überlebende des Holocaustes, Margot Friedländer. Genau 80 Jahre nach der Befreiung aus dem Nationalsozialismus ging ihr irdisches Leben zu Ende. Ein Leben zwischen Leid und Freud, zwischen Angst und Zuversicht und zwischen Tod und Leben. Sie war eine jüdische Gefangene des Konzentrationslagers Theresienstadt.
Auf die Frage, ob sie über die aktuellen politischen Entwicklungen in Besorgnis sei, antwortete sie der Bildzeitung: „Leider, sind Menschen Menschen. […] Also wird`s wahrscheinlich weiter so sein.“ [Zitat aus dem Artikel: BILD-Zeitung vom 09. Mai 2025, S. 10] – Eine realistische oder pessimistische Sichtweise dieser Frau, die viel erleben mußte?
Daß es in der frühen Kirche schon menschelt, erzählt uns der heilige Lukas in der Apostelgeschichte. Die zentrale Frage, die sich den ersten Anhängern Jesu stellt, ist nicht die vordergründige Frage nach der Beschneidung. Das eigentliche Problem ist, wer gerettet werden kann und wer nicht. Wer hat das Heil gepachtet und wer ist verdammt – ganz überspitzt ausgedrückt. Auch diejenigen, die Jesus persönlich kennen und durch ihn eine Ahnung von Gottes Gegenwart bekommen, bleiben Menschen mit Stärken und Schwächen. Sie schließen andere Menschen (unbewußt) aus, weil sie von ihrem kulturellen Verständnis nicht anerkennen können, daß auch die neubekehrten Anhänger Jesu gerettet werden. Sie tun das aber nicht aus einem bösen Willen heraus; sie wissen es einfach nicht besser. Und der Schritt vom Judentum der Antike zum Heidentum in jener Zeit ist ein enormer.
Trotzdem stellt sich ihnen die wichtige Traditionsfrage: Kann ich auch ohne die Beschneidung ein Anhänger Jesu werden und sein? – Und das ist keine unbedeutende Frage, denn es geht hierin um den Fortbestand des christlichen Glaubens. Und nun zeigt sich die Menschlichkeit der frühen Christen, aber in positiver Weise: Trotz allem Streit gehen sie offen mit der Frage um, was der richtige Weg für die Menschen ist, die keine Herkunft im monotheistischen Glauben und seinen Traditionen haben. Sie haben ihre Meinung, lassen sich aber durch den Rat der Apostel eines Besseren belehren. In dieser entscheidenden Stunde beraten sie als Gemeinschaft mit der frühen Kirche, was gut ist für alle in dieser Situation. Das ist es, was Menschlichkeit ausmachen kann. Ich gehe mit meinen Anfragen und Problemen nicht alleine mit mir selbst um, sondern binde mich an die Gemeinschaft, soweit es für mich möglich ist.
Auch das birgt freilich die Gefahr, wie zur Zeit der unterschiedlichen und schrecklichen Diktaturen des letzten Jahrtausends pervertiert zu werden und den Menschen nicht Gutes, sondern Böses zu bringen. Ohne Frage! Aber die frühe Gemeinschaft der Kirche beruft sich dabei auf einen Garanten dafür, daß diese wichtige Entscheidung nur gut werden kann. Zur eigenen, fehlerhaften Menschlichkeit kommt jemand hinzu. Es ist derjenige, den Jesus im Evangelium vorauskündigt; es ist der Heilige Geist. Er wird „Beistand und Tröster“ der Menschen genannt. Mit seiner Hilfe kann der Mensch nicht irren, wenn er wirklich auf ihn vertraut und zu ihm betet.
Ich weiß natürlich, daß wir ihn nicht sehen oder gar berühren können. Aber ich kann ihn in mir zu gewissen Zeiten spüren. Vielleicht haben Sie an Ihrer Firmung oder an Ihrer Hochzeit oder auch am Empfang des Sakramentes der Versöhnung auch dieses Getragen sein von Gott bemerkt. Und genau das ist die Frucht des Heiligen Geistes. Es ist ein innerlicher Friede, der nicht überboten werden kann. Dieser Friede macht uns wirklich zu Menschen, zu guten Menschen, im alltäglichen und beruflichen Umgang und auch, wenn es mir mit einer Person schwer fällt. Auch dann stehe ich vor der entscheidenden Frage, wie die frühen Christen: Traue ich dieser – wie auch ich fehlerhaften – Person dennoch zu, zu Gott zu gehören? Denn genau das meint ja die Tradition der Beschneidung. Es geht aber mehr darum, daß mein Herz bei Gott ist; und das ist mehr als ein äußerliches Zeichen.
Liebe Schwestern und Brüder!
„Leider sind Menschen Menschen.“ Und Menschen tun anderen Menschen grausames und schreckliches an. Aber es ist ebenso wichtig, das Gute im Anderen zu sehen und auch entdecken zu wollen. Das gelingt aber nur mit Gott an meiner Seite! Die Vergangenheit des Menschen kann ich nicht ändern. Ich kann sie aber annehmen und darf von ihr lernen für meine, für unsere Zukunft – als Menschen.
Und so möchte ich schließen mit dem jüdischen Totengebet – dem Kaddisch – für Margot Friedländer, für alle jüdischen Frauen und Männer und alle Menschen, die durch die schlimmen Regime ums Leben kamen.
Groß und geheiligt möge sein erhabener Name werden in der Welt, die Er nach seinem Willen geschaffen hat, und Er lasse Sein Reich zur Herrschaft gelangen während eurer Lebenszeit und in euren Tagen und während der Lebenszeit des ganzen Hauses Israel sogleich oder doch in naher Zeit. Amen! Wahr ist es!
Sein großer gepriesener Name sei für immer und ewig gelobt. Gepriesen, verherrlicht, erhoben, erhöht, geschmückt, gesteigert und verehrt sei der Name des Heiligen – gepriesen sei Er – der erhaben über jeden Preis, jedes Lied, jeden Ruhm und jede Tröstung, die hienieden gesprochen werden können. Amen!
Voller Frieden vonseiten Gottes und glückliches Leben sei uns und ganz Israel beschieden. Amen!
Der in seinen Höhen Frieden stiftet, er schaffe auch uns und ganz Israel Frieden. Amen!
Kaplan Tommy Reißig
Kaddisch-Gebet: Chajim Guski, Das Kaddisch-Gebet, https://www.talmud.de/tlmd/das-kaddisch-gebet/ [13.12.2013].
Bild: pfarrbriefservice.de