Predigt zum Festtag der heiligen Anna und Joachim 2025 – Ein „heiliger“ Generationenkonflikt

 

Liebe Festgemeinde, liebe Einheimische und für heute Zugereiste,
liebe Schwestern und Brüder, liebe Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung,

noch sind es genau 165 Tage und das Jubeljahr mit den Heiligen Pforten in Rom wird wieder be- und geschlossen. Unzählige Menschen sind seit dem vergangenen Weihnachtsfest nach Rom gepilgert, um diesem großen Ereignis beizuwohnen, zu beten und durch die Gnadenpforten zu gehen. Sicher waren auch sehr viele gekommen, um dem Requiem und der Beisetzung von Papst Franziskus beizuwohnen und sein Grab zu besuchen. Er hatte das Heilige Jahr ausgerufen und eröffnet; sein Nachfolger, Papst Leo XIV. führt es nun weiter. Das Motto „Pilger der Hoffnung“ bleibt also über die nächsten fünf Monate bestehen. Aber was wird nach dem 06. Januar vom Heiligen Jahr übrig bleiben?

Papst Franziskus schreibt in der Verkündigungsbulle:


14. Zeichen der Hoffnung verdienen die älteren Menschen, die oft Einsamkeit und Verlassenheit erfahren.


Unsere Gesellschaft lebt zweifelsohne in einem Interessenskonflikt. Während die jüngeren Generationen immer wieder auf die modernen Technologien schauen und auf die Sozialen Medien vertrauen, sind die älteren Menschen von diesen Entwicklungen oft überfordert. Während es in früheren Zeiten üblich war, daß mehrere Generationen zusammen in einem Haus gelebt haben und die älteren, hilfsbedürftigen Familienangehörigen zu Hause gepflegt wurden, schaut die Realität heute anders aus. Obwohl es sehr gute Senioreneinrichtungen und medizinische Häuser gibt, die sich vorzüglich um unsere Großeltern kümmern. Die Jungen und die Alten scheinen sich nicht mehr richtig zu verstehen: Für die Jugend kann der Fortschritt gar nicht schnell genug gehen; für die Alten – das meine ich respektvoll – war „früher doch alles besser“.

 

Papst Franziskus mahnt daher alle Christen und die Zivilgesellschaft, die älteren Menschen zu ehren für das, was sie für uns getan haben. Ohne sie wären wir heute nicht das, was wir sind; hätten wir nicht diesen Standard und ich wage zu bezweifeln, daß unser christlicher Glaube sich in den letzten Jahrzehnten durch getragen hätte. Diese Menschen sind und bleiben weiterhin unsere Vorbilder im Leben und im Lieben, im Hoffen und Beten. Darum haben wir für sie eine menschliche wie auch christliche Verantwortung, wie ein Erbe durch die Generationen hinweg. Daß wir dieses Erbe weiter tragen, zeigt der heutige Gedenktag und daß Ihr heute Morgen als Pilger zusammengekommen seid. Schließlich sind es ja zwei Senioren, an die wir uns nun erinnern: Anna und Joachim, die der Überlieferung nach die Großeltern Jesu waren. Beide werden in der Heiligen Schrift nicht erwähnt. Nur der Vater von Josef wird einmal kurz genannt. (Wer aus dem Kopf weiß, wie dieser hieß, bekommt eine Flasche Wein von mir geschenkt…) Die Tradition aber sagt, daß beide in hohem Alter waren, als sie ein Kind von Gott geschenkt bekommen. Sie symbolisieren wie kaum eine andere biblische Figur das Altgediente und Altbewährte. Sie sind gewissermaßen eine Brücke vom Alten Testament mit dem großen Gott, der nicht richtig zu erfassen ist, hin zum Neuen Testament, in dem Gott ein Gesicht, Hände und Füße und einen menschlichen Namen bekommt.

 

Auch wenn beide, Anna und Joachim, nicht im postmodernen, technologischen Zeitalter leben, erleben auch sie einen Konflikt zwischen den Generationen. Der Evangelist Matthäus berichtet uns davon [Mt 13,17]: „Viele Propheten und Gerechte haben sich danach gesehnt zu sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und zu hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.“ Das Volk Israel wartet zu jener Zeit sehnlichst auf eine Zeitenwende; auf etwas Neues; ja, auf eine Antwort Gottes für ihre Lage. Sie verstehen diese Zeit nicht mehr, in der sie Unterdrückung und Steuerlasten durch die römischen Besatzer erleben müssen. Sie wollen die Befreiung…

Die Jungen, die sich mit dieser Situation angefreundet haben, verstehen sie nicht mehr. Doch dann kommt Gottes Sohn für Alt und Jung in die Welt, um allen Menschen die Erlösung zu bringen. Er schließt nicht aus und grenzt nicht ab. Er spricht zu allen, verkündet das neue Königreich Gottes und heilt in allen Schichten und Altersgruppen die Menschen, die ihn wirklich brauchen und an ihn glauben. Er gibt den Alten eine neue Hoffnung und erfüllt ihr Sehnen und den Jungen schenkt er eine Zukunft.

Jesus Christus ist derjenige, der uns alle verbindet. Interessenskonflikte und Unterschiede zwischen den Generationen wird es immer geben und sie darf es auch geben. Wenn wir aber aneinander vorbei leben und uns nichts mehr zu sagen haben und wenn dann noch das gegenseitige Vertrauen verschwindet, haben wir als Menschheit verloren. Ich meine aber nicht, daß das passieren wird, solange uns die Mitte unseres Glaubens zusammenhält. Wir wüßten heute nicht von Anna und Joachim, wenn wir sie nicht mit ihrem Enkel Jesus in Verbindung bringen würden. Jesus schlägt eine Brücke zwischen den Generationen zu allen Zeiten, weil er derjenige ist, der sich immer wieder aufs Neue den Menschen zuwendet und derselbe bleibt. Wenn wir uns an ihn halten, können wir uns nicht aus den Augen verlieren, bei aller Unterschiedlichkeit zwischen uns. Ich sehe es auch als Auftrag an die Kinder, die Jugend und die Menschen in ihren jungen Jahren, die Seniorinnen und Senioren nicht zu vernachlässigen. Bei allen Schwierigkeiten dabei, die die heutige Zeit mit sich bringt. Aber sei es nur der Einkauf für diejenigen, die selbst nicht mehr in den Supermarkt können. Sei es die Fahrt zum Arzt oder zu den Enkeln. Es gibt noch mehr Beispiele…

Sie haben viel für uns getan, ob direkt oder indirekt und sie haben es verdient, Ihren Lebensabend in unserer Gesellschaft so angenehm wie möglich zu erhalten. Und wenn wir schon Anna und Joachim heute zu recht feiern, die vor 2.000 Jahren gelebt haben, können wir auch die Menschen feiern, die immer noch mit uns und unter uns leben. Denn es kommt der Tag, an dem wir es bereuen könnten, daß wir uns nicht mehr gekümmert haben.

Somit möchte ich gerne schließen mit dem letzten Absatz der Päpstlichen Bulle zum Heiligen Jahr von Papst Franziskus über die Großeltern:


Besonders denke ich an die Großväter und Großmütter, die für die Weitergabe des Glaubens und der Lebensweisheit an die jüngeren Generationen stehen. Mögen sie Halt erfahren in der Dankbarkeit ihrer Kinder und in der Liebe ihrer Enkelkinder, die in ihnen wiederum Verwurzelung, Verständnis und Ermutigung finden.


Deshalb: Auf viele gemeinsame Jahre der Generationen unter dem Schutz Gottes für Euch und Eure Familie und Eure Freunde und die gesamte Kirchgemeinde auf die Fürsprache der heiligen Anna und des heiligen Joachim. Und denkt bitte immer daran: Auch hier in Eurem Dorf, mitten unter Euch ist eine Heilige Pforte; eine offene Türe zu unserem Gott durch die Jahrhunderte hindurch für Jung und Alt.

 

Kaplan Tommy Reißig.

Bild: Peter Weidemann, in: Pfarrbriefservice.de