Wir schreiben den 25. Dezember des Jahres 1734. (Wer mir spontan aus dem Kopf heraus sagen kann, was das für ein Wochentag war, bekommt von mir eine Autogrammkarte von unserem Kantor organisiert…) Der Komponist Johann Sebastian Bach hat vor wenigen Augenblicken, in der Leipziger Nicolaikirche, die erste Kantate seines neuen Weihnachtsoratoriums uraufgeführt. Mit schallenden Trompeten und hallenden Paukenschlägen eröffnet er sein musikalisches Werk und ruft uns heute in dieser gnadenreichen Zeit zu:
Jauchzet! frohlocket!
Auf, preiset die Tage,
rühmet, was heute der Höchste getan!
Lasset das Zagen, verbannet die Klage,
stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an!
Er fordert uns gemeinschaftlich auf, diese Tage mit Freude zu begehen und dieser Freude nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich einen Ausrdruck zu verliehen. Das, was die Musik und der Text des Beginnes des Oratoriums majästetisch umsetzen, soll sich innerlich in uns und auch an uns verwirklichen. Es will uns heute Abend aufrütteln! Und wie gerne hätte jeder von uns gerade jetzt diese Freude und diesen Elan, alles Schwierige und jedes Problem im Leben zu vergessen und nur noch in der Fröhlichkeit zu leben. Bach hat es versucht…
Doch nun holen mich die biblischen Texte des Ersten Adventssonntages wieder zurück in die menschliche Realität: Ich erwarte in der Adventszeit freudige Botschaften, nette Worte und schöne Gesten und auch eine kreierte Harmonie. Und dann werde ich von dem bereits erwachsenen Jesus mit dem Schrecken des Endgerichtes und den damit verbundenen kosmischen Katastrophen konfrontiert. Vielleicht haben unser Kantor Tyron und ich ja einen Fehler begangen, dass wir uns schon im Advent wagen, das Weihnachtsoratorium aufzuführen und zu bepredigen. Dies kindliche Freude des Jauchzens und des Rühmens kann ja erst am Heiligabend 2025 kommen, wenn der ganze Stress der letzten Wochen vorüber ist. Aber um genau das nicht geschehen zu lassen, dass Ihr nicht nur eine hektische Zeit und ein „Ich-Muss-Doch-Noch“ erlebt, wollen wir diese musikalische und weihnachtliche Vorfreude schon mit hineinnehmen in die kommenden dreieinhalb Wochen.
Zumindest sind Jesus und Bach sich einige, dass Posaunen erschallen werden. Wenn die letzte Zeit dieser Erde anbricht, schickt Gott Seine Engel unter Posaunenklang, die die Menschen, die zu Gott gehören, um Ihn herum versammeln. Es geht um eine Versammlung bei Gott. Es ist eine Versammlung in Freude, nicht in Schrecken. Bei alldem, was um sie herum passiert, bleibt Gott an ihrer Seite und verlässt sie nie. Er bleibt bei ihnen, weil sie adventliche Menschen sind; weil sie auf Ihn ihr Leben lang warten. Kurz gesprochen: Sie gehören einfach zu Gott! Das gibt einen Grund zum Jubeln, weil sie trotz aller Nachrichten von Kriegen und von Hass im Großen und Ausgrenzung und Anfeindung im Kleinen wissen, da wird in der Nacht des 25. Dezember jemand für mich als Mensch geboren. Da fühlt jemand wie ich. Da denkt jemand wie ich. Da geht jemand durch das Leben, wie ich. Und Jesus ist es, der mir als Gott nahe kommt. Genau diese Nähe drückt der Prophet Jesája aus: Die Menschen sehen das Schöne im Leben nicht mehr, aber entdecken einen hohen, überragenden Berg. Ihn können sie gut erkennen. Sie schöpfen eine neue Hoffnung und begreifen: Dort wohnt Gott. Und dann beschließen sie, genau dahin zu gehen. Dort werden alle versammelt und herausgeholt aus dem Alltagsstress und den Sorgen des Adventes. Dort dürfen sie jauchzen und frohlocken in Gottes Nähe. Es klingt fast wie eine schöne Komposition von Johann Sebastian Bach, denn in der Musik kann ein Komponist schöne Klänge erschaffen, die mich meine Sorgen für ein paar Minuten vergessen lassen. Die Musik ist ein Teil dessen, was sich der Mensch aus dem Paradies aufbewahrt hat, ohne dass es Gott bemerkte. Sie zeigt mir immer wieder in annähernder Weise, wie nahe Gott mir ist in der Schönheit der Dinge.
Liebe Schwestern und Brüder in adventlicher Hoffnung!
Gott nimmt mich nicht heraus aus dieser Zeit, in der heute wieder über den Friedensplan in der Ukraine zwischen den USA und Europa verhandelt wird. In diesen Tagen, in denen in Japan ein Großbrand ein ganzes Stadtviertel vernichtete und in Hongkong ein großes Feuer wütet und Menschen das Leben kostet. Wir alle wissen, dass dieser Friede brüchig ist und schnell wieder endzeitliche Katastrophen auftreten können. Wir sind uns bewusst, dass auch in Israel und Palästina die Ruhe schnell vorbei sein kann.
Trotzdem feiern wir in froher Erwartung diesen Advent. Jeden Tag werden neue Kinder geboren und bereiten ihren Eltern und Großeltern eine riesige Freude. Und auch ich habe jeden Tag mindestens ein Erlebnis, was mich lächeln lässt. Ob es der Kaffee ist, den mir mein Partner frühs bereitet hat. Oder ob mich mein Enkelkind anruft. Dass ich möglicherweise schon alle Weihnachtsgeschenke beisammen habe. Vielleicht ist es auch eine nette Nachricht auf dem Handy oder wenn gar nichts mehr hilft, dass ich mir die Eingangskantate von Bach „Jauchzet! Frohlocket“ anhöre, um auf andere Gedanken zu kommen. Auch in meinem Leben gibt es freudige Zeiten und auch erschreckende Tage. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Sonne nicht mehr scheint und der Mond keine Orientierung in der Nacht mehr geben kann. Dass mir alles zu viel wird; gerade auch jetzt in der Adventszeit.
Ich habe mir darum auch in diesem Jahr nicht vorgenommen, Euch in meinen Adventspredigten zu sagen, dass Ihr doch bitte alles langsam, besinnlich und auch still angehen sollt. Auch ich kenne die Wirklichkeit und weiß, dass das nicht durchweg geht. Ich möchte Euch auch nicht belügen. Ich bin aber der festen Überzeugung, immer wieder aufs Neue begegnet mir ein Stück Himmel auf Erden. Und dieses Gefühl, das nur ich so erlebe in dem Moment, ist das Gefühl der Vorfreude und das Empfinden des Advents. Und ich möchte Dich in den kommenden Tagen bis zum 2. Adventssonntag bitten, doch einer anderen Person, die Dir spontan einfällt, eine kleine Freude zu bereiten, die nichts kostet. Triff Dich mit jemanden zum Kaffee oder Glühwein – was vielleicht besser in diese Zeit passt -, rufe jemanden an oder lade jemanden ein. Höre dabei den Beginn des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach vom 25. Dezember des Jahres 1734 noch einmal zu Hause und spüre schon die vorgezogene Freude der diesjährigen Weihnacht 2025. Der Tyron, unser Chor und ich haben es gerade mit Dir versucht. Nun darfst Du gerne diese kleine Vorfreude mit Jauchzen und mit Frohlocken zu Deinen Lieben weitertragen. Auch sie werden es brauchen. Mehr können wir nicht tun…
Ich kann Euch leider auch keine Freude bereiten, indem ich Euch ein Autogramm von Johann Sebastian Bach besorge; das wird etwas schwierig werden. Doch Reimen kann ich Euch noch zum Ende meiner Predigt:
Advent, Advent, die erste Kerze brennt!
Mitten im irdischen Leid, posaunt Gott hinein mit seiner Freud`.
Doch wie es spanend weitergeht, werden wir nächste Woche erst erfahren
Denn ein paar Geheimnisse darf auch ich mir im Advent bewahren.