Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis – Die Orientierung (wieder-)finden

 

„Er [mein Vorgänger] hätte ruhig noch etwas länger durchhalten können.“ Wie oft denken Menschen in unserer Gesellschaft daran, wie schön doch alles früher war und wie schwierig doch oft Veränderungen im Leben sein können. Wäre mein Vorgänger noch etwas länger in der Position geblieben, wäre mir einiges erspart worden. Doch danach fragt der Lauf der Zeit nicht! Pfarrer Bruno Kant musste das auch vor zwei Wochen in seinem hohen Alter noch einmal lernen. Als in der Nacht zum 1. November der älteste Mensch Deutschlands starb, bekam er diesen Titel mit 109 Jahren. Einbilden tut der Priester aus dem Bistum Fulda sich jedoch nichts darauf, weil er selbst weiß, wie das Leben verläuft. Sicher weiß er es sogar besser als wir, denn im Ersten Weltkrieg wurde er geboren und im Zweiten Weltkrieg wurde er zur Wehrmacht einberufen. Außerdem kam er in russische Gefangenschaft und auch Kleinigkeiten im Leben, die nicht immer glatt liefen, hat er erfahren.

Bemerkenswert finde ich, dass er sich nichts auf seine „Krönung“ als ältester Deutscher einbildet. Es gibt Wichtiges im Leben und weniger Wichtiges. Von vielem kann ich mich beeindrucken lassen, wie die Jünger und diejenigen, die heute Morgen sagen: Ach, ist unser Jerusalemer Tempel nicht schön gebaut? Ist seine Fassade nicht wunderbar? Dürfen wir uns nicht glücklich schätzen, ein solches Bauwerk zu besitzen. Sich an Auszeichnungen und Schönheiten zu erfreuen, ist nicht verwerflich. Jesus möchte es auch gar nicht mies machen. Aber er mahnt heute dazu, die Orientierung im Leben nicht zu verlieren.

 

Bei all der Tätigkeiten und der Arbeit, die wir im Alltag haben – und nicht umsonst sind viele Menschen in unserer Gesellschaft belastet, weil die Aufgaben immer vielfältiger und durch die Technik nicht immer unkomplizierter werden – dürfen wir den Blick für das Gute nicht aus den Augen verlieren. Gott schenkt uns nicht nur Arbeit, sondern auch Ruhe und Erholung, gerade am Sonntag. Im Umkehrschluss gibt es aber diejenigen, die sich nur ausruhen und das Schöne genießen wollen, aber den Ernst des Lebens nicht mehr erkennen können oder wollen. Menschen, die auf Kosten anderer leben und sich keiner Herausforderung mehr stellen möchten. Sie ermahnt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Thessalonicher: „Wir hören aber, dass einige von euch ein unordentliches Leben führen und alles Mögliche treiben, nur nicht arbeiten.“ [2 Thess 3,11] Wer Paulus kennt, weiß, dass er ein Mann oft harter Worte ist. Ich kann mich auch an ihnen stören. Recht jedoch hat er. Unsere Gesellschaft funktioniert nur gut und harmonisch, wenn jeder seinen Teil zur Erhaltung des Lebensstandards und der Menschenwürde beiträgt und die anderen nicht alleine lässt. – Es gibt viele, die aus gesundheitlichen Gründen nicht so mitwirken können, wie sie gerne wollen. Das meine ich auch nicht! Alleine ihr Wille zählt. Wenn ich aber mich nicht als Teil der Menschheit begreife, die eine feste Orientierung im Leben braucht, um zusammenzustehen, lebe ich auf Kosten anderer. Das meint Paulus in seiner Mahnung und in seinem Verweis auf Jesus Christus. Wer die Ruhe genießen will, darf sie sich auch verdienen in unterschiedlicher Weise.

 

Heute feiern wir den Volkstrauertag, wenn man dazu überhaupt »feiern« sagen darf. Zwei Weltkriege haben unsere Vorfahren im vergangenen Jahrhundert erleben müssen. Weil Machthaber und Diktatoren andere für sich „arbeiten“ ließen; weil sie nur ihre Pläne im Kopf verwirklichen wollen; weil ihnen Titel und Gebietsansprüche wichtiger waren, als die Würde aller Menschen. Wir gedenken heute der Opfer dieser schlimmen Jahre und bitten Gott nun, dass sie in der Ewigkeit die Ruhe finden, die ihnen in unserer Welt nicht vergönnt war. Sie haben nicht die Chance bekommen, so alt zu werden wie der Pfarrer Kant. Das ist auch nicht das oberste Ziel im Leben. Ihnen wurde aber die Orientierung gestohlen und die bitteren Prophezeiungen Jesu wurden für sie Wirklichkeit. Und daß kam nicht so, weil Gott es will, sondern weil die Menschen sich die Hölle bereitet haben und auch bereiten. Der heutige Sonntag mahnt uns alle, dass diese Schrecken nie wieder geschehen dürfen; sie sind menschen-unwürdig und rauben uns die Orientierung auf das Wesentliche: auf ein ausgeglichenes und ein ausgewogenes Leben mit Gott an der Seite.

 

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Wir erleben im Lauf der Zeit Verwundungen – innerlich wie auch äußerlich. Oftmals sind die innerlichen die, die schwer heilen, weil sie niemand sieht und sie Zeit brauchen. Bei vielen Verwundungen bleiben auch Narben zurück, die ein sichtbares Zeichen des Geschehenen sind. Auch wenn die Zeit heilen kann – wie es der Volksmund sagt -, kann sie nicht vergessen lassen. Doch in diese Wundmale hinein kommt Gott selbst, wie es der Prophet Maleachi uns zuruft: Die, die Gott wirklich suchen, die ihr Leben maßvoll leben, die ihrer Tätigkeit nachgehen und zur richtigen Zeit auch ausruhen und sich des Schönen erfreuen können, für die geht die Sonne jeden Tag wieder auf und Er schenkt ihnen die Heilung in der Seele, die oft dringend notwendig ist.

Ich möchte Euch eine Kleinigkeit mit in den Sonntag hinein geben: Zündet heute bitte vor dem Mittagessen oder auch dem Abendessen oder auch vor dem abendlichen Fernsehprogramm eine kleine Kerze an! Denkt dabei an die Verstorbenen der Weltkriege und Eurer Familie und sprecht dabei in Gedanken:

Sonne der Gerechtigkeit,
schenke Orientierung in unserer Zeit.

Und ich verspreche Euch, diese Kerze wird, solange sie brennt, dieses Wunschgebet weitertragen bis zu Gott selbst und sie wird Heilung in der Seele bringen. Pfarrer Kant hat in seinem Leben dies beherzigt: Es gibt gute und schlechte Tage und sie gehören dazu. Ist allerdings Gott an meiner Seite, orientiere ich mich auf Ihn hin als das Ziel des Lebens.

Sonne der Gerechtigkeit,
schenke Orientierung in unserer Zeit.

 

 

Artikel: o.A., Katholischer Pfarrer ist jetzt ältester Mann in Deutschland, Rummel um Rekord, URL: https://www.domradio.de/artikel/katholischer-pfarrer-ist-jetzt-aeltester-mann-deutschland [letzter Zugriff: 14.11.2025]. 

Bild: Christian Schmitt, in: Pfarrbriefservice.de