Predigt Christi Himmelfahrt „Nahbare Distanz“

„Abgehoben mittendrin“ – mit dieser paradox klingenden Formel könnte man im Rückblick das Erfolgsgeheimnis der Krönungsfeierlichkeiten von Charles III. entschlüsseln.

Die Werbeabteilung des Königshauses hat eine geniale Strategie ersonnen, um die eigentlich völlig aus der Zeit gefallenen Zeremonien rund um die Salbung und Krönung eines 74jährigen Berufssohnes zum neuen Oberhaupt des Landes als ein Spektakel zu inszenieren, das die alte Monarchie zu einer Attraktion für die moderne Zeit werden lässt. Zwar verfolgten die Krönung von Charles weit weniger Zuschauer als noch im September die Beisetzung seiner Mutter, Queen Elizabeth, aber dennoch war es ein Triumph der Monarchie über alle Misstöne der Gegner, die im allgemeinen Jubel untergingen. Für diesen Erfolg haben nicht nur die exotischen Bilder vom Gottesdienst mit seinen scheinbar alt-ehrwürdigen Ritualen in der Westminster Abbey gesorgt, sondern das ganze Paket des Feier-Wochenendes. Sandten am Samstag, dem Krönungstag selbst, die Royals eher entrückte Bilder einer abgehobenen Elite vom Balkon des Buckingham Palace, fand man sie an den folgenden Tagen mitten im Volk. Am Sonntag gab es im ganzen Land Nachbarschaftparties, auf denen immer wieder Vertreter der königlichen Familie auftauchten, und am Montag überwältigte die smarte Familie des Thronfolgers William mit tatkräftigem Engagement beim Tag der gemeinnützigen Arbeit im ganzen Land mitten unter anderen Familien der Pfadfinder-Bewegung. Ein gewaltiger Kontrast: Vom Balkon des Palastes winkt eine der Erde entrückte Familie, die schon durch ihre Orden und Roben zeigt, dass sie anders ist als der Rest des Volkes, und rund um das Lagerfeuer der Pfadfinder rösten Menschen wie du und ich mit anderen Familien Marshmallows, eine sympathische junge Familie der Mittelklasse, wie sie im Haus nebenan wohnen könnte und nicht in einem Cottage auf Schloss Windsor. Entrückt und doch mittendrin – mit diesem Erfolgsrezept hat die Monarchie im Vereinigten Königreich wohl die besten Chancen, sich über die Zeit und durch alle Skandale zu retten.

Ein Patent haben die Windsors auf diese spannungsreiche Zukunftsstrategie nicht. Vielmehr haben sie wohl gut in der Bibel gelesen und das Grundthema des heutigen Feste kopiert und an ihre Herausforderungen angepasst. Das Hochfest Christi Himmelfahrt lässt sich inhaltlich wohl in die Spannung bringen „nahbare Distanz“ oder „Entziehend und anziehend“ (Christian Papsthart in CiG v. 14.5.23). Das Fest hat wie eine Ellipse zwei Pole, um die es sich spannt: Die Entrückung Jesu auf den Platz zur Rechten des Vaters, der ihm von Anfang an zusteht, und seine bleibende Gegenwart in seiner Gemeinde, die der Auferstandene heute im Matthäusevangelium verspricht: „Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“

Um dem Fest näherzukommen, dessen Inhalt zum Grundbestand unseres Glaubensbekenntnis gehört, muss man der Datierung des Lukas in der Apostelgeschichte auf den Grund gehen: Vierzig Tage nach Ostern. Vierzig Tage vor Ostern beginnen wir die Fastenzeit mit dem Bericht der Evangelisten vom Fasten Jesu in der Wüste und seiner Versuchung durch den Teufel. Himmelfahrt wird in der liturgischen Ordnung zur Umkehr der zweiten Versuchung Jesu in der Wüste: „Es ist nicht mehr der Sprung vom Tempel als Heiligem Ort in die Tiefe und Bodenlosigkeit, sondern die Erhöhung von der Erde und dem Irdischen an die Seite des Heiligsten selbst, nämlich Gott des Vaters.“ (Christian Papsthart)

Christi Himmelfahrt strahlt ganz von Ostern her und bestätigt Jesus als den erhöhten Herrn, der der Versuchung sich selbst zu überheben, widerstanden hat. Die eine Richtung des Festes geht also in die Höhe: Jesus hat seine Sendung vollendet, er ist bestätigt als Sohn Gottes und Messias und zieht damit unsere Blicke zu ihm in die Höhe. Seit er endgültig seinen Platz eingenommen hat als Herr über Zeit und Ewigkeit gilt, was der Epheserbrief sagt: „Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt und wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke.“ Weil Gott sich in Jesus als der Stärkere gezeigt hat im Ringen mit den Mächten des Todes, können wir Hoffnung haben und selbst stark sein in den widrigen Erfahrungen des Lebens.

Aber nicht nur die aufsteigende Linie ist Inhalt des Festes. Die Gebete und Lesungen betonen auch die absteigende Linie vom Himmel zur Erde: Der Auferstandene zieht sich heute nicht von der Erde zurück, Gott überlässt sie jetzt nicht ihrem Schicksal, sondern bleibt gegenwärtig in seinem Geist. Gott „emanzipiert“ den Menschen, gibt ihm seinen Geist, damit er in Kraft und Stärke in dieser Welt das Gute tut und die Spur des Paradieses in der Schöpfung wieder aufleuchten lässt.

Beide Dimensionen gehören wesentlich zu unserem Glauben, der uns über die Erde hinausschreiten lässt, damit wir mit Begeisterung in ihr leben können. Der Theologe Gotthard Fuchs hat die „Bilanz“ von Christi Himmelfahrt in ein Wortspiel gebracht: „Der Himmel ist geerdet und die Erde angehimmelt“ (CiG 16.5.2021)

Im Glauben geht es so wenig um Vertröstung wie er uns davor bewahrt, in der Welt aufzugehen. Christus, der auf der Erde als Mensch gelebt hat, verbindet sie nun mit dem Himmel, aus dem er gekommen ist und zu dem er uns die Tür geöffnet hat. Weil er mit uns gelebt hat, ist unser Ziel nicht ein ungewisses Schicksal, sondern die Begegnung mit ihm, dem lebendigen Gott. Wir feiern Christi Himmelfahrt wie eine Erfolgsmeldung, die nicht nur stauen lässt, sondern neu motiviert: Christus ist an seinem Platz, aber er ist nicht weg von uns. Es gibt eine Distanz zwischen uns und dem erhöhten Herrn, aber nicht in dem Sinne, dass er nicht mehr da ist, sondern dass wir aufeinander zugehen. Jesus geht nicht fort, um dann am Ende der Zeiten wiederzukommen, sondern sein endgültiges Kommen wird zur glorreichen Bestätigung, dass er immer mit uns war, ist und sein wird. Die Kirche gibt es nicht, weil Jesus nicht mehr da ist, sondern weil Menschen spüren, dass er noch immer gegenwärtig ist, wenn sie sich versammeln als Gemeinschaft der Glaubenden, Liebenden und Hoffenden. Wenn die Engel heute die Jünger auffordern, den Blick vom Himmel auf die Erde zu richten, dann nicht weil wir Jesus verloren haben, sondern weil wir ihn, den erhöhten Herrn, nur auf einer Erde begegnen können, die das Potential hat, Himmel zu werden.

Eine Gemeinde, die nur noch den „fernen“ Gott im Himmel feiert, aber nicht mehr Christus im anderen Menschen erkennt, mag sehr fromm wirken, aber sie ist leblos und hoffnungslos geworden. Wir können der Welt und den Menschen auf ihr dienen, weil wir aus Hoffnung handeln und nicht aus der Resignation und trotzigem Widerstand.

„Nahbare Distanz“, die das heutige Fest auszeichnet, sagt uns zu einen, dass wir Christus nicht unter der Last der Krisen, Sorgen und Probleme des menschlichen Lebens begraben haben, aber auch dass er sich nicht still und heimlich davon gemacht hat, damit er nichts mehr mit uns zu tun hat. Die Jünger können aus dieser Erfahrung der „nahbaren Distanz“, die entzieht und anzieht, die Kraft finden zum Zeugnis für den Auferstandenen, gestärkt durch das Wissen, dass sie keine Einzelkämpfer sind. Ähnlich gilt es für die Kirche und die Gemeinden unserer Tage. Wie oft fühlen wir uns in den augenblicklichen Krisen verwaist. Der erhöhte Herr nimmt uns die Verantwortung für die Zukunft der Kirche nicht ab, aber er verheißt uns, dass wir nicht überfordert sein werden, wenn wir auf seinen Geist vertrauen. Auch in dieser Kirche, mit ihren schwarzen Flecken auf der weißen Weste, gefüllt von hasenfüßigen Jüngerinnen und Jünger unserer Tage, wirkt Christus durch seinen Geist und bestärkt uns, Hoffnung für die Zukunft zu haben. Ja, wir müssen dafür auf die Wirklichkeit dieser Erde sehen, auf die Veränderungen der Gesellschaft und auf die Entzauberung von religiösen Sicherheiten, aber wir müssen darüber nicht panisch werden und vorzeitig aufgeben. Jesus bleibt nahe und befähigt uns, sein Werk in unserer Zeit fortzusetzen und für die Menschen in ihren vielfältigen Situationen helfend und heilend erfahrbar zu machen.

Die „nahbare Distanz“ Jesu ist keine geschickte Inszenierung einer PR-Agentur, um Neugierde und Schaulust zu wecken, sondern Ansporn zur Hoffnung, dass unsere Erde und wir einmal erhöht werden zum Leben in Fülle, um das wir heute beten: „Schenke uns das feste Vertrauen, dass auch wir zu der Herrlichkeit gerufen sind, in die Christus uns vorausgegangen ist, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit.“ Amen                                        Sven Johannsen, Pfr.

Christi_Himmelfahrt_2023_Nahbare_Distanz.pdf