Predigt 21. Sonntag im Jahreskreis A – „Mit dem Papst auf Reisen“

Liebe Schwestern und Brüder,

Was will er denn dort?

Am Donnerstag bricht Papst Franziskus zu seiner 45. Auslandsreise in die Mongolei auf, ein eher exotisches Ziel für das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche. Häufig führen Franziskus seine Reisen in Länder, die die meisten Katholiken im Atlas erst suchen müssen. Nur Deutschland stand bisher noch nicht auf seiner Agenda.

Das kränkt natürlich den Stolz manches einheimischen Berufskatholiken, der uns noch immer als das Zentrum des theologischen Denkens überschätzt. Am Donnerstagabend wird man Papst Franziskus also nicht in Berlin, sondern auf dem Flughafen von Ulaanbaatar begrüßen, in der Hauptstadt eines Landes mit einem Anteil an Katholiken, der eigentlich null Prozent beträgt. Man muss schon zwei Stellen hinter das Komma gehen, um die rund 1500 Katholiken des Landes unter den mehr als 3 Millionen Einwohnern der Mongolei statistisch zu erfassen. Ihr Oberhaupt, der Apostolische Präfekt Giorgio Marengo, äußerste im Vorfeld scherzhaft, dass der Papst jeden einzelnen Katholiken des Landes mit Handschlag begrüßen könne. Unwichtig kann die Reise aber nicht sein. Immerhin ist Marengo der jüngste Kardinal der katholische Kirche und der erste unter den Purpurträgern, der in den siebziger Jahren geboren wurde, drei Jahre jünger als ich. 20 Jahre gibt es die Apostolische Präfektur Ulaanbaatar nun und in dieser Zeit stieg der Anteil der Katholiken von unter hundert auf 1500, eine wachsende Gemeinschaft, aber keine nennenswert große Teilkirche wie sie Deutschland bildet. Also stellt sich zurecht die Frage, was der Heilige Vater dort will?

Es gibt Spekulationen, dass er die Reise mit einem Zwischenstopp auf dem Moskauer Flughafen verbinden wird, wo er Patriarch Kyrill I. treffen und mit ihm über den Ukraine-Krieg sprechen möchte. Doch konkrete Pläne werden vom Vatikan nicht bestätigt. Es bleibt letztlich nur ein Gerücht.

Sicher ist es dem Papst ein Anliegen, wieder daran zu erinnern, dass viele „junge“ Kirchen eine lange Geschichte haben und schon in frühester Zeit hohes Ansehen genossen. Für die Christen in der Mongolei kann man das uneingeschränkt bestätigen. Die Apostolische Präfektur, also die Vorstufe einer Diözese, wurde zwar erst vor 20 Jahren von Papst Johannes Paul II. errichtet, aber die Geschichte des Christentums ist in der Region viel länger verwurzelt und unterstreicht dessen hohe Bedeutung für die Gesamtkirche in vielen Epochen. In einem Beitrag für die päpstliche Nachrichtenseite „vaticannews“ erinnert der Salzburger Ostkirchenexperte Dietmar Winkler an ein blühendes kirchliches Leben in der heutigen Mongolei über viele Jahrhunderte: Die „Kirche des Ostens“, die sich im Perserreich relativ losgelöst vom Rest der Christenheit entwickelte, entfaltete eine rege Missionstätigkeit. Mitte des 7. Jahrhunderts erreichten die ersten Missionare bereits China und gründeten dort christliche Gemeinden.“ Trotz mancher Zeiten der Bedrängnis bleiben viele mongolische Stämme lange Zeit christlich und ostsyrische Christen nahmen im Reich der Mitte, das von mongolischen Fürsten beherrscht wurde, Schlüsselrollen ein als Provinzgouverneure und Offiziere. Auch wenn es theologische Differenzen zwischen den dortigen – sog. „nestorianischen“ – Christen und Rom gab, bestand doch ein intensiver Austausch. Päpstliche Gesandte waren ständige Gäste am Mongolenhof in Karakorum. Franziskaner waren schon lange vor Marco Polo in China und in der Mongolei und haben uns Berichte von der gewaltigen Ausdehnung der Kirche des Ostens von Mesopotamien bis China überliefert. Winkler weiß auch von Annäherungen zwischen dem christlichen Glauben und der mongolischen Kultur zu berichten, die uns heute befremdlich erscheinen, aber letztlich notwendig waren, um eine Verbindung zwischen der Tradition der Menschen und dem Evangelium zu schaffen: „Auf die Lebensumstände der nomadischen Bevölkerung musste ebenfalls Rücksicht genommen werden. Beispielsweise habe man als Messwein Stutenmilch verwendet, denn in der mongolischen Steppe gibt es keinen Weinanbau. Als Kirche habe ein Zelt gedient, das oft neben dem Zelt des Khans lag, „denn die Bischöfe hatten keinen festen Sitz, sondern zogen mit den Stämmen umher“, so Winkler: „Dazu passt dann auch, dass man für den Altar zuweilen einen Sattel oder eine geweihte Pferdedecke heranzog.“https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2023-08/papst-franziskus-reise-mongolei-salzburg-ostkirche-experte.html

Erst mit dem Auftreten der chinesischen Ming-Dynastie am Ende des 14. Jahrhunderts, die einen erbitterten Kampf gegen alle „Fremdreligionen“ führte, verschwand das Christentum fast vollständig aus der Region. Die Reise des Papstes zeigt so auch, dass Kirche kein statischer Begriff ist. Viele Regionen, die uns heute als Zentren des christlichen Glaubens erscheinen, waren zu der oben beschriebenen Zeit noch weiße Flecken auf der religiösen Landkarte. Andererseits können wir in Gebieten, in denen Christen heute in der Minderheit sind, alte Zentren der Mission und der Entwicklung der theologischen Lehre entdecken. Diese Entwicklung lässt sich auch für unsere Zeit nachvollziehen. Hunderte von Jahren war Europa das Zentrum des christlichen Glaubens. Heute leben 48 Prozent der Katholiken in Amerika, v.a. in Südamerika mit dem Schwerpunkt Brasilien. Der Trend aber verschiebt sich in Richtung Afrika. Dort erlebt die katholische Kirche ihren größten Anstieg um immerhin 3% im Jahr 2020. (https://www.kirche-und-leben.de/artikel/mehr-katholiken-auf-der-welt-zuwachs-vor-allem-in-afrika#:~:text=Am%20niedrigsten%20liegt%20der%20Anteil,um%20knapp%200%2C4%20Prozent.) Auf Dauer wird das Zentrum der katholischen Kirche nicht im „alten“ Europa, sondern in den „jungen“ Kirchen Afrikas liegen. Deren Einfluss wird wachsen, die Bedeutung Europas dagegen abnehmen. Man kann vielleicht auch verstehen, dass mancher Vatikanbeamter mehr Sorgenfalten angesichts des Wachsens der Pfingstkirchen in Brasilien zeigt als über die Querelen in Deutschland.

Konsequenterweise steigt auch die Wahrnehmung der Kirchen Afrikas und Asiens im Vatikan. Man kann schon länger wahrnehmen, dass der Papst ein hohes Interesse an Asien hat. Im größten Kontinent der Welt mit vielen Ländern, in denen Christen nur einen verschwindend kleinen Anteil an der Bevölkerung stellen, sieht der Papst die katholische Zukunftsregion. Tatsächlich steigt die Zahl der Katholiken in Asien deutlich, auch wenn ihr Anteil an der Bevölkerung des Kontinents gerade einmal 3,3, Prozent beträgt. Die Reisestrategie des Heiligen Stuhles im Pontifikat Franziskus hat viele Länder dieses Kontinents zum Ziel gehabt, an die ein „normaler Katholik“ nicht denken würde: einerseits arabische Länder, andererseits viele Nachbarstaaten Chinas. Es ist zwar nicht an einen Besuch in Peking zu denken, aber er umkreist die Volksrepublik stetig und weckt mit seinen Reisen weltweites Interesse für das Thema Religion in der Region. In dieses Konzept fügt sich die Absicht ein, Anfang des nächsten Jahres Indien zu besuchen, in denen Christen seit langer Zeit eine engagierte, zuletzt aber sehr bedrängte Minderheit bilden.

Mehr noch als alle Zukunftsstrategien und historische Erinnerungen leitet ihn das Anliegen, an die Ränder zu gehen. Er ernennt Kardinäle in Ländern und reist in Gebiete, die bisher nicht auf dem Schirm katholischen Interesses standen, um den etablierten Kirchen die Augen zu öffnen für die Weite der Kirche. Wie er immer wieder antreibt, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen, so stellt er gerade jene Kirchen in den Fokus der Aufmerksamkeit, die das Schicksal der Schwachen und Ausgegrenzten teilen, also die Gemeinschaft von Christen, die als Minderheiten oft einen schweren Stand haben in ihren Heimat- oder Gastländern. Der Papst weiß, dass nicht nur die alten Zentren mit einer langen geistigen Tradition das Denken prägen, sondern immer mehr die „jungen“ Kirchen, die gerade in Lateinamerika neue und oft sehr umstrittene Impulse für die Kirche der Welt gesetzt haben. Eine mögliche Strategie, die Diskussionen in Europa zu nivellieren, indem er die Weite des Katholischen aufzeigt, wird sicher nicht aufgehen. Denn auch in den sog. „jungen“ Kirchen stehen Themen wie „Frauen in der Kirche“, „Macht“, „gesellschaftliche Veränderungen“ und „Strukturen in der Kirche“ auf der Agenda, wenn auch nicht in er gleichen Heftigkeit wie in Deutschland. Ich halte es sehr wohl für eine wichtige Aufgabe des Petrusamtes, uns hier aus der Fixierung auf eine verkürzte Sichtweise herauszureißen und zu sensibilisieren, dass es mehr als unsere Themen gibt, die in der Weltkirche zu besprechen sind. Die Untergangsstimmung in der deutschen Kirche und in Europa wird auch ein wenig relativiert durch die oft kleinen Aufbrüche, die es in ganz anderen Regionen gibt. So sieht Kardinal Marengo, der seit über 20 Jahren in der Mongolei lebt, im Besuch von Papst Franziskus einer Ermutigung für die Christen vor Ort, aber auch eine Bestätigung des Papstes, dass „es auch in einem so kleinen Teil der Kirche etwas Wichtiges und Schönes gibt: Ich glaube, für die Kirche in der Mongolei ist es vor allem die Frische eines aufkeimenden Glaubens, der voller Wunder ist.“

Bei allen Herausforderungen, vor denen wir als Christen in Deutschland stehen und die wir unbedingt lösen müssen, ist es auch gut, hin und wieder an die Ränder zu schauen und diese Frische des Glaubens zu sehen, die auch für uns eine Ermutigung und eine Hoffnung sein können. Amen

(Sven Johannsen)

21_Papstreisen.pdf