Predigt 27. Sonntag im Jahreskreis „Die Kirche gehört allein Gott. Jesus ist ihre Mitte“

Liebe Schwestern und Brüder

 

Mit einem feierlichen Gottesdienst auf dem Petersplatz hat Papst Franziskus am vergangenem Mittwoch, dem Gedenktag des Heiligen Franz von Assisi, das erste zentrale Treffen der Weltbischofssynode eröffnet. 464 Bischöfe, Ordenschristen, Frauen und Männer reden und streiten vier Wochen über die Kirche der Zukunft und die Zukunft der Kirche. Erstmals haben auch Frauen Stimmrecht auf dieser Bischofs-synode, die 2024 fortgesetzt wird.

Vorausgegangen waren zwei Vorbereitungsjahre, in denen auf Ebene der Bistümer, Länder und Kontinente Fragen und Themen gesammelt wurden, die für die katholische Kirche die Herausforderung der Zukunft bilden. Auch wenn der Vatikan keine Zwischenberichte veröffentlichen will, kann man davon ausgehen, dass es zur Zeit in Rom sehr kontrovers zugeht. Franziskus hat das ganze Spektrum des Denkens in der katholischen Kirche auf der Liste der Teilnehmer abgedeckt. So trifft Kardinal Müller, der vormalige Präfekt der Glaubenskongregation und Leitfigur der traditionell denkenden Katholiken, auf die Schweizer Religionspädagogin Helena Jeppesen-Spuhler und den amerikanischen Jesuiten James Martin, die dezidiert feministische Positionen vertreten und für eine Kirche eintreten, die offen ist für Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung und Angehörige sexueller Minderheiten. Lebendiger Austausch ist also zur Zeit garantiert, aber bringt es die Kirche voran? Es ist nicht zu erwarten, dass man große Reformen auf den Weg gebracht werden. Das steht auch bei diesem Treffen nicht an. Möglicherweise werden wir das im nächsten Jahr mit dem Abschluss des Bischofssynode erleben, aber sehr wahrscheinlich ist das nicht. Dennoch ist dieser Austausch nicht sinnlos. Kardinal Jean-Claude Hollerich, ein Vertrauensmann von Papst Franziskus und Koordinator für die Inhalte der Synode, hat am Mittwoch die Spannungen unter den Teilnehmern und in der Kirche offen angesprochen, aber auch deutlich gemacht, dass er darin ein Wesensmerkmal der Synode erkennt. Synode meint zunächst, dass Menschen in der Kirche gemeinsam mit Christus auf dem Weg sind und dabei auch über den Weg und das Ziel sprechen, zu dem sie unterwegs sind. Der Bischof von Luxemburg meinte in seiner Eröffnungsrede: „Es ist ganz normal, dass eine Gruppe rechts von Ihm geht, eine andere links von Ihm, während einige vorne weg gehen und andere zurückbleiben.“ (https://www.domradio.de/artikel/kardinal-hollerich-spricht-ueber-spannungen-der-kirche) Ich stimme ihm uneingeschränkt zu: In der Kirche sammelt Gott getaufte Frauen und Männer, die den Glauben an ihn teilen und den Auftrag wahrnehmen, die Kirche als Ort der Begegnung zwischen ihm und Menschen immer neu aufzubauen. Wenn man sich gemeinsam auf dem Weg weiß, dann ist es kein Problem, dass es unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wie wir den Auftrag der Kirche am besten erfüllen. Zur Katastrophe wird es aber, wenn denen, die Kirche gestalten, nicht mehr bewusst ist, wem sie eigentlich gehört und wer die Mitte ist, Jesus Christus, der sie durch die Kraft des Heiligen Geistes als das Volk Gottes sammelt. Die dramatischen Folgen der Selbsttäuschung im Blick auf die Eigentumsverhältnisse des Volkes Gottes zeigt das heutige Evangelium auf.

Es wäre zu kurz gedacht, in den harten Worten des Matthäus nur eine Polemik des frühen Christentums gegen das Judentum und seine Führer erkennen zu wollen. Zum einen wird das Evangelium heute, am 8. Oktober 2023, verkündet, also in einer Zeit, in der eine solche Verkürzung der Deutung einen eklatanter Antijudaismus darstellt. Zum anderen wäre es vermessen, die heutige Kirche als das neue Volk Gottes zu propagieren, das die rechten Früchte für Gott abliefert. Das entspricht nicht der augenblicklichen geschichtlichen Situation der Institution Kirche, die verstrickt ist in viele Skandale und Krisen, und auch nicht der Tatsache, dass viele Menschen, die nicht in der Kirche beheimatet sind, in ihrem Handeln den Willen Gottes erfüllen, also Frucht bringen. Wenn wir heute das Evangelium von den bösen Winzern hören, dann halten wir uns als Kirche auch einen Spiegel vor das Gesicht und fragen, ob heute nicht wir es sind, die Gott aus seinem Weinberg, dem Volk Gottes, heraushalten wollen: Papst, Bischöfe, Priester, Amtsträger, Theologen, aber auch alle Getauften, die bestimmte Positionen vertreten im Blick auf die Zukunft der Kirche. Anders als im Lied vom Weinberg im Buch des Propheten Jesaja, das Jesus im Matthäus-Evangelium als Vorlage nutzt, geht es nicht um Kritik an den Früchten des Volkes. Für Jesus gibt es keinen Zweifel, dass Menschen die Früchte des Guten bringen: Gerechtigkeit, Glaube, Solidarität, Frieden…. Im Matthäusevangelium richtet sich der Vorwurf an die Pächter, also an die Verantwortungsträger der Religion, dass sie Gott nicht mehr als den Eigentümer anerkennen, sondern sich selbst an seine Stelle setzen wollen. Mit diesem Vorwurf wird ein Betrug aufgedeckt, der Gott zwar gerne im Mund führt, aber ihn letztlich missbraucht für eigene Interessen. Mit dem Verweis auf Gott soll der eigene Anspruch auf Führung und Macht gerechtfertigt und der eigene Wille durchgesetzt werden, aber nicht der Willen Gottes geschehen. Diese Versuchung ist nicht auf eine Seite, die der Mächtigen, beschränkt, sie ergreift auch die Kritiker. Sie wird immer dann gefährlich, wenn Menschen, egal wo sie sich positionieren, Jesus als die Mitte aus den Augen verlieren. Kardinal Hollerich hat dagegen sehr richtig am Mittwoch festgehalten, dass wenn eine Gruppe zu Jesus, der die Mitte bildet, blickt, sie zwangsläufig auch immer die anderen Gruppen sehen müsse. Wenn Jesus die Mitte der Kirche bleibt, dann, „können die sogenannten Progressiven nicht auf Jesus schauen, ohne auch die sogenannten Konservativen mit ihm zu sehen und andersherum.“ Für mich ist das der Schlüssel für den Erfolg dieser Synode. Wenn sie nur ein Debattierclub ist mit dem alleinigen Ziel, die eigene Position erneut als die einzig richtige Sicht für die Zukunft der Kirche zu untermauern, dann wird der Graben nur tiefer und der Frust größer. Das Ziel der Synode und jedes Gesprächs in der Kirche muss ein, wieder auf Jesus und sein Evangelium zu schauen, so auch die anderen in den Blick zu nehmen und sich hinterfragen zu lassen, ob es mir wirklich um Gott oder um meine eigene Rechthaberei geht. Die eine Seite schreit dann nicht mehr gegen die andere, sondern spricht mit ihrem Herrn, so dass alle mithören können. In dieser Mentalität lässt sich über die eigentliche Frage der Zukunft anders reden: Wie kann die Kirche heute ihren Auftrag erfüllen, Menschen den Weg zum Heil zu weisen, in dem sie einen Raum öffnet für die Suchenden, um Gott begegnen zu können? Mit Drohungen, immer mehr Gesetzen, Lasten und moralischen Belehrungen wird das kaum gelingen, aber auch nicht mit zunehmender Beliebigkeit und einer falsch verstandenen Toleranz, in er alles erlaubt ist, wenn es scheinbar gut tut. Außenstehende erwarten von der Kirche eine klare Position hinsichtlich der Würde des Lebens als Geschenk Gottes, Hilfen auf ihrer Suche nach einem sinnvollen Leben angesichts der Begrenztheit des Daseins, Hoffnung über die Erfahrung von Tod und Leid hinaus und das Bekenntnis zu einem Menschenbild, das den Wert und die Einmaligkeit jeder Person hervorhebt in einer Welt, in der Leben wirtschaftlichen und politischen Interessen untergeordnet wird. V.a. aber erwarten die Menschen, die außen stehen, dass Kirche ein selbstverständlicher Ort ist, an dem sie auf Gott treffen können. Zur Zeit habe ich den Eindruck, dass sie häufig eher Streithähnen begegnen, die sich gegenseitig den wahren Glauben und die rechte Einsicht absprechen und jeden zwingen, sich für oder gegen sie zu positionieren. Ich glaube, dass der größte Teil der Katholiken nicht auf einer Seite stehen, sondern einfach seinen Weg mit Christus gehen möchte, den die Kirche als österlichen Wegbegleiter verkündigt.

Die Erbitterung, mit der im Augenblick Debatten geführt werden, lassen für mich den Verdacht aufkommen, dass diese Aufgabe für einige gar nicht mehr das Zentrum von Kirche bildet, sondern das Zementieren von z.T. überholten Traditionen oder aber die Revolution um der Revolution willen das eigentliche Interesse sind.

Das wird nicht die Zukunft der Kirche sein. Wichtige Fragen bleiben kontrovers, aber mit Blick auf das Evangelium und die Person Jesu können wir sie gelassener bespreche, wie m.E. die Frage nach dem Weiheamt für Frauen. Viele ältere Katholiken haben sich in ihre Jugend nie vorstellen können, dass einmal die Frage aufkommt, ob nicht auch Frauen zum Weiheamt zugelassen werden dürfen. Meine Generation als Priester kannte die Diskussion bereits, aber sie war durch das entschiedene Nein von Papst Johannes Paul II. in seinem Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis“ vom Mai 1994 zwar nicht beendet, aber doch perspektivlos. Damals schrieb der Papst, dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihen zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben.“ Grundlage war die Feststellung, dass Jesus keine Frauen in den Kreis der zwölf Apostel berufen hat. Heute haben wir andere exegetische Ansichten zum Apostelamt. Außerdem hat sich das Denken der Zeit gewandelt. Viele junge Menschen sehen in diesem Ausschluss keine theologische Frage, sondern einen Anachronismus. Sie interessiert die Frage nach biblischen und lehramtlichen Argumenten nicht, sondern lehnen die Position der Kirchenleitung ab, weil für sie ein Ausschluss von Frauen aus dem Weiheamt aus der Zeit fällt. Da geht es nicht um Lehren, sondern um Einstellungen. Deswegen werden wir mit der o.g. Argumentation auch nur selten Menschen unserer Zeit überzeugen können. Natürlich können wir uns nicht einfach dem Zeitgeist anbiedern, aber wenn das lehramtliche Fundament nicht mehr so sicher ist, müssen wir uns fragen, ob Jesus wirklich gegen die Öffnung des Weihamtes für Frauen gewesen wäre. Ich kann dafür keine eindeutigen Belege in seiner Verkündigung sehen. Möglicherweise war das vor 2000 Jahren nicht möglich, sicher auch noch nicht vor 100 Jahren, aber vielleicht ist es heute der Weg, um nicht unnötig Menschen durch die Kirche abzustoßen. Ich bin überzeugt, dass nicht alles besser wird, wenn wir das Frauenpriestertum zulassen oder die strenge Verpflichtung der Priester zum Zölibat aufheben, das zeigen uns ja die Beispiele anderer Konfessionen, aber wenn wir zu der Überzeugung kommen, dass wir durch das Festhalten an Überzeugungen, die zu bestimmten Zeiten sinnvoll waren, aber nicht an eine endgültige Willensäußerung Jesu gebunden sind, mehr Menschen auf Distanz halten und so auch zum Hindernis für die Begegnung zwischen ihnen und Jesus werden, dann müssen wir als Kirche umdenken. Ich habe keine Angst davor, dass einmal in der Nachbarpfarrei eine Frau das Pfarramt übernimmt oder ein weiblicher Kaplan zu uns kommt. Die Kirche wird nicht untergehen, aber vielleicht weniger verstörend auf die Menschen unserer Zeit wirken. Wir können diese Frage nicht lösen, wenn die Befürworter als Glaubensverräter abgestempelt oder die Gegner als unbarmherzige, alte, weiße Männer diffamiert werden. Es braucht mehr Gelassenheit. Hier ist nicht der Platz, um alle Fragen der Kirchenkrise unserer Zeit zu lösen, aber wohl für ein Plädoyer, Christus wieder in der Mitte seiner Kirche zu erkennen und so auch den anderen in den Blick zu nehmen als Weggefährten an der Seite Jesu. Dann werden sich manche Konflikte entschärfen und manche Verhärtungen aufbrechen. Diesen Impuls dürfen wir uns von den Tagen in Rom erhoffen. Im November wird es keine andere Kirche geben, aber möglicherweise schauen wir dann doch zurück und sehen, wie alle Seiten gemeinsam darum gerungen haben, die Kirche Jesu aufzubauen und nicht das eigene Lager zu stärken. Dann dürfen wir mit dem evangelischen Pfarrer Jörg Zink das Wagnis eingehen, das er 1982 auf dem Katholikentag in Düsseldorf formuliert hat:

Ich träume von einer Kirche, die in Bewegung ist,
in Bewegung auf ihren Herrn zu:

 

Ich träume von einer Kirche,
deren Wände sich auflösen und sich verlieren,
so, dass das Licht von allen Seiten eindringt;
von einer Kirche, in der Freiheit ist,
die sich selbst und ihre Grenzen und Wände nicht wichtig findet;
die ihr Dach und ihre Wände und Pfeiler
dem Glanz des Himmels zum Opfer bringt.“

Sven Johannsen, Pfarrer

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