Predigt 28. Sonntag A „Dresscode für das Himmelreich“

Liebe Schwestern und Brüder

Die beiden haben es gut. Sie stehen am Südportal der Würzburger Marien-kapelle, blicken auf das Geschehen am Marktplatz und müssen sich keine Gedanken darüber machen, ob sie passend gekleidet sind: Die Sandsteinfiguren Adam und Eva von Tillmann Riemenschneider.

Unbekleidet stehen sie den staunenden Blicken der Touristen ausgesetzt an den Außenpfeilern der spätgotischen Hallenkirche in der Mitte der Bischofsstadt und scheinen die Blicke der Umstehenden zu genießen, jedenfalls wirken sie kein bisschen verlegen. Sie stehen da im im Fokus der Aufmerksamkeit und zeigen weder Mühsal, noch peinliche Berührung. Sie wirken jugendlich und unschuldig in ihrer Blöße, weich, lebensfroh, sanftmütig und elegant mit ihrer gelockten Haarpracht. Sie blicken hinunter auf die vielen Menschen, die in Anzügen, bequemer Touristenkleidung, aufgebrezzelt in Abendkleid und Smoking, eingeschnürt in Jeans, die früher schon mal besser gepasst haben, oder in studentischem Schlabberlook an ihnen vorbeiziehen. Dabei sind die Ureltern schuld an der Miserere ihrer Menschenkinder: daran, dass manche(r) stundenlang vor dem Kleiderschrank steht und fragt, ob das eine Teil zum anderen passt, ob er / sie das überhaupt tragen kann in seinem Alter und bei seiner / ihrer Figur, ob er / sie mit dem knappen Oberteil oder der bunten Hose nicht zu sehr oder zu wenig auffällt? Die beiden haben es gut: Um Kleidung müssen sich Würzburgs Superstars an der Marienkirche keine Sorgen machen. Noch nicht zumindest! Die Darstellung der nackten Eva und des nackten Adams sind zur Zeit ihrer Entstehung noch selten, denn der Verzicht auf Kleidung weist sie aus als Bewohner des Paradieses. Da gehören sie aber schon lange nicht mehr für die Kirche hin. Zu Riemenschneiders Zeit findet man sie meist in Felle gehüllt, ängstlich nach dem Engel blickend, der sie vor die Himmelstür weist. In der Regel zeigen sie sich schon älter und beladen von den Mühen der Arbeit und des Lebens. In Würzburg aber stehen sie so wie Gott sie erschaffen hat und zeigen uns wie paradiesisch Leben am Anfang war und noch sein könnte. Die Tora erklärt uns, dass der Trend zur Hose zusammenfällt mit einer veränderten Sicht auf sich und den eigenen Körper durch den Sündenfall. Weil der Mensch in seiner Nacktheit die Erinnerung an sein Versagen und die Gefahr einer ständigen Versuchung erkennt, kleidet er sich ab jetzt den Umständen entsprechend.
Die Anthropologen sehen andere Gründe für den Griff in den Kleiderschrank. Weil der Mensch anfangs in Region lebte mit sehr gemäßigtem Klima und angenehmen Temperaturen, war der Verlust von Fell ein klarer Vorteil, denn so konnten die Jäger durch Schwitzen viel besser ihre Körpertemperatur regeln und länger durchhalten als die Beute, die sie verfolgten. Den Nachteil bei Kälte glichen unserer Vorfahren durch die Felle ihrer erlegten Jagdtrophäen aus. Schon vor 120.000 Jahren gerbten sie, wie Funde in Marokko zeigen, Tierhäute. Wann ein zweiter Grund, nämlich der modische Geschmack, hinzutrat, lässt sich schwer fassen. Aber die reine Nutz- und Schutzfunktion von Kleidung wird seit undenklicher Zeit ergänzt durch den Wunsch, sich zu schmücken, heraus-zustechen, sich abzuheben, seine soziale Stellung zu verdeutlichen oder aber sich als einer Gruppe zugehörig erkennen zu geben. Kleidung bietet Schutz und ist ein Mittel der Kommunikation. „Kleider machen Leute“, sagen wir noch heute. Obwohl in unserer Zeit die strengen Kleiderordnungen kaum mehr zu erkennen sind, gibt es immer noch Orte strenger Kleiderordnung, z.B. die Oper, wo Jeans und Schlabberpulli nur ungern gesehen sind. Noch immer gibt es passende und unpassende Kleidung, auch wenn unsere Zeit eher den lässigen Stil bevorzugt. In der Bank oder im Hotel will ich seriöse Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, meist durch den entsprechenden Dresscode gewährleistet. Auch wenn ich wohl kaum zu einem Fest der britischen Royals eingeladen werde, bei denen noch strenge Kleiderordnungen gelten, gilt doch für unsere Taufen, Hochzeits-Feiern und Beerdigungen eine zumindest stillschweigende Vereinbarung, dass man nicht in Jogginghose und Feinripp-Unterhemd kommt. Viele Kleidungsvorgaben sind verschwunden, dennoch gibt es Anlässe, die eine bestimmte äußere Erscheinung verlangen, um zu zeigen, dass wir den Anlass ernst nehmen und seine Bedeutung zu würdigen wissen.

Mancher erinnert sich noch daran, dass so ein Anlass auch der Sonntag war. Es gab die Kleider und Hosen, die nur am Tag des Herrn, mitunter nur zum Gottesdienst, getragen wurden. Damit wurde die herausragende Stellung des Sonntags als Ruhetag der Woche verdeutlicht und auch Ehrfurcht vor Gott gezeigt. Obwohl es dem Herrn wohl immer ziemlich egal war, ob wir Markenkleidung oder Schürze tragen, ging es in der äußeren Darstellung um eine innere Einstellung.

Denkt man an die letzten Verse des Evangeliums zurück, dann stellt sich durchaus die Frage: Ist es vielleicht Gott gar nicht so egal, wie wir vor ihm erscheinen? Da fliegt ein armer Tropf hinaus, weil er nicht passend für das große Fest gekleidet ist. Oberflächlich könnte man kritisch fragen, ob er eventuell gar keine finanziellen Voraussetzungen für festliche Kleidung hatte oder ob ihm einfach die Zeit fehlte, sich dem Anlass entsprechend zu kleiden? Dann wäre das Verhalten des Königs, in dem das Evangelium Gott erkennen lässt, sehr ungerecht. Seine Einladung gilt den Armen und den Menschen am Rand und sie kommt äußerst überraschend nachdem die Noblen ihren Unwillen gezeigt haben. Ich bin überzeugt, dass ich niemanden überrasche, wenn ich diese materialistische Sicht korrigiere. Jesus würde niemals einem Menschen seine Armut und sein Elend vorwerfen. Das Hochzeitsgewand steht selbstverständlich für eine innere Haltung und nicht für eine äußere Erscheinung. Sie müssen also keine Angst haben, dass sie ohne Krawatte und Festrobe hier vor die Tür gesetzt werden. Die letzten Verse des Matthäusevangeliums, die sich so in der Parallelerzählung des Lukas nicht finden, sind eine Mahnung an seine Gemeinde.
Der erste Teil des Gleichnisses lässt sich gut nachvollziehen. Schon an den beiden vorausgehenden Sonntagen wurden wir in die Streitgespräche Jesu mit den religiösen Führern seines Volkes einbezogen. In den drei Bildreden von den bösen Winzern, den beiden Söhnen, die unterschiedlich auf den Willen ihres Vaters reagieren, und der Einladung zum Hochzeitsfest, die wir heute gehört haben, zeigt Jesus den Vornehmen auf, dass sie nicht auf ihre Frömmigkeit und Macht vor Gott pochen können, sondern letztlich gerichtet werden, weil sie nicht dem Willen Gottes entsprochen haben. Gleichzeitig wird in allen drei Streitreden aber auch das positive Gegenbeispiel aufgezeigt, den Menschen, der – unabhängig ob er aus dem Judentum oder aus dem Heidentum stammt – Gott als Gott, als Herrn des Lebens und Schöpfer der Welt anerkennt und entsprechend handelt. Dieser Gedanke wird heute fortgeführt in den Menschen am Rande, die von den Hecken und Zäunen geholt werden und nun den Festsaal füllen. Damit könnte das Evangelium gut schließen: ein schönes Happy-End. Aber Matthäus bremst die Heilsgewissheit seiner Gemeinde aus. Sich zu Jesus bekehrt zu haben, heißt nicht automatisch, den Himmel zu gewinnen. Das fehlende Hochzeitsgewand ist ein Verweis auf Verhalten, das nicht dem Glauben entspricht. Wer sich zu Jesus bekennt, der muss auch im äußeren Tun seiner Berufung entsprechen. Ich kann mich nicht zum guten Christen erklären, weil ich bestimmte religiöse Gebote erfülle, ich muss mich auch in meiner alltäglichen Praxis von der Botschaft Jesu und dem Glauben an Gott prägen lassen. Das ist keine Pauschalverurteilung von frommen Menschen. Im Evangelium ist es einer, der vor die Tür gesetzt wird. Matthäus geht also davon aus, dass Christen, die sich zu Jesus bekennen, in der Regel auch in der Praxis die Freude am Glauben ausstrahlen und so leben, dass es ihrer Berufung entspricht. Aber das ist kein Automatismus. Auch wenn ich regelmäßig den Gottesdienst besuche, spende, mich am Gemeindeleben beteilige, muss ich mich darum mühen, die Haltung Jesu in meinem Leben einzuüben. Das ist nicht immer leicht.

Auch im Augenblick nicht: Ich muss selbst zugeben, dass angesichts der Bilder aus Israel Gefühle wie Rache und Vergeltung für solche Grausamkeiten in mir aufsteigen, aber zugleich weiß ich, dass jede Gewalt immer wieder Gegengewalt erzeugen wird. Menschen haben das Festgewand ihres Menschseins zerfetzt durch unmenschlichen Terror, Hass und Verhöhnung von Opfern. Nicht nur die Terroristen, sondern auch alle, die am Straßenrand in Gaza standen und die Entführten bespuckt und verspottet haben, haben das Kleid ihrer menschlichen Würde abgelegt und sich selbst herabgewürdigt auf die Ebene von Bestien. Das gilt nicht weniger für Menschen, die auf deutschen Plätzen stehen, die Gewalt gegen Unschuldige feiern und Hassparolen gegen Juden brüllen. Ich kann jeden verstehen, der Probleme mit der Politik Israels hat, aber das ist keine Rechtfertigung für die Unmenschlichkeit, die geschehen ist. Aber auch wenn ich solidarisch mit Israel bin, gilt für mich als Christ auch die Mahnung Jesu, mich nicht in eine Spirale von Faust gegen Faust, Zahn gegen Zahn hineinziehen zu lassen. Ganz sicher steht es Israel jetzt zu, den Keim des Bösen zu beseitigen, aber nicht Rache an Unschuldigen zu nehmen. Der Generalsekretär der UN, Antonio Guterres, hat von den Terroristen die Freilassung der Geiseln gefordert, aber auch Israel gemahnt, humanitäre Hilfe für die Menschen im Gaza-Streifen zuzulassen und daran erinnert, dass auch Kriege Regeln haben. Auf fanatischen Terror kann nicht mit unbarmherziger Vergeltung reagiert werden. Christen stehen solidarisch zu den Menschen in Israel, aber sie werden sich auch immer dafür einsetzen, dass die Gewalt auf der Gegenseite nicht eskaliert und auch denen geholfen wird, die jetzt flüchten müssen und in Not geraten. Gerade wer von uns persönliche Verbindungen nach Israel hat, wird hier besonders herausgefordert. Aber wir wissen, dass Gewalt nie eine Lösung und Krieg immer eine Niederlage der Menschheit ist, wie es Papst Franziskus immer wieder neu betont. Er hat deutlich gemacht, dass das angegriffene Israel das Recht hat sich zu verteidigen, aber zugleich warnt er vor „gegenseitigem Leid.“ Der Nahe Osten, so Papst Franziskus in seiner Ansprache bei der Generalaudienz am Mittwoch, braucht keinen Krieg, sondern Frieden: „Einen Frieden, der auf Gerechtigkeit, Dialog und dem Mut zur Geschwisterlichkeit aufbaut“. Sich dafür einzusetzen entspricht unserem Glauben an Christus, der gekommen ist, die Versöhnung mit Gott zu bringen. Dabei müssen viele von uns ganz menschliche Gefühle wie den Wunsch nach Vergeltung überwinden, aber nur so bewahren wir unser Festkleid des Reiches Gottes. Es gibt keine Ausnahme für die Botschaft Jesu. Sie gilt immer, auch wenn es schwer wird. Amen (Sven Johannsen)

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