Predigt 3. Ostersonntag „Riechen und Hören, dass es etwas Größeres gibt“

Predigt 3. Sonntag der Osterzeit B – 2024

Riechen und Hören, dass es etwas Größeres gibt.“

Liebe Schwestern und Brüder

Spiritualität ist das Erleben, dass es ein Mehr gibt, ist das Riechen und Hören, dass es etwas Größeres gibt“, so beschreibt Bischof Heiner Wilmer von Hildesheim einen gesellschaftlichen Megatrend unserer Zeit. (HerderKorrespondez HK Spezial 2) Viele Menschen spüren, dass ein gelingendes Leben nicht nur in der Zufriedenheit mit dem Beruf, einer glücklichen Partnerschaft und Familie sowie in Gesundheit und Fitness bestehen kann, sondern ein wesentliches „inneres“ Moment dazukommen muss: Die geistliche Ganzheit. Spiritualität ist heute in aller Munde. War sie lange reserviert für den Bereich der christlichen Mystik, sind in unseren Tagen Pater Anselm Grün und andere geistliche Autoren nur noch Mitbewerber auf einem unüberschaubar gewordenen Markt geistlicher Angebote. Spiritualität ist ein Markt, auf dem von Yoga-Lehrern in indischen Ashrams bis zu esoterischen Heiler viele Anbieter tätig sind.

Um was geht es beim Begriff der Spiritualität?

Zweifelsohne ist Pater Anselm Grün als Seelenbegleiter für einen großen Teil unserer Bevölkerung, unabhängig ob gläubig oder nicht, die erste Adresse für eine Nachfrage. Er liefert eine sehr kurze und eingängige Antwort: Spiritualität meint eigentlich: Leben aus dem Geist.“ Er fügt hinzu: Und für uns als Christen ist es der Heilige Geist, der uns durchdringt und aus dessen Quelle wir leben möchten. Wenn wir uns der Wirklichkeit stellen und sie mit dem Geist Gottes durchdringen, dann ist es ein guter spiritueller Weg.“ (www.herder.de/el/themen/spiritualitaet/)

Spiritualität ist also keine Sportübung, die ich antrainieren kann. Sie ist eine innere Haltung, die von Erfahren und Erkennen geprägt ist. In mir öffnet sich ein Fenster für eine Weite, die in der „normalen“ Wirklichkeit nicht spürbar ist. Für uns Christen ist der Heilige Geist die Kraft, die unsere Herzen für die Erfahrung öffnet, dass in unserer Wirklichkeit sich eine tiefere Schicht öffnet, in der wir dem Sinn des Lebens und dem Geheimnis Gottes in der Welt auf die Spur kommen.

Die Autorin, Theologin und Ordensschwester Melanie Wolfers analysiert unsere Zeit sehr treffend, wenn sie sagt: „Spiritualität ist ein Sehnsuchtsbegriff, in dem etwas aufscheint von dem Wunsch nach einem unzerstückelten, heilen, ganzen Leben. Diese Sehnsucht ist eine Antwort auf unser Leben in einer Gesellschaft, in der die Lebenswelten sehr zersplittert sind und in dem das Denken sehr stark von einem szientistisch-naturwissenschaftlichen Weltbild geprägt ist. Viele sehnen sich aber nach einem Leben, das anders ist, ohne andauernde Berechnung, ohne innere und äußere Erfolgskontrolle. Wo ich vertrauen, hoffen, lieben kann, in einem intensiven Gefühl der Verbundenheit mit dem anderen und dem großen Ganzen“ (In Herder Korrespondenz 2/2021)

Dem kann ich auf der Grundlage vieler Gespräche und Beobachtungen zustimmen: Viele Menschen haben in dieser zersplitterten Welt den Wunsch nach Ganzheit, nach Versöhntsein und Heil. Das ist mehr als eine abstrakte Vorstellung, eine Idee, wie sie der Philosoph Platon in seiner Ideenlehre vorlegt, sondern ein Lebensziel. Es ist schmerzlich zu spüren, dass alles, was ich beginne, begrenzt und unvollkommen ist, dass ich das Gute will und Schaden anrichte, dass nichts dauerhaft bleibt.

In dieser Sehnsuchtshaltung treffen wir m.E. heute die Jünger. Erinnern wir uns an ihr Erleben kurz zuvor. Die Jünger, die mit Jesus auf dem Weg nach Emmaus waren und ihn nicht erkannten, bekennen, dass in ihren Herzen ein Feuer brannte, als er unterwegs mit ihnen redetet. Sie waren waren also schon vorbereitet auf seine Offenbarung als der österliche Herr beim Brechen des Brotes. Voll Freude laufen sie noch in der Nacht nach Jerusalem zurück, um den anderen Jüngern zu berichten, was sie erlebt haben. Die erwarten sie schon und lassen sie nicht zu Worten kommen, weil es aus ihnen herausbricht: „Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen.“ Dann erst können auch die Emmausjünger berichten, was sie erlebt haben und wie ihnen die Augen aufgingen, als Jesus das Brot brach. An dieser Bruchstelle zwischen maßloser Freude und entsetzem Staunen befinden wir uns am Beginn des heutigen Evangeliums. Unbändige Freude und Glück erfüllt die erzählenden Jünger. Dann tritt Jesus herein und die Stimmung schlägt um: Sie erschrecken und zweifeln. Nachdem zwei Jünger stundenlange mit ihm auf dem Weg waren und Simon Petrus Jesus selbst begegnet sind, stehen sie plötzlich wieder am Nullpunkt der Angst und des Zweifels. Es braucht jetzt schon handgreifliche Beweise, um ihnen klarzumachen, dass vor ihnen kein Geist eingeschwebt ist. Wie ist diese Begriffsstutzigkeit zu erklären? Die Jünger sind ja schon längst zum Glauben gekommen. Ich denke, dass es für sie schwierig ist, anzunehmen, dass tatsächlich alles heil und versöhnt ist. Menschen misstrauen dem Glück und rechnen lieber mit Täuschung und Unglück. Die äußere Zeremonie des Essens und Berührens weist auf einen inneren Prozess hin: Sie erschrecken vor Freude, weil in ihnen selbst noch keine Versöhnung mit dem Karfreitag und allem Scheitern vollzogen ist. Durch Ostern ist die Sehnsucht der Jünger nach heilem und ganzem Lebens erfüllt, aber die Jünger wissen noch nicht mit dieser Erfahrung umzugehen: Wenn Jesus bei ihnen ist, dann sind die Dinge klar, aber sie müssen jetzt in der Zeit bestehen und eine neue Haltung gewinnen, die über die Angst vor Verlust und endlicher Begrenztheit hinausgeht. Es ist ein langer Prozess hin zu einem Leben aus dem Heiligen Geist. Die Jünger verwandeln sich, aber sie werden nicht verzaubert. Sie brauchen Zeit, um sich einzuüben in diese neue Lebenshaltung, in der nicht mehr der Schmerz über das Bruchstückhafte des Lebens dominiert, sondern das Wissen, dass Gott in der Auferweckung Jesu die Scherben des endlichen Lebens geheilt hat.

Vor dieser Herausforderung stehen letztlich auch wir. Wir sind auf Christi Tod und Auferstehung getauft und sollen als österliche Menschen leben, d.h. als Menschen, die sich nicht von der Zerbrechlichkeit des Lebens ängstigen lassen, sondern an das versöhnte, unzerstückelte, heile und ganze Leben glauben, das Leben in Fülle, das Jesus zu bringen gekommen ist. Das fällt nicht immer leicht. Wie oft erschrecken uns die Abbrüche des Lebens im Tod eines Menschen, den wir lieben, oder in der Enttäuschung über das Unvollendete in dieser Welt. Die Jünger lernen, dass es nicht darum geht, alles so weitergehen zuz lassen wie vor dem großen Graben des Karfreitags. Sie können nicht die Zeit zurückdrehen, aber mutig in die Zukunft blicken, in der das heilvolle Leben schon erkennbar ist. So schreiben die Autoren Christian und Julia Schramm:

Ostern ist nicht das große Zurück, die Restitution des „wie früher“, sondern die heilvolle Eröffnung einer Perspektive nach vorne und von vorne. Es erfordert jede Menge Mut, sich auf diese österliche Verwandlung–auch die Verwandlung der eigenen Sehnsucht und Hoffnung–einzulassen, denn wie alles Neue ist auch dies unbekannt und damit riskant… Aus der Zukunft geht uns Gott im auferstandenen Jesus Christus entgegen. Das Leben, das von vorne kommt, verheißt uns wie den Jüngerinnen und Jüngern in den Tagen nach Karfreitag zwar eben nicht, dass es jemals wieder so wird, wie es war… Das Leben, das von vorne kommt, verheißt uns aber, dass wir uns im Jetzt und Hier wandeln, ja verwandeln können, auch durch das, was uns verstört, uns verletzt, uns ins Mark getroffen hat.“ (Christian und Julia Schramm in: „Mehr Ostern wagen!“ in „Erneuerung als Gabe und Aufgabe“, Sammelband für Joachim Negel, Münster 2021)

Jesus erklärt heute den Jüngern wie auf dem Weg nach Emmaus nochmals die Schrift und zeigt, dass von Ostern aus, alles eine neue Deutung bekommt. Wir sitzen keiner Träumerei von einer glücklichen Zukunft auf. Wer aus dem Geist Gottes lebt und sich immer wieder mit seinem Wort beschäftigt, kann hören und riechen, dass es etwas Größeres gibt. So werden wir verwandelt von schreckhaften Menschen, die angesichts der Bruchstückhaftigkeit der Wirklichkeit verzweifeln müssten, zu mutigen österlichen Menschen, die eine Ahnung haben, dass Gott einmal das Leben ganz und heil werden lässt. Amen Sven Johannsen, Pfr.

3 Riechen und Hören