Predigt Mariä Himmelfahrt 2024
Maria und die Hagebutten-Krone
Liebe Schwestern und Brüder
Wermut, Kamille, Johanneskraut, Salbei, Königskerze, Spitzwegerich und Arnika. Gerne auch Rosmarin, Thymian, Lavendel, Holunder, Beifuß, Schafgarben, Tausendgüldenkraut und Eisenkraut – zwischen 7 und 99 verschiedene Pflanzen können in einen Kräuterbüschel zur Segnung an Mariä Himmelfahrt eingebunden werden. Je nach Region und Tradition gibt es eigene Bräuche. In manchen Gegenden muss die Zahl der Kräuter durch drei teilbar sein, ein Hinweis auf die Dreifaltigkeit. Anderen Überlieferungen liegt die Zahl der Schöpfungstage zugrunde, manche moderne Interpretationen suchen Pflanzen, die für bestimmte Eigenschaften oder Tugenden stehen, z.B. Rosmarin für Mut, Pfefferminze für die Liebe, Salbei für Wohlstand und Erfolg. Letztlich aber sind die o.g. Kräuter in allen Traditionen gesetzt.
Hat auch die Hagebutte Platz in einem Kräuterstrauß?
In der vergangenen Woche waren wir mit Jugendlichen auf einer Reise durch Schweden. Im gotischen Dom von Linköping, seit der Reformation natürlich ein lutherisches Gotteshaus, faszinierte den Betrachter eine Marien-darstellung mit einer Krone von Hagebutten. Im großen Glasfenster der Apsis findet sich eine moderne und sehr berührende Mariendarstellung. Es überrascht zunächst, dass ein evangelische Gemeinde ein Marienbild in Auftrag gibt. Noch mehr beeindruckt das lange Ringen um eine passende Darstellung: Es hat mehr als 50 Jahre gedauert, einen Vorschlag zu schaffen, auf den sich alle Verantwortlichen einigen konnten. Große Künstler, u.a. Marc Chagall, steuerten kreative Entwürfe ein. 1994 aber wurde die schwedische Illustratorin und Glaskünstlerin Lisa Bauer beauftragt, gemeinsam mit dem Graveur Lars Börnesson das riesige Fenster mit der größten Glasgravur der Welt zu füllen. Eine Stiftung schenkte dem Dom dieses beeindruckende Werk. Es ist gänzlich anders als die vielen Glasfenster mit Mariendarstellungen, die wir aus gotischen Kathedralen kennen. Eine leichte schwarz-weiße Gravur verlangt vom Betrachter viel Zeit zum Hinsehens, bevor das Bild sich gänzlich erschließt. Es sind sehr feine, oft nur leicht schimmernde Linien, die man bei Gegenlicht nur sehr schwer erkennen kann. Deutlich tritt aber das zarte, jugendliche Gesicht Mariens hervor. Die Künstlerin hat sich von der Figur der Uta im Naumburger Dom inspirieren lassen. Wie die berühmte Steinfigur zieht Maria den Mantel zu sich und scheint damit das Gesicht bedecken zu wollen. Anders aber als die Edelfrau schaut Maria den Betrachter nicht von oben herab aus herrschaftlicher Pose an, sondern wirkt „schön und demütig“. Es ist der Moment der Begegnung mit dem Engel, in dem sie sich ihrer Erwählung durch Gott bewusst wird. Der Mantel ist kein herrschaftliches Attribut, sondern über drei große Längsfenster ausgestaltet ein Lob der Schöpfung. Er setzt sich zusammen aus Sommerblumen, die im Schwedischen den Namen der Gottesmutter aufnehmen oder in der christlichen Tradition mit Maria verbunden sind: so wachsen von unten als bunter Blütenmantel 22 verschiedene Pflanzen, die schließlich Maria ganz einhüllen und zuletzt in eine hoch aufragenden Krone münden, die gänzlich aus Hagebutten besteht. Die Künstlerin erklärt ihre Darstellung: „Die Krone, die meine Maria trägt, wächst aus einem Rosenstamm rechts vom Gesicht und wirft einen Laubschatten über ihre Stirn. Der Hagebuttenbusch ist nicht ohne Dornen wie Marias Rose eigentlich sein sollte – aber er treibt seine reinen duftenden Blüten aus, da wo sie das ganze Werk krönen – ein Ros entsprungen.“ (Lisa Bauer, Vadstena, 4/10/1994)
Ganz bewusst hat die Künstlerin nicht die elegante und edle Kulturrose in leuchtendem Rot gewählt, sondern eine Wildrose, die uns auf Schritt und Tritt an Hecken, Waldrändern, Rainen und Gebüschen begegnet. Die Hagebutte ist „nichts Besonderes“ wie die Edelrose, sondern ein Gewächs der freien Natur, von dem der Mensch schon lange weiß, wie er es als Nahrungs- und Heilmittel verwenden kann. Wenn so die Krone Mariens stilisiert wird, drückt das aus, was sie auszeichnet: Maria ist die „Frau aus dem Volke“, kein Spross der Elite. Sie gehört unter die Menschen und ist doch herausgehoben durch die Wirkung, die ihrem Ja-Wort folgt. Die Hagebutte ist ein Alleskönner: Sie wird zu Marmelade, Tee und Medizin. Sie hilft bei Blasen- und Nierenleiden, Erkältungen, aber auch Gicht und Rheuma. Unscheinbar und doch von großer Heilkraft. Maria muss nicht von den Menschen abgehoben werden. Es ist nicht ihre Leistung, ihr Können oder ihr Wissen, das sie bedeutend macht, sondern das Wirken Gottes, das sie zulässt. Kardinal Leo Scheffzyck, einer der großen deutschen Theologen der Konzilszeit, schreibt über Maria:
„In Wirklichkeit stand Maria niemals als Privatperson vor Gott. Deshalb sind auch ihre individuellen Vorzüge und die sie auszeichnenden Geschehnisse in ihrem Leben niemals von ihrer Heilsaufgabe zu trennen, die sie für die ganze Menschheit vollführte. Unter diesem Aspekt gewinnt dann auch das Ereignis der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel eine allgemein-menschliche Bedeutung (…).Es geht hier nicht nur um eine private Auszeichnung Marias, (…) es geht vielmehr um ein Erlösungsereignis, näherhin um die Darstellung der vollendeten Erlösung an einem aus der Reihe der Erlösungsbedürftigen; denn die Vollendung der Erlösung geschieht erst dort, wo sie sich auf das menschliche Geschöpf im Ganzen auswirkt, gerade auch auf den oft so gering geschätzten und abwertend behandelten Leib.“
Eine Krone, die aus den Dornen der Hagebutte herauswächst, lässt sich gut deuten im Blick auf das Geheimnis des heutigen Festes und seiner Botschaft für uns: Die Dornen der Endlichkeit verletzen noch immer. Sie schmerzen, wenn wir Krankheit erfahren, den Tod eines lieben Menschen miterleben oder selbst Angst empfinden vor dem Sterben. Das Leben mit all seinen Schönheiten wird von diesen Dornen täglich verwundet und manchmal scheinen sie alles Gute zu überwuchern. Das Leben erstickt in den Fangarmen des Todes. Doch das Bild von der Madonna mit der Hagebuttenkrone zeigt uns, dass aus diesem dichten Gestrüpp das wahre Gute herausbrechen kann. Gott krönt Maria mit der Vollendung bei ihm. Sie, die den Tod selbst erlitten hat, wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen, so dass ihre Persönlichkeit und Geschichte nicht verschwindet. Heute feiern wir das Heilmittel gegen den Tod, den bodenständigen Glauben an die Auferstehung.
Maria trägt die Krone unseres Lebens, die geflochten ist aus den Dornen unserer Todesängste. Aus dem Gestrüpp wächst Maria als Zeichen der Hoffnung hervor und lädt uns ein, selbst zu glauben, dass Gott an uns und unserem Leib österlich handeln wird, so dass auch wir singen können: „Meine Seele preist die Größe des Herrn… Denn der Mächtige hat Großes an mir getan.“
Sven Johannsen, Pfarrer