Predigt Palmsonntag 2024 „Glückstag“

Liebe Schwestern und Brüder

Und wieder sind es die Finnen! Am vergangenen Mittwoch veröffentlichten die Vereinten Nationen am sog. Weltglückstag, der seit 2013 immer am 20. März begangen wird, ihr Ranking der glücklichsten Völker der Erde. Für Deutschland war es ein Schock-Moment, denn wir sind in den letzten zwölf Monaten von Platz  16 auf Platz 24 abgerutscht.

Die Finnen dagegen belegen zum siebten Mal in Folge den ersten Platz, gefolgt von den nördlichen Ländern Dänemark, Island und Schweden. Ich habe drei Monate während meines Studiums in Finnland gelebt und hätte ehrlich den Finnen einen ganz anderen Titel gegeben: das „exzentrischste Volk“ der Welt.  Ich war damals in den Sommermonate in Lahti, also in den Wochen, in denen die Sonne auch in der Nacht kaum untergeht. Lebenslustig und ausgelassen – das passt für mich gut, aber glücklich? Wer die finnische Sauna liebt und gleichzeitig zwischen den einzelnen Gängen noch ein kaltes Bier trinkt, der hat wohl das Fegefeuer schon hinter sich. Religiös könnte man das auch als „glücklich“ deuten, aber das war nicht Forschungsgegenstand.

Wie kann man „Glück“ bewerten?

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die den Welt-Glücks-Bericht erstellten, nahmen sich viel Zeit. Der Forschungszeitraum spannt sich über die Jahre 2021 bis 2023. Gefragt wurde nach der ganz persönlichen Einschätzung des eigenen Lebens auf einer Skala von 0 bis 10. Das „Siegerland“ Finnland kam auf den beeindruckenden Wert 7,7, während das unglücklichste Land der Erde, Afghanistan, gerade einmal einen Score von 1,7 erreichte. (Deutschland kommt in der Skala auf einen Durchschnittswert von 6,7). Wieso sind die Finnen so glücklich? Eine Analystin des Instituts für Glücksforschung in Dänemark, Catarina Lachmund, verwies gegenüber der Tagesschau auf ein Charakteristikum der führenden Länder: „“Was alle skandinavischen oder nordischen Länder quasi gemeinsam haben: Sie haben sehr kleine Bevölkerungen, die sehr bodenständig sind“ (Tagesschau vom 20.3.2024) Reporter des BR argumentierten ähnlich und zogen die positive Rolle der Naturerfahrung ins Feld. Finnland ist das Land der Weite, der dunklen Wälder, der unberührten Landschaften und der 188.000 Seen, die jeweils wieder Millionen von glücklichen Mücken anziehen. Eine wichtige Rolle in der Suche nach Glück spielen die Faktoren Gesundheit, Wohlstand und Jugend oder besser Lebenserwartung, aber eben nicht ausschließlich. Glücklichsein könne man „als Zufriedenheit“ definieren, meint Lachmund. Man kann es lernen. Tatsächlich stehen in finnischen Schulen emotionale Fähigkeiten auf dem Lehrplan der Schülerinnen und Schüler. Siebtklässler lernen ihre guten und schlechten Gefühle in Worte zu fassen und sie auch gegenüber anderen Menschen zu kommunizieren, so dass das eigene Leben nicht in einem negativen Strudel von Unzufriedenheit und Neid gerät. Der kanadische Ökonom John Helliwell zeigt die Konsequenzen dieser Investition in das Glücklichsein schon im Kindes- und Jugendalter auf: „Die Finnen vertrauen einander, sie kümmern sich umeinander. Und sie haben ein sehr hohes Maß an Chancengleichheit in Bezug auf Bildung, Gesundheit und soziales Ansehen. Finnen vergleichen sich weniger, stehen nicht so im Wettbewerb zueinander wie Menschen in vielen anderen Ländern.“ Das heißt nicht, dass jeder Finne mit strahlendem Lächeln und als personifizierter Sonnenschein durch das Leben schwebt. Finnland ist auch das Land mit einer der höchsten Selbstmordrate der Erde, teilweise auch der langen Dunkelheit geschuldet, die das Land über lange Monate gefangen hält und Menschen depressiv machen kann.

Was Finnen glücklich sein lässt, ist ihre soziale Grundeinstellung, die Egoismus und Selbstfixierung sprengt. Finnen, das habe ich auch so erlebt, sind sehr daran interessiert, dass es allen gut geht und wissen, dass auch sie nur glücklich sein können, wenn es die anderen sind. Da tun sich große Differenzen auf zu Lebenseinstellungen, auf die wir heute in unserem Land treffen. Glücklich, weil andere glücklich sind – das ist eine Haltung, die m.E. an zumindest zwei Momenten des Palmsonntag andockt: Dem Evangelium vom Einzug in Jerusalem und dem Hymnus des Philipperbriefes als Deutung der Markuspassion

 

Große Auftritte gehören auch heute noch zur Inszenierung von Menschen, die sich selbst als sehr wichtig sehen: Schauspieler, Sportler und mitunter Politiker. Festliche Einzüge unterstreichen die Bedeutung und die Macht, die der Geehrte für sich reklamiert. Diese Show-Auftritte  waren im römischen Reich ein feste Ereignisse im Alltag der Mensch. Wir stehen im Evangelium kurz vor dem Passahfest. Die Bewohner Jerusalems dürften also nur wenig früher den prachtvollen Einzug des höchsten römischen Vertreters im Lande, des Statthalters Pontius Pilatus, erlebt haben. Hoch zu Ross, umgeben von Offizieren und Soldaten, wurde er an einem der Stadttore von der Oberschicht der Jerusalemer Bevölkerung begrüßt und mit wohlfeilen Reden umschmeichelt worden sein. Dann hat man ihn unter Jubelrufen und mit einem Teppich aus Kleidern und blühenden Zweigen in die Stadt bis zum Palast des Statthalters geleitet. Der Weg Jesu am Beginn der letzten Woche seines Lebens sieht ähnlich aus. Bewusst schafft Markus Parallelen zum Einzug eines Königs oder hohen Offiziers, aber er setzt auffällige Gegenakzente: Die Tochter Zion, die Bevölkerung Jerusalems, kommt nicht und jubelt. Es sind die Menschen, die mit Jesus gekommen sind und zum Glauben an ihn gefunden haben, die ihn begleiten. Die Menschen in Jerusalem verweigern sich. Sie werden erst am Karfreitag ihren Auftritt haben. Es verwundert ein wenig, dass Markus Jesus am Ende wie einen Tourist den Tempel anschauen, aber ihn nicht in Besitz nehmen lässt. Jesus geht nach Bethanien und Betfage. Der Tempel wird im Laufe der nächsten Tage zum Ort des Streites und der Auseinandersetzung, nicht zu seinem Herrschaftspalast. V.a. aber ist es das Reittier, ein Esel, der den großen Unterschied ausmacht. Zwei Stellen der hebräischen Bibel deuten das Tier. Das Wort des Propheten Sacharja wird von Markus direkt konkretisiert und weist Jesus durch den Esel als den König des Friedens aus, nicht ein Militärführer, der zur nächsten Schlacht rüstet. Im Hintergrund aber steht noch eine weitere Stelle. Vor seinem Tod wird der Erzvater Jakob seinen Sohn Juda segnen und sagen, dass er das Zepter über das Land so lange in der Hand halten wird, bis der kommt, dem es gehört: der Messias. Der verheißene König wird seinen Esel, sein Reittier, an einem Pfosten festbinden. Wenn Jesus den Esel des Juda jetzt losbinden lässt, dann wird er von Markus als der Messias, der gesandte König Gottes, ausgewiesen. Über ihn sagt Sacharja: „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin.“ Der, der heute in die Heilige Stadt einzieht, inszeniert sich nicht selbst, sondern ist die Personifizierung der Zuwendung und Solidarität Gottes. Er zeigt durch Worte, Taten und Verhalten was Leben erfüllt macht: Dasein für andere.

Der Philipperbrief greift in einem bekannten Hymnus diesen Gedanken auf und macht ihn zum Schlüssel für Menschwerdung, Leben, Leiden und Sterben Jesu. Gott selbst ist Gott für die Menschen und nur aus diesem Grund ist die Erniedrigung Jesu, die schon in der Menschwerdung beginnt, verstehbar. Alles ist motiviert vom Einsatz für den Menschen. Paulus leitet den großen Hymnus ein mit dem Vers, der uns leider in der Lesung unterschlagen wird, aber erklärt, warum er diesen feierlichen Text an so prominenter Stelle zitiert:
„Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, …“ Jesu Weg wird zum Modell eines gelingenden Lebens. An keiner Wegmarke stehen eigene Wünsche oder Erfolge im Vordergrund. Es ist ein Weg der Erniedrigung bis zum Kreuz, der in der Erhöhung durch Gott mündet. Der Mensch, der ihm auf diesem Weg folgt, wird nicht nach dem eigenen Vorteil streben, sich selbst erhöhen und über andere setzen, sondern bereit, sich in Dienst nehmen zu lassen, auch wenn es manchmal zur scheinbaren Erniedrigung wird. Ich denke dabei v.a. auch an die vielen Dienste, die in einer Familie geleistet werden zwischen den Generationen, zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen, in der Liebe zwischen Eltern und Kinder, denken wir besonders auch an die Familien mit behinderten Familien-angehörigen, in der Bereitschaft für die Menschen, die ich liebe, alle Vorbehalte zu überwinden. Wir demütigen uns nicht im Dienst am anderen Menschen. Wir erfüllen unseren Lebenssinn. Glück ist Zufriedenheit mit meinem Leben, die nicht aus dem Vergleichen mit anderen kommt, sondern aus dem Wissen, das Richtige zu tun, das meinem Lebensauftrag entspricht.

Dieses Glück geschieht aber nicht nur in unserem privaten Lebensumfeld. Manchmal strahlen auch die großen Beispiele einer beeindruckenden Konsequenz im Leben auf, die uns nachdenken lassen, ob Machtgier und Unmenschlichkeit die wirklichen Regenten dieser Welt sind oder bleiben werden.

Vor fünf Wochen starb der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny.

Glauben Sie, dass er ein glücklicher Mensch war? Er selbst erzählte von seiner glücklichen Kindheit und Jugend. Er war talentiert und erhielt ein Stipendium an der renommierten Yale-Universität. Ihm lag die Welt zu Füßen. Ohne große Schwierigkeiten hätte er im Russland von Putin reich und mächtig werden können. Aber er entschied sich anders. Sein Weg war nicht unumstritten. Seine früheren Reden waren auch angefüllt von nationalistischen und rassistischen Gedanken. Aber er blieb konsequent ein Gegner der Korruption in Russland unter Putin. Dafür wurde er verfolgt, verhaftet und immer wieder auch zum Ziel von Attentaten. Er hatte Glück. Nach dem Giftanschlag 2020 wurde er auf internationalen Druck in die Berliner Charité verlegt. Deutschland hatte ihm einen schon sicheren Zufluchtsort angeboten, aber Nawalny entschied sich, im Januar 2021 nach Moskau zurückzukehren, wo er noch am Flughafen verhaftet wurde. Zu dreieinhalb Jahren Straflager verurteilt, wiederholt durch Isolationshaft gefoltert und schließlich nach Westsibirien gebracht stirbt er dort nach offiziellen Angaben angeblich an einem überraschenden Todessyndrom.

Vor einem Moskauer Gericht erklärte er 2021, was ihm die Kraft gibt: sein Glaube. Er selbst wurde durch das Lesen der Bibel vom Atheisten zum orthodoxen Christen. Die Seligpreisung „Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden“ wurde ihm zum Antrieb. In all den Jahren, in denen er Unrecht durch Staat, Polizei und Justiz erfuhr, hat ihn dieses Wort und das Beispiel Jesu aufgebaut, getröstet und ermutigt, den wichtigen Weg zu gehen?

Ist das nicht auch Glück? Sein Leben nimmt in unseren Augen kein glückliches Ende, aber es ist konsequent der Weg, für den er sich entschieden hatte. Seine Hoffnung bis zum Ende blieb, dass die Gerechtigkeit auch in Russland siegen wird, und er wusste, dass sie auch dann siegen wird, wenn er getötet wird. Der Glaube, so Nawalny damals vor Gericht in Moskau, mache es ihm viel, viel einfacher das zu tun, was er als richtig erkannt hat. Er grüble weniger, weil er sich an der Bibel orientiert.

Ich finde, dass das ein glückliches Leben ist, ein Leben, mit dem man zufrieden sein kann und das zeigt, dass die Orientierung an Christus, die der Philipperhymnus nahelegt, zum Erfolgsmodell für ein gelingendes Leben werden kann, auch wenn ihm Unrecht und Leid widerfährt. Nicht ich muss mich erhöhen, Gott wird es am Ende tun. Vielleicht ist das glücklichste Volk der Erde nicht eine Nation, sondern die Gemeinschaft der Menschen, die sich festmacht im Vertrauen auf Gott, der alles zum Guten führt. Amen.                                   Sven Johannsen, Pfr.

Glückstag 2024