Predigt Verklärung des Herrn 2023 „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“

„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“

Predigt Verklärung des Herrn – 6.8.2023

Wir könnten ganz nah anfangen auf dem Kreuzberg, dem heiligen Berg der Franken. Ich persönlich würde dann natürlich weiter auf den Maria Ehrenberg gehen, andere würden zum Staffelberg, nach Vierzehnheiligen oder Kloster Banz, abbiegen.

Schnell kämen wir in den Süden nach Andechs, dem heiligen Berg Bayerns, auf den Bogenberg, dem Heiligen Berg der Niederbayern, über Bogen vor Straubing, oder auf den Maria Lindenberg, der Wallfahrtsstätte bei Sankt Georgen im Schwarzwald. Auf dem Weg nach Südtirol zieht schon schnell nach dem Brenner Kloster Säben unsere Augen zum Himmel. Und im weiterhin sehnsüchtig verklärten Traumland der Deutschen, Italien, kämen wir von heiligen Bergen nicht mehr herunter: Der Monte Gargano, der Ort der Erscheinung des Erzengel Michaels, die sacri monti in der Lombardei und im Piemont, natürlich La Verna , der Berg, auf dem Franziskus die Wundmale empfing. Die Iren laufen über Schotter und Geröll auf den Croag Patrick, dem Fastenort ihres Nationalheiligen, von dem aus der Heilige alle Schlangen aus Irland vertrieb. Seit Ende der Sowjetherrschaft pilgern Litauer wieder zum Berg der Kreuze, gerade einmal 10 Meter hoch, aber übersät mit unzähligen Kreuzen. Schon Ende der 90ger Jahre zählte man dort mehr als 50.000 Kreuze, die nach einer Welle der Zerstörung in der Sowjetbesatzung, seither wieder neu aufgerichtet wurden.

Europa ist reich an heiligen Bergen, die von Christen als Pilgerorte seit vielen Jahrhunderten zum Ziel großer Wallfahrten oder kleiner Pilgerwege erkoren wurden. Aber nicht nur Europa kennt die Heiligen Berge und ihre Verehrung ist nicht eine Besonderheit des Christentums. Wir müssen sogar zugegeben, dass wir erst mit Verspätung auf dem Berg angekommen sind. Andere Religionen waren schon viel früher mit ihrer Verehrung dort beheimatet. Die Griechen verehrten den Olymp als Sitz der Götter. Hindus und Buddhisten suchen nach dem mythischen Berg Meru, der mit vielen Erhebungen identifiziert wird. Der Kailash im Himalaya-Gebirge wird seit jeher als heilig verehrt, weil dort die vier großen Ströme Südasiens entspringen: Indus, Satluj, Karnali und Ganges. Die Suche nach allen heiligen Gipfeln auf dieser Welt müsste sich wahrscheinlich weit über die Zeitspanne eines menschlichen Lebens ausdehnen: der Fuji in Japan, der Uluru in Australien oder Kilimandscharo in Tansania, aber auch der Mount Rushmore in South Dakota, in dessen Massiv nicht nur das Konterfei von vier US-Präsidenten eingemeißelt wurde, sondern auch gegenüber das Porträt des Häuptlings Crazy Horse. Berge sind in der Erd- und Menschheitsgeschichte angefüllt mit einer reichen Symbolik, Sehnsucht und Verehrung. Das liegt ganz objektiv zunächst einmal am Erfolgs -erlebnis, das mit der Besteigung eines Gipfels verbunden ist. In ein Tal kann ich ohne Anstrengung fallen, dazu brauche ich keine Kraft und Mühe. Es reicht oft schon Dummheit. Auf einen Berg bringen mich nur Ausdauer und der Wille, nicht aufzugeben. Rein menschlich verbindet sich mit Bergen schon eine Glückserfahrung. Nicht selten wird deshalb auch der Lebensweg verglichen mit dem Aufstieg auf einen Berg.
Aber alle Kulturen und Religionen bezeugen, dass Berge schon mit Anfang der Menschheitsgeschichte gefüllt sind mit einer besonderen Erfahrung der Nähe Gottes, der Götter oder des Göttlichen. Da ihre Gipfel oft in Wolken und Nebel verschwinden, vermutete man auf ihnen den Sitz der Gottheit. Aber seit Menschengedenken fühlten schon unsere Vorfahren und fühlen auch wir uns dort an dem Punkt, wo Himmel und Erde sich berühren. Hier ist man, wie immer man sich ihn vorstellt, Gott näher als im tristen Tal des Alltäglichen.

Darum haben auch in der Bibel Berge eine herausragende Bedeutung: Der Sinai / Horeb als der Gottesberg schlechthin steht stellvertretend für ihre wichtige Rolle in der Glaubensgeschichte des Volkes Israel. Hier begegnet Mose im brennenden Dornbusch dem Gott der Erzeltern. Auf dem Sinai offenbart sich Gott, gibt das Zehnwort, schließt seinen Bund mit Israel und gewährt Mose, dass er ihn Auge in Auge schauen darf. Weit mehr als zwanzig Bergmassive rund um das rote Meer bringt man mit dem Gottesberg in Verbindung. Einer alten Tradition folgend laufen wir mitten in der Nacht auf den 2285 Meter hohen Gabal Musa, der sich über dem Katharinenkloster erhebt. Der Glaube an die Offenbarung Gottes prägt auch die Verehrung des Zion, des Tempelbergs von Jerusalem, auf dem Gott nach biblischer Tradition Wohnung bezogen hat und der ein Vorbild ist für den himmlischen Zion, auf dem Gott am Ende der Zeiten alle Tränen trocknen wird, wenn alle Völker dorthin pilgern werden, ein neues Zeitalter des Friedens beginnt und Gott von seinem Volk die Schande wegnimmt (Jes 2; Jes 25).

Es verwundert nicht, dass auch das Neue Testament dieser Tradition der Verbindung von Gottes Nähe und Bergen folgt und v.a. Matthäus Knotenpunkte im Leben Jesu dort ansiedelt. Auf einem „sehr hohen Berg“ widersteht Jesus dem Versucher. Seine erste öffentliche Rede wird in die Weltliteratur eingehen als „Bergpredigt“. Auf den Berg zieht sich Jesus zurück zum Gebet und heilt dort Menschen. Auf dem Hügel Golgotha wird er gekreuzigt und auf dem Berg in Galiläa sammelt er seine Jünger und sendet sie nach Ostern in alle Welt. In der Mitte des Matthäus-Evangeliums führt Jesus eine ausgewählte Gruppe, Petrus, Jakobus und Johannes, auf einen Berg und offenbart sich als der österlicher Herr. Diese Schau scheint sich im heutigen Evangelium sehr unvermittelt zu ereignen. Es heißt in der Einleitung lediglich „In jener Zeit.“ Im Gesamttext des Evangeliums wird eine konkrete Zeitangabe gemacht: „Sechs Tage später“. Vorausgeht dem Taborereignis eine „emotionale Achterbahn“ (Detlef Hecking). Jesus und die Jünger sind auf ihrem Weg vom See zunächst in den Norden und weiter nach Jerusalem, der Stadt seines Todes und seiner Auferstehung. Zuvor haben Menschen nach der wahren Identität Jesu gefragt. Petrus bekennt Jesus als den Messias, aber bleibt in seiner Vorstellung weit hinter dem zurück, was Jesus selbst als seine Sendung sieht. Schließlich verschreckt der Herr seine Apostel mit der ersten Ankündigung seines Leidens. Hier auf dem Berg verklärt Jesus nicht die Zukunft, spielt alle Gefahren und Herausforderungen, die auf sie zukommen, herunter. Hier schafft er Klarheit in der Frage, wer er ist: Der Menschensohn und der wahre Gottes Sohn. Auch wenn noch große Schwierigkeiten auf die Jünger warten, alles, was sich auf dem Tabor ereignet, soll ihr Gottvertrauen stärken, wenn Leid und Tod die Sicht auf ihn vernebeln. Sie können jetzt einen Blick werfen auf die Herrlichkeit Gottes, die in Jesus aufleuchtet und an der sie teilhaben sollen. Es geht nicht um Verklärung, sondern um Klärung und einen klaren Blick für die Zukunft mit Gott.

Johanna Beck, Literaturwissenschaftlerin und Theologin, die als Jugendliche Opfer von Missbrauch wurde und sich deshalb als junge Frau von der katholischen Kirche entfernte, schreibt in einem Beitrag für die Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“, wie sie über das Klettern in den Bergen wieder zurückfand zum Glauben und zur Kirche und fasst ihren Weg zusammen:

„Inzwischen habe ich den Weg zum Glauben zurückgefunden und die Kirche ist nun wieder mein Fels – wenngleich ein zerklüfteter und dringend reformierungsbedürftiger. Aber genau vor diesem Hintergrund eröffnete sich mir beim Betrachten des Bildes noch ein weiterer Gedanke: Im Grunde stellt das Klettern eine wunderbare Analogie zum Leben aus dem Glauben heraus dar: In der „Seilschaft“ mit Gott, in der man sich zuverlässig getragen und gesichert weiß, kann man selbst aus dem tiefsten Abgrund emporsteigen, seine Ängste bezwingen, Hindernisse überwinden, über sich hinauswachsen und dem Himmel auf Erden näherkommen.“ (CiG 2022, Heft 45, S. 17)

Aus dem Tal der Routine und der eingefahrenen Wege auszubrechen, den Aufstieg zu wagen und sich eine neue Klarheit schenken zu lassen, kann eines der großen Geschenke unseres Glaubens sein.

Bergerfahrungen lassen uns sicher sein. So oft reden wir vorsichtig über unseren Glauben, um uns nicht lächerlich zu machen. Wir wollen ja sicher sein, aber nicht wirken, als wären wir naiv und würden nicht nachdenken. Deswegen neigen wir im Reden über den Glauben dazu, das Thema langatmig zu umkreisen und so zu sprechen, dass alle Optionen offen bleiben. Der Theologe Georg Schwikart hat dieses anstrengende Umkreisen im Reden über Gott treffend aus der Sicht eines Predigers auf den Punkt gebracht: „Arbeit am Predigt-manusktript. In der ersten Version heißt es verschwurbelt: „Wenn es mir gelingt, die Zweifel, soweit es geht, zu ignorieren, und mich ein Stück weit auf Gott einzulassen, dann erwächst in mir auch die Hoffnung, meine Probleme lassen sich lösen; zumindest gelingt es mir, mit ihnen umzugehen.“ – Wer will das hören? Nicht einmal ich selbst. Warum mangelt es mir am Mut zu sagen: „Ich vertraue, alles wird gut.“ (Georg Schwikart in: „Gottes Krümel. Annäherungen an das Unsagbare“, Würzburg 2023)

Auf dem Berg braucht es nicht viele Worte. Es reicht zu sagen: Ja, ich glaube. Ich vertraue, dass es mit Gott gut wird.“

Diese Erfahrungen haben Beter schon zu allen Zeiten gemacht und einer der schönsten Psalmen der Bibel, den ich auch gerne bei Beerdigungen vorbete, bringt diese Sicherheit ohne Netz und doppelten Boden zum Ausdruck:

 

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt vom Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
Siehe, der Hüter Israels schläft
und schlummert nicht.
Der Herr behütet dich;
der Herr ist dein Schatten
über deiner rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
Der Herr behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.
Der Herr behütet deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit!   Psalm 121          (Sven Johannsen, Lohr) 

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