Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Ich möchte Ihnen zu Beginn meiner Predigt eine Geschichte vorlesen, die mich seit meinem ersten Besuch im Priesterseminar in Würzburg begleitet hat und mir seit meinem Berufungsweg nicht aus dem Kopf geht:
Ein junger Jude kommt zu einem Rabbi und sagt: „Ich möchte gern zu dir kommen und dein Jünger werden.“ – Da antwortete der Rabbi: „Gut, das kannst du, ich habe aber eine Bedingung. Du musst mir eine Frage beantworten: Liebst du Gott?“ Da wurde der Schüler traurig und nachdenklich. Dann sagte er: „Eigentlich, lieben, das kann ich nicht behaupten.“ – Der Rabbi sagte freundlich: „Gut, wenn du Gott nicht liebst, hast du Sehnsucht ihn zu lieben?“ Der Schüler überlegte eine Weile und erklärte dann: „Manchmal spüre ich die Sehnsucht sehr deutlich, aber meistens habe ich so viel zu tun, daß diese Sehnsucht im Alltag untergeht.“ Da zögerte der Rabbi und sagte dann: „Wenn du die Sehnsucht, Gott zu lieben, nicht so deutlich verspürst, hast du dann Sehnsucht, diese Sehnsucht zu haben, Gott zu lieben?“ Da hellte sich das Gesicht des Schülers auf und er sagte: „Genau, das habe ich. Ich sehne mich danach, diese Sehnsucht zu haben, Gott zu lieben.“ Der Rabbi entgegnete: „Das genügt. Du bist auf dem Weg.“
Diese Erzählung ist also eine schöne jüdische Anekdote, die von Martin Buber so übersetzt und erzählt wurde. Für mich enthält sie eine wichtige Kernfrage:
Wie verhält es sich mit meiner Sehnsucht nach Gott?
Schwierig dabei ist sicher das Wort „Sehnsucht“. Sehnsucht bedeutet ja, daß ich etwas sehr vermisse, was ich momentan nicht besitze, nicht habe und / oder ich auch nicht spüren kann. Es ist eine Lücke vorhanden, die ich gerne wieder füllen möchte. Und diese Sehnsucht kann ich auf viele Bereiche anwenden: hauptsächlich auf Menschen und bestimmt auch auf Tiere, auf Habseligkeiten, aber auch auf die Gesundheit. Kurz gesagt: auf Dinge, die mir wichtig sind! Bei der Sehnsucht nach Gott ist es aber nicht einfach, diese zu ersetzen. Menschen kann ich wieder treffen, wenn ich sie lange Zeit nicht gesehen habe oder mit ihnen telefoniere und schreiben. Tiere kann ich mir jederzeit zulegen. Habseligkeiten kann ich immer wieder ersetzen, gerade heute wo wir einen sogenannten „Markt der Möglichkeiten“ in unserem Land und in unserer Gesellschaft vorfinden. Mit meiner Gesundheit wird es schon deutlich schwieriger. Ich kann viel für sie tun und auf sie achten.
Aber Gott, den ich noch nie persönlich mit meinen Augen gesehen habe, kann ich nicht herbeiwünschen. Ich bin eben nicht Abraham. Mir erscheint Gott wahrscheinlich nicht in drei Personen, um meinen Glauben zu nähren und zu stärken. So einfach ist das Leben nicht. Wenn Gott es aber doch tun würde, würde ich dann wirklich glauben, daß es Ihn gibt? Das menschliche Gehirn versucht ja immer wieder, unerklärliche Begebenheit, rational zu begründen. Und ob Abraham von Anfang an geahnt hat, daß ihm Gott in den dreien begegnet, bin ich mir nicht sicher. Er läßt sich genügend Zeit, das zu verarbeiten und zu begreifen, was er gerade erlebt. Abraham macht keinen Schnellschuß der Überschwänglichkeit, sondern geht ihnen entgegen. Neugier treibt ihn an, und nicht in erster Linie die Gewissheit. Immerhin sind es ja Fremde, die ihn besuchen. Auf seinem Weg zum verborgenen Gott hinüber zum Eingang des Zeltes (vgl. Gen 18,2e) geht Abraham seiner Sehnsucht nach und seiner Suche.
Und als er bei ihnen ankommt, ist genau diese Sehnsucht immer noch nicht gestillt: Seine Frau Sarah und er bewirten die drei Gäste, so als wollte das biblische Ehepaar sagen: Wir lassen Euch nicht weggehen, ohne daß wir Euch etwas Gutes getan haben. Abrahams Sehnsucht wird konkret in der Bewirtung der drei Fremden. Wären sie ihn nämlich egal oder gar lästig gewesen, hätte er sich weiterziehen lassen. Und weil zur Sehnsucht eine kleine Brise Neugier gehört, will Abraham sie einige Zeit bei sich binden. Denn wenn ich jemanden bei mir habe, der mir wichtig ist und mir etwas bedeutet, bekommt die Sehnsucht in mir eine Erfüllung und eine Zufriedenstellung.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wann habe ich das letzte Mal mich auf die Suche nach Gott gemacht? – Heute Morgen, gestern oder schon vor einiger Zeit?
Wo habe ich ihn gefunden? – In der Kirche, im Gebet, in meiner Familie, in der Einsamkeit und in der Stille?
Und wann habe ich vergeblich gesucht und die Sehnsucht blieb unbeantwortet?
Das darf jeder für sich selbst mit auf den Weg in die kommende Woche nehmen. Leider wird wohl Gott nicht an meiner Haustüre klingen und mit mir sprechen – jedenfalls nicht direkt und unmittelbar. Aber das macht ja den Reiz der Sehnsucht aus: Die Sehnsucht endet nicht an einem Punkt, den ich erreichen kann. Sie führt in eine Suche nach meinen Gott hinein. Und diese Suche dauert ein Leben lang. Ich kann Euch aber ein wenig trösten: Das geht jeden Menschen so!
Eines kann ich aber aus der Anfangsgeschichte lernen: Der jüdische Schüler läßt sich darauf ein, einen Weg der Suche zu beschreiten. Er ist ehrlich zu sich und zu seinem Lehrer, dem er sich anvertraut. Er weiß, daß er nicht direkt und ohne Hindernisse in der Beziehung zu Gott leben kann, wie er es gerne hätte. Es ist ein Weg auf der Suche nach der Sehnsucht nach Gott.
Laßt uns gemeinsam auf die Suche gehen, wie auch der Rabbiner den Schüler mit sich nimmt. Auch der Rabbi ist sicher nicht am Ziel seiner Sehnsucht nach Gott. Doch zu zweit oder mit noch mehr Personen ist es leichter und angenehmer, im Glauben unterwegs zu sein. Und ich darf Euch heute mit den Worten des Rabbiners für unser Sehnen danach, die Sehnsucht zu haben, Gott zu lieben, sagen: „Das genügt (schon). Du bist auf dem (richtigen) Weg (zur Sehnsucht nach Gott).“
Kaplan Tommy Reißig.
Bild: Friedbert Simon, in: Pfarrbriefservice.de