Predigt zum 17. Sonntag im Jahreskreis – Wer hat mit Dir das Beten gelernt?

„Beten und Gottesdienst?
Nein danke, sagen Herr und Frau Schweizer“

Gut, daß wir gerade nicht in der Schweiz sind, denn sonst muß ich befürchten, daß Ihr alle sofort aus der Kirche stürmt und ich nicht einmal meine Predigt zu Ende halten kann oder wir gar die Eucharistie nicht mehr miteinander feiern können. Vor vier Wochen veröffentlichte das Bundesamt für Statistik in der Schweiz, daß der Glaube an Gott – oder weiter formuliert an eine „höhere Macht“ – mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Daß das in Deutschland nicht anders ist, brauche ich wohl nicht zu beweisen. Heute möchte ich aber die glaubenszentrale und zugegebenermaßen auch sehr persönliche Frage stellen:

Wer hat mit Dir das Beten gelernt?

Liebe Schwestern und Brüder,
ich habe Euch mit Absicht nicht gefragt: Wer hat Dir das Beten gelehrt? Sondern: Wer hat mit Dir das Beten gelernt? In der Fragestellung steht für mich ein wichtiger Unterschied. Lehrt mir jemand das Beten, erlerne ich das, was diese Person mir weitergibt, ohne große Fragen zu stellen und mir selbst meine Gedanken zu machen. Dann muß ich auf diesen Menschen vertrauen. Oder begibt sich diese Person mit mir auf dem Weg hin zum Beten. Ist offen dafür, dazuzulernen; ist offen dafür selbst neue Glaubenserfahrungen zu machen und zu teilen. Der äußere Rahmen zwischen dem Lehren und dem Lernen des Betens ist sicherlich gleich, denn es geht um eine Schule. Es geht um die „Schule des eigenen Betens“. Das ist nichts Einseitiges und kann auch nichts Abgeschlossenes sein. Es ist ein Weg, eine Dynamik, ein Miteinander, ein Lernprozess.

Möglicherweise habt Ihr im Moment die Person oder eine Person im Kopf, die mit Euch zusammen als Kind gebetet hat. Und ich möchte fast wetten, daß es in 95 Prozent eine Frau war. Bei vielen von uns war es bestimmt die Mutter oder die Großmutter, vielleicht auch die ältere Dame in der Kirchenbank damals neben mir. Schon seit jeher ist es so, daß diese Frauen mit ihren Kindern und Enkel abends vor dem Schlafengehen beten. Und ich meine damit kein Verhandlungsgebet mit Gott, wie es Abraham für Sodom und Gomorrha versucht, sondern ein vertrauensvolles Beten, vielleicht auch um ein kindliches Beten. Bestimmt könnt Ihr alle mitsprechen, wenn ich beginne:

„Müde bin ich, geh’ zur Ruh’,
schließe meine Augen zu.
Vater, lass’ die Augen dein
über meinem Bette sein.“

Ich weiß auch, daß dieses „einfache Beten“ oftmals von Erwachsenen belächelt oder gar verspottet wird. Das läßt ja die Studie aus der Schweiz auch vermuten. Aber es hat seinen Wert! Es geht ja um eine Schule. Und wenn ich nicht beginnen kann, „klein“ zu beten und mich darin weiterzuentwickeln, kann kein eigenes, „großes“ Gebet aus meinem Herzen kommen. Das darf das Vater Unser, der Rosenkranz oder eine Novene sein. Das kann selbstverständlich auch jede Form des Freien Betens sein, das sich dem Gespräch mit Gott widmet. Das hat viele Formen und Ausprägungen. Das stellen schließlich auch die Jünger fest: Johannes der Täufer lernt mit seinen Anhängern das Beten und sie fordern auch Jesus auf, mit ihnen zu Beten [vgl. Lk 11,1]. Auch sie brauchen jemanden, der mit ihnen in diese Schule hineingeht und sie begleitet. Bevor Jesus das aber wahrmacht, geht er selbst hinein in das Reden mit Gott [vgl. ebd]. Er stärkt sich, ehe er mit den anderen das Vater Unser lernt, das heute jeder Christ auf der ganzen Welt kennt.

Ich bin der Überzeugung, daß auch ich mich mit der jetzigen und der kommende Generation hinein begeben kann in das Beten. Da hilft es auch nichts, die Gesellschaft zu verurteilen, weil sie sich mit dem Gottesdienstbesuch und dem Gespräch mit Gott schwer tut. Auch ich bin ja nicht am Gebetsziel angekommen. Bis zu meinem letzten Atemzug bleibe ich in dieser Schule des Gebetes. So wie das Leben sich verändert, hier Ansichten sich lockern und dort Meinungen sich schärfen, darf ebenso das Gebetsleben sich entwickeln. Ich muß es nur zulassen! Zugleich darf ich der anderen Person auch zugestehen, daß sie sich darin anders entwickelt als ich. Gott geht mit jedem von uns einen eigenen, persönlichen Weg, wie er bei der „Verhandlung“ mit Abraham beweist. Gott selbst „entwickelt sich“ zusammen mit Abraham im Gebet mit dem Menschen. Ich darf genauso den anderen Menschen begleiten. Sicher kann auch ich dabei noch etwas lernen.

Hab’ ich Unrecht heut’ getan,
sieh’ es, lieber Gott, nicht an.
Deine Gnad’ und Jesu Blut
machen allen Schaden gut.
Alle, die mir sind verwandt,
Gott, lass’ ruh’n in deiner Hand;
alle Menschen, groß und klein,
sollen dir befohlen sein.
Müden Herzen sende Ruh’,
nasse Augen schließe zu.
Lass den Mond am Himmel stehn
und die stille Welt beseh’n.

Immer noch ein schönes Gebet für kleine und große Kinder, wie ich finde; auch wenn es eine feste Form besitzt und ich lieber Raum für ein eigenes Gebet möchte. Das darf auch sein! Aber haben Sie heute vor dem Schlafengehen doch einmal den Mut, dieses alte Gebet aus der Kindheit zu sprechen und dabei ganz fest an die Person(en) zu denken, die sich damals mit Ihnen in die Schule des Betens begeben hat/haben, ob sie noch lebt/leben oder schon verstorben ist/sind.

 

Beten und Gottesdienst?
Ja hoffentlich, sagen Herr und Frau Main-Spessarter

 

Kaplan Tommy Reißig.

Bild: Deutsches Liturgisches Institut, in: Pfarrbriefservice.de