Wir schreiben nun schon den 01. Januar des Jahres 1735 – es ist ein Mittwoch. In kurzer Zeit hören wir den IV. Teil von Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium. Die Freude, die im neuen Jahr in seiner Zeit aufbricht und die an die vergangenen Weihnachtstage erinnern lässt, drückt er in folgenden Worten aus:
Fallt mit Danken, fallt mit Loben
vor des Höchsten Gnadenthron!
Das, was bei Bach in seiner musikalischen Umrahmung so schön erklingt, fordert mich textlich doch heraus. Der Rufer fordert, dass ich dankbar sein soll; dass ich mich niederknien darf vor dem, der an Weihnachten gekommen ist. Gut, nach den wunderbaren Weihnachtstagen, die ich in eineinhalb Wochen erwarte, bin ich womöglich schon in dieser Haltung, „Danke“ zu sagen und innerlich so bewegt, dass ich auf die Knie gehen kann. Das weiß ich aber im Voraus noch nicht. Ich bleibe skeptisch! Und das darf ich aus sein.
Wer im Evangelientext gut zuhört, der unterstellt dem Täufer Johannes, der noch vor einer Woche groß das Kommen Gottes in der Welt und in meinem Leben angekündigt hat, dass er zweifelt. Er ist dankbar, dass endlich derjenige kommt, den die Menschheit damals wie heute erwartet. Gedanklich geht er vor ihm auf die Knie und sagt zu denen, die sich von ihm taufen lassen, dass Johannes es nicht einmal wert ist, die Schuhe aufzubinden. Aber gerade heute redet er anders. Möglicherweise hat ihm die Gefangenschaft so viel Zeit zum Denken gegeben, dass er bei Jesus doch nicht sicher ist. Dass Jesus von Nazareth anders auftritt, als selbst der Täufer es erwartet hat. Immerhin schlägt er in der Jordansenke ganz andere Töne an, als Christus.
Doch jetzt kommt der wichtige Moment: Johannes bleibt mit seinen Gedanken nicht alleine in der Zelle zurück, sondern lässt sie durch seine Jünger an Jesus herantragen: „Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ [Mt 11,3bc] Habe ich vergeblich gehofft, Gott kommt zu uns? Habe ich meine Zeit im Glauben vertan? Soll ich so weiterleben, so gut es geht, bis das Ende mit dem Tod kommt? Diese Zweifel spricht er mutig aus. Und es ist nicht nur seine Frage an Jesus, es ist unsere Frage. Johannes formuliert schlichtweg nur das, was mich selbst bewegt. Er ist der Mund, durch den ich Fragen darf, was Sache ist. Ein wenig Sicherheit, bevor ich zu früh danke oder zu früh innerlich vor Ergriffenheit auf die Knie gehe, darf wohl möglich sein!
Die Reaktion von Jesus ist sehr bemerkenswert, wie ich finde. Er offentbart sich nicht selbst direkt, indem er ausspricht, was er alles Großes getan hat. Oder erinnert ihn auch nicht, wie Johannes ja im Jordan gesagt hat, dass er der ist, der von Gott kommt. Jesus stellt sich selbst kein gutes Zeugnis aus, sondern lässt die Menschen berichten. Geht wieder zu Johannes, der nach mir fragt und sagt ihm, was ihr mit mir zusammen erlebt habt: „Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet.“ [Mt 11,5] Und interessant daran ist, dass Jesus in seiner Aufzählung eine Steigerung vornimmt:
1. Blinde sehen – diejenigen, die vor lauter Sorgen und Alltagsproblemen keinen Ausweg mehr erkennen können, bekommen in ihm ein neues Augenlicht des Herzens geschenkt.
2. Lahme gehen – diejenigen, die träge geworden sind, weil sie nicht mehr weiter machen können oder viel erdulden mussten, bekommen einen neuen Elan, weil sie wissen, sie tun es nicht nur für sich, sondern für Gott und für andere Menschen.
3. Aussätzige werden rein – diejenigen, die innere und auch äußere Krankheiten haben – und da gibt es genug Beispiele – haben jemanden, an den sie sich wenden können in ihrer Not, weil sie im Gebet mit jemanden sprechen, der seelisch beisteht.
4. Taube hören – diejenigen, die sich vor der Welt verschließen, weil sie die Gesellschaft krank macht oder Entwicklungen nicht mehr mittragen können, haben die Verheißung für eine andere Welt des Friedens und des Miteinanders versprochen bekommen.
5. Tote stehen auf – diejenigen, die geglaubt haben, dass mit dem Ende des Lebens alles aus ist, bekommen Gottes Leben verheißen, das niemals enden wird.
Und nun kommt der Höhepunkt: 6. den Armen wird das Evangelium gepredigt – nicht die Auferstehung der Toten ist das wichtigste, sondern dass die Nachricht von Gottes Nähe zu mir dringt und dass es da jemanden Höheren gibt, der sich nieder macht – nicht weil er es muss, sondern es für mich will!
Dass die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Kranken geheilt werden und die Tauben hören können ist schon ein brisanter Eingriff in diese Welt, die meint immer alles erklären zu müssen. Dass Tote auferstehen ist eine Aussetzung der endlichen Naturgewalten. Aber dass die Frohe Botschaft bei mir stehen bleibt – nicht stecken, sondern stehen – ist das Größte, weil es mich betrifft und mich berühren kann. Der Täufer fragt nicht nur für sich, sondern stellvertretend für mich, denn er bleibt der stellvertretende Rufer in der Wüste des Lebens; die Stimme, die sich traut es auszusprechen.
Liebe Schwestern und Brüder in adventlicher Hoffnung,
manchmal ist es schon schwierig an das Evangelium zu glauben und an das, was mir da versprochen wird. Und das ist menschlich! Ich bin ein Denkender, der nachfragt und auch zweifelt. Schaue ich aber zurück, kann ich doch Vieles erkennen, was sich einfach irgendwie gefügt hat. Wo sich Dinge zugetragen haben, die ich gar nicht für nötig gehalten habe, wenn ich zum Beispiel eine Krankheit überstehe, bei der ich nicht dachte, dass es so glimpflich ausgeht. Oder wenn sich Wege in politischen Konflikten auszeigen, die zunächst erst einmal ermöglichen, dass Parteien wieder miteinander in Gespräch kommen. Natürlich auch wenn Jürgen Klinsmann am 18. Januar des kommenden Jahres wieder auf dem Fussballplatz steht und versucht, wie früher zu kicken. Da kann ich auch wie Johannes fragen: Bist Du derjenige, der wieder ein Tor schießen will…?
Doch die Frage des Johannes ist wichtiger für mein Leben, denn sie ruft eine (Lebens-)Steigerung durch Jesus hervor. Bin ich bereit, mit Jesus Christus mein Leben so zu gestalten, dass er mich steigern darf? Nicht, dass er mich erhöht, aber mein Leben zum Guten hin führt. Und das er mir hilft, wenn ich zu ihm rufe, wie es Johannes der Täufer getan hat. Es lohnt sich, das verspreche ich Dir!
Darf ich Dir wieder eine kleine Aufgabe bis zum letzten Adventssonntag mitgeben: Nimm Dir fünf Minuten Zeit. Überlege Dir, wofür Du Gott in den Weihnachtstagen vom letzten Jahr dankbar sein willst. Schreibe es auf einen kleinen Zeittel auf und falte es. Auf der Faltseite darf stehen: Geheimnis mit Gott. Und lege es zur oder in die Krippe. Ich bin mir sicher, Gott wird sich sehr darüber freuen!
Advent, Advent, die dritte Kerze auch schon brennt!
Lass dich von Gott steigern an allen Tagen,
und wage ihn immer alles zu fragen.
Er wird Dir antworten auf verschiedene Weise,
manchmal laut und manchmal leise.
Doch heute am Rosa Sonntag mit großer Freude und Wohltat,
die letzte Predigt gibt es dann nächsten Sonntag.
Kaplan Tommy Reißig.
Bild: Martin Manigatterer, in: Pfarrbriefservice.de