“Von Religion lernen“ Predigt 15. Sonntag A
Liebe Schwestern und Brüder
vor einigen Wochen bin ich jeweils mit der Grundschule Lohr und der Grundschule Sackenbach zur Wallfahrt unterwegs gewesen.
In Sackenbach, der kleinsten Grundschule unserer Stadt, war es natürlich keine Frage: Alle gehen mit, egal welcher Religion oder Konfession ein Kind angehört oder ob es überhaupt Mitglied einer Religionsgemeinschaft ist. Da wurde dann von der Schule zur Mariengrotte nach Sackenbach und dann zur Mariengrotte in Pius gewallt. Es gab keine Diskussion. Nach Pfingsten ging es dann mit der Grundschule Lohr nach Mariabuchen. Das war schon ein strategische und organisatorische Meisterleistung der Schulleitung und des Lehrerkollegiums. Die Gruppe der katholischen Schülerinnen und Schüler bildet zwar noch den größten Teil der Kinder, aber insgesamt fallen darunter weniger als die Hälfte der Jungen und Mädchen, d.h. also mehr als 50 Prozent der Kinder mussten irgendwie anders beschäftigt werden durch Wanderungen oder Ausflüge. Es war natürlich eine sehr schöne Wallfahrt, aber deutlich erkennbar, sind wir nur noch eine Gruppe neben anderen und der Religionsunterricht ist ein Angebot, der zwar einen festen Platz hat, aber viel Organisationstalent verlangt, um im Schulalltag eingefügt zu werden.
Manche erinnern sich, dass es gerade einmal 50 Jahre her ist, dass es in Lohr noch eine katholische Knaben- und eine katholische Mädchenschule gab und dann ab 1967 ergänzend eine christliche Gemeinschaftsschule, in der Kinder beider Konfessionen miteinander lernten. Über lange Jahrzehnte waren v.a. die Grundschulen klar kirchlich geprägt. Heute haben wir immer noch unseren festen Platz an den Schule, wissen uns durch die Leitungen sehr willkommen und freuen uns, dass man unsere Wünsche und Anliegen berücksichtigt im Blick auf Glaubensverkündigung und Gottesdienste, aber der Trend zur Minderheit ist unumkehrbar. In der Gesellschaft gerät Religion immer mehr in eine Nischenrolle und das hat Auswirkungen auf die Schulen, auch wenn wir da wirklich noch sehr herausgehobene Positionen einnehmen. Das wird sich aber auch mit der Zeit ändern. Es wird nicht nur immer weniger Schülerinnen und Schüler geben, die noch einer Kirche angehören, die Vielfalt der Religionen wird größer und die Gruppe derer, die ohne jede religiöse Bindung aufwachsen, wird größer. Außerdem werden sich die Erwartungen an Religion und somit an den Religionsunterricht ändern.
Der Religionspädagoge Rudolf Englert hat drei Tendenzen in einem Artikel für die Herder Korrespondenz klar herausgearbeitet, die den gesellschaftlichen Wandel markieren und sich auf den Religions-unterricht schon jetzt auswirken (in: Herder Korrespondenz 2021 Das Lieblingsfach)
1. Die Tendenz von einer „objektiven“ zu einer „subjektiven“ Religion
Mancher denkt bei Religionsunterricht v.a. an die notwendige Vermittlung von Glaubenswissen und dem Lernen von Gebeten, Ritualen und Abläufen der Heiligen Messe. Tatsächlich habe ich mir zum Anspruch gesetzt, dass jedes Kind, das nach der vierten Klasse meinen Religionsunterricht verlässt, zumindest das Kreuzzeichen, das Vaterunser, das Ave Maria und das apostolische Glaubensbekenntnis gelernt hat. Aber meistens gerät auch noch in den höheren Klassen das Kreuzzeichen zu einer waghalsigen Gebetsakrobatik. Keine großen Hoffnung setze ich darauf, dass Kinder sich viel Gedanken machen, warum wir an einen dreieinigen Gott glauben oder wie wir Sakramente definieren. Viel „Katechismuswissen“ bleibt wohl nicht hängen, aber es ist nicht so, dass die Kinder nicht interessiert, was in unseren Gottesdiensten geschieht oder was wir glauben. Sie stellen „ihre“ Fragen zu Dingen und Vorgängen, die sie beobachtet haben: „Warum ist zur Zeit alles grün in der Kirche?“ „Warum machen Sie die große Verbeugung vor dem Altar vor dem Evangelium?“ Aber auch Fragen nach Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und Frieden sind im Rahmen des Religionsunterricht durchaus die herausragenden Stunden. Es geht nicht zuerst darum, alles zu lernen, was ein Christ als Glaubensinhalt wissen muss, sondern ob sich in diesem Glauben Impulse für mein Leben zeigen. Dazu gehört auch die Beschäftigung mit anderen Religionen. „Warum fasten meine türkischen MitschülerInnen? Was feiern sie am Zuckerfest?“ Die Nachfrage im Blick auf andere Religionen führt oft zur Rückfrage, was unseren Glauben besonders prägt.
2. Die Tendenz von einer Innen- zu einer Außensicht von Religion
Es gibt Kinder, die bringen aus den Familien eine große Kenntnis über die Bibel, über Heilige und Kirchenjahreszeiten mit, aber in der Regel findet für die meisten Kinder im Religionsunterricht eine „Erst-Begegnung“ mit den Traditionen des christlichen Glaubens und der Kirche statt. Natürlich führen alle Kindergärten zu den wichtigen Festen wie St. Martin, Erntedank, Weihnachten und Ostern hin. Es gibt auch mit den nichtkirchlichen Kindergärten Andachten und Feiern in den Kirchen, aber Kinder bleiben immer Teil der Familie, die in den meisten Fällen nicht mehr zuhause ist in religiösen Bräuchen und kirchlichem Leben. Die meisten Deutschen, auch wenn sie noch getauft sind, erleben Religion nicht als Teilnehmer, sondern als Zuschauer von außen. Das gibt sich natürlich an die Kinder weiter. Diese Distanz ist nicht gleichzusetzen mit Ablehnung. Religion spielt oft einfach keine Rolle und die Menschen sind „religiös unmusikalisch“, wie es der Philosoph Habermas einmal formuliert hat. Ein Lehrer / eine Lehrerin kann also in der Regel nicht auf großem Vorwissen aufbauen, aber wohl von Interesse ausgehen. Zu Recht weist Rudolf Englert hin, dass sich auch die Rede im Religionsunterricht ändert: Nicht mehr „Wir Christen hoffen“ oder „wir glauben“ (Das können wir gar nicht voraussetzen), sondern „Christen glauben“, ähnlich zur Annäherung an fremde Religionen „Buddhisten hoffen“. Auch getaufte Kindern müssen im Religionsunterricht zunächst die Türen geöffnet werden zum Mittelpunkt des christlichen Glaubens, die Botschaft Jesu vom Reich Gottes und seine Auferstehung.
3. Die Tendenz von der Wahrheits- zur Wirkungsfrage
Wenn es nicht mehr so sehr um die Vermittlung von Wahrheiten des Glaubens geht, dann rücken andere Themen in den Vordergrund: die Frage nach den Impulsen des christlichen Glaubens für mein Leben. Gerade das Modell Jesu, seine Zuwendung zu den Armen und den Menschen am Rande beeindruckt noch immer, auch wenn die meisten Kinder heute nicht mehr sofort wissen, wo Jesus geboren, gelebt oder auferstanden ist. Es sind die uralten Geschichten um die großen Gestalten der Bibel, die ja wie Abraham, Jakob, David und Elija als Menschen mit Gefühlen, Freuden, Sorgen und Fehlern Kontur gewinnen, an denen bis heute biblische Anregung für richtiges Verhalten und für die Art wie unser Gott mit Menschen umgeht, nachvollziehbar werden.
Vielleicht ist das heutige Evangelium eine gute Brille, um mit den Augen Jesu auf die Wirklichkeit, Grenzen und Möglichkeiten des Religionsunterrichts zu schauen.
Jesus selbst lebte aus dem Bewusstsein der nahen und erfahrbaren Gegenwart Gottes, doch rechnete er in realistischer Weise damit, dass diese Erfahrung nicht von allen Menschen geteilt wird und auch gar nicht geteilt werden kann, sondern dass vielmehr die Saat der Verkündigung in vielfacher Weise bedroht ist.
Manche Saatkörner des Glaubens können noch nicht einmal keimen, weil keinerlei Interesse da ist. Möglicherweise kann sich das später einmal ändern, aber es gibt Altersstufen und äußere Bedingungen, die auch bei Kindern in bestimmten Situation eine Aufnahme verhindern. Natürlich hat das manchmal mit den Eltern zu tun, aber auch von Kindern selbst kann eine Haltung ausgehen, die sich verschließt gegen jedes Nachdenken über Religion. Es gibt immer mehr Kinder, die zwar getauft sind, aber nicht an Erstkommunion oder Firmung teilnehmen wollen.
Ein zweiter Teil der Körner keimt, findet aber kein Erdreich. Das ist eine häufig gemachte Erfahrung in der Katechese von Erstkommunion und Firmung. Es durchaus zu spüren, dass Kinder, Jugendliche und auch die Eltern sich auf die Themen einlassen und sich davon anregen lassen. In der Regel ist die Mitarbeit der Familien gerade in der Vorbereitung auf die Erstkommunion erfreulich rege. Man nimmt an Gottesdiensten teil, bringt sich ein und fühlt sich auch in der Gemeinde aufgehoben. Gerade im Religionsunterricht erlebe ich dann, wie die Gespräche intensiver und die Fragen nach Sinn und Glaube tiefer werden. Es ist aber auch nicht zu leugnen, dass nach der Erstkommunion ein großer Teil, nicht unbedingt der größte Teil, der Familien langsam wieder wegbrechen. Manchmal hat man sogar noch den guten Willen, regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen, aber mit der Zeit versandet der Enthusiasmus. Es bleibt durchaus eine gute Erinnerung an die Glaubensgespräche und an die Zeit der Vorbereitung. Der Pfarrer wird auch später noch freundlich gegrüßt und das Thema Gott ist irgendwie immer da. Ich denke, dass viele Familien nach einer intensiven Vorbereitung das Gefühl haben, dass sie Gott näher gekommen sind und er mehr ins Haus eingezogen ist.
Der dritte Teil der Körner hat Wurzeln, finden aber keinen Raum zum Wachsen. Schnell sind andere Dinge wichtiger, Vereine, Schule, Familie mit all ihren Sorgen. Dennoch erfahre ich auch, dass die Erinnerung an den Religionsunterricht bei vielen Jugendlichen noch gut ist und durchaus das Wort vom „Lieblingsfach“ fällt, weil es dort eben nicht um Noten und Leistungsabfrage ging, sondern um die Themen meines Lebens. Vielleicht fühlt sich mancher Absolvent / manche Absolventin nach ihrer Schulzeit nicht mehr kirchlich gebunden, hat keinen Raum mehr, um den eigenen Glauben zu leben, aber oft wirken die Gespräche und Anregungen aus dem Religionsunterricht nach und beeinflussen das eigene Wertesystem.
Die Gleichnisse Jesu verdeutlichen , dass die Gottesherrschaft nicht vom Himmel fällt, sondern ein Wachstums- und Reifeprozess in unseren Herzen ist. Das kann auch heute noch der Religionsunterricht befördern.
Der Religionsunterricht ist kein Logikunterricht der Transzendenz und keine Gebetsschule, vielmehr rückt in den Vordergrund, was Rudolf Englert in die Formulierung gebracht „von Religion lernen“. In der Beschäftigung mit biblischen Personen, Heiligen wie Franziskus und Elisabeth von Thüringen oder auch modernen Christen wir Mutter Teresa kann man kaum erwarten, dass Kinder sie zeitlich richtig einordnen, aber es ist immer wieder neu zu erleben, dass dabei interessierte Nachfragen aufkommen: „Warum leben Christen wie sie leben? Warum verhalten sie sich so? Was treibt sie an, sich einzusetzen für andere Menschen?“ „Von Religion lernen“ kann junge Menschen inspirieren, über alltägliche Sorgen und Moden hinauszuschauen und nach dem Größeren des Lebens zu fragen, ja die großen Fragen nach Sinn und Zukunft zu stellen, wie es Erich Fried in seinem bekannten Gedicht formuliert: Kleine Frage
Glaubst du
du bist noch
zu klein
um große
Fragen zu stellen?
Dann kriegen
die Großen
dich klein
noch bevor du
groß genug bist