„Wette, dass es Gott gibt“ – Predigt 11. Sonntag A

Liebe Schwestern und Brüder,

Wetten, dass es Gott gibt …

Welchen Wetteinsatz würden Sie für Ihre Überzeugung auf den Tisch legen? Eine Flasche Rotwein? Eine größere Geldsumme? Ihr Leben?

Nichts weniger sieht der Mathematiker, Ingenieur und Philosoph Blaise Pascal bei dieser Wette als angemessenen Einsatz.

Kann man auf Gott wetten? Mancher von uns würde nicht einmal fünf Euro darauf wetten, dass es die katholische Kirche in zehn Jahren noch in Deutschland geben wird. Wie kann ich dann auf so eine scheinbar abstrakte Frage wie die Existenz Gottes mein ganzes Leben setzen? Weil die Frage für den „Erfinder“ der Wette nicht theoretisch und abgehoben, sondern lebens-entscheidend ist.

Wer war Blaise Pascal?

Ganz sicher keine Spielernatur und kein Freigeist. Er wurde vor 400 Jahren, am 19. Juni 1623, im heutigen Clermont-Ferrand in der Auvergene geboren. Sein Lebensweg war durch die lange Tradition seiner Vorfahren als Beamte des französischen Staates vorgezeichnet, aber früh schon entdeckte sein Vater die Genialität seines hochbegabten Sohnes und unterrichtete ihn selbst. Blaise Pascal wurde einer der größten Mathematiker und Natur-wissenschaftler der europäischen Neuzeit.

Bereits als Teenager leistete er Erstaunliches auf dem Gebiet der Mathematik, etwa in der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Mit seinen Experimenten zum Vakuum widerlegte er die damalige Physik, heute wird ihm zu Ehren der Druck in der Einheit „Pascal“ gemessen. Auf ihn geht zudem ein Konzept für einen Omnibusverkehr mit Pferden für Paris zurück. Um seinem Vater die Berechnungen für dessen Amtsgeschäfte zu erleichtern, konstruierte er 1642 im Alter von 19 Jahren eine Rechenmaschine. Die „Pascaline“ gilt als ein Vorläufer der heutigen Computer. Die Liste seiner mathematischen Meisterleistungen ist lang. Er schuf die Idee des Pascalschen Dreieck und regte Gottfried Wilhelm Leibniz zur Entwicklung der Differential- und Integralrechnung an. Aber für unsere Zeit ist Pascal noch mehr als Philosoph und v.a. herausragender christlicher Denken und Mystiker wichtig.

Am 23. November 1654 (möglicherweise nach einem Unfall mit seiner Kutsche, der aber nicht verlässlich bezeugt ist, s. Wikipedia) hatte er ein religiöses Erweckungserlebnis, das er noch nachts auf einem erhaltenen Blatt Papier, dem Mémorial, aufzuzeichnen versuchte. Bei seinem Tod fand sich der Erinnerungszettel eingenäht in seinen Mantelsaum. Auf ihm finden sich Gedankenfetzen, Stichworte, kurze Sätze, die sich Blaise Pascal in dieser Nacht der Erkenntnis unvergesslich eingebrannt haben, unter ihnen die berühmte Formulierung:

                „Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs,

                nicht der Philosophen und Gelehrten.

                Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede.

                Der Gott Jesu Christi.“

Nach diesem Erlebnis zog er sich aus der Pariser Gesellschaft zurück, um völlig seine Frömmigkeit leben zu können. Er verteidigte den christlichen Glauben gegen freidenkerische Strömungen und begann 1658 mit einer großangelegten Darstellung über die Verlässlichkeit und Richtigkeit des Glaubens, die als „Pensees“, „Gedanken“, berühmt wurden. Bedingt durch seinen frühen Tod mit 39 Jahren konnte er dieses Werk nicht beenden, sondern hinterließ nur Notizen und Fragmente, rund 1000 Zettel in rund 60 Bündeln. Jahre nach seinem Tod wurden die Texte zusammengeführt und veröffentlicht. Unter ihnen findet sich die sog. „Pascalsche Wette“. Pascal ist überzeugt, dass wir Menschen Gott nicht mit dem Kopf erkennen können, hält es aber dennoch für vernünftig, an Gott zu glauben. In einem fiktiven Gespräch mit einigen kritischen Zeitgenossen argumentiert er, dass man auf die Existenz Gottes wetten müsse, denn es gibt nur zwei Möglichkeiten: Gott existiert oder er existiert nicht. Eine dritte Alternative stellt sich nicht. Die Vernunft lässt es nicht zu, sich für die eine oder andere Annahme eindeutig zu entscheiden. Der Mensch muss aber wählen, also auf die Existenz Gott wetten. Lehnt er die Existenz Gottes ab, dann hat er sich dafür entschieden anzunehmen, dass es Gott nicht gibt. Er kann also der Frage nicht neutral gegenüberstehen. Pascal fragt jetzt weiter, welche Auswirkungen beide Annahmen auf das Leben haben und kommt schließlich im Gespräch mit seinen zweifelnden Disputanten zu der Einladung: „Wir wollen Gewinn und Verlust abwägen, setze du aufs Glauben, wenn du gewinnst, gewinnst du alles, wenn du verlierst, verlierst du nichts. Glaube also, wenn du kannst.“

Blaise Pascal mühte sich darum, „den Glauben zur Vernunft und die Vernunft an ihre Grenzen zu bringen“ (Gotthard Fuchs). In diesem Geist formulierte er als einen Grundpfeiler seiner Lebenshaltung die Annahme: „Das Herz hat seine Gründe, von denen die Vernunft nichts weiß“. Der Denker Pascal weiß um die Größe und Tragik des menschlichen Verstandes: „Je mehr Einsicht ein Mensch hat, umso klarer sieht er Größe und Elend im Menschen: Das, was wir in allem suchen, können wir selbst nicht schaffen: Das Glück.“

Die Pascalsche Wette ist kein Gottesbeweis, sondern eine Einladung zum Glauben, die letztlich auf einer sehr vernünftigen Einsicht beruht: Auf die Frage „Was verliere ich, wenn ich an Gott glaube“, kann ich ohne Vorbehalt antworten: „Eigentlich nichts! ich würde sterben, und alles wäre vorbei. Ich hätte hier vielleicht nicht alles ausgekostet, was man als unverzichtbar hinstellt. Aber ist das ein so großer Verlust?“ Das ist letztlich das Fundament von Pascals Überlegung. Seinen Gesprächspartnern führt er vor: „Wenn es Gott aber gibt, dann wäre alles, wirklich alles, für euch verloren! Ihr würdet sterben und müsstet dann vor Gott Rechenschaft ablegen. Oder glaubt ihr, dass sich Gott eure Ignoranz seiner Person gefallen lässt? Ihr habt dann zwar hier alles mitgenommen und trotzdem alles verloren!“

Sicher wird man über diesen letzten Gedankengang in unserer Zeit keine Einigkeit finden können, weil die Angst vor einem letzten Gericht nicht wirklich das Leben heutiger Menschen beeinflusst. Aber der erste Impuls gibt mir eine Hilfe zu verstehen, warum ich selbst glaube. Ich muss meine Glauben nicht ständig vor mir selbst rechtfertigen, frage mich aber manchmal, warum er für mich so wichtig und selbstverständlich ist. Mein Glaube verlangt kein wirkliches Opfer von mir, das mein Leben grau und elendig macht. Mit Pascal kann ich zugeben, dass ich durch meinen Glauben nichts in diesem Leben verliere. Möglicherweise mache ich nicht die Karriere, auf die ich zielstrebig ohne ihn hingearbeitet hätte, aber was wäre denn der Gewinn? Ich verliere nichts durch den Glauben, eher gewinnen ich Halt schon in diesem Leben und habe einen Hoffnungsanker, der in der Ewigkeit sich festgemacht hat.

Vielleicht stehen ähnliche Haltungen hinter den Berufungsgeschichten der Menschen, die heute von Jesus in den Apostelkreis berufen werden. Nur selten hören wir von einem Bekehrungserlebnis. Von Petrus, Andreas, Johannes und Jakobus kennen wir die bemerkenswert spontane Bereitschaft, Jesus zu folgen. Nathanael / Bartholomäus wird von Philippus zu Jesus gebracht und kommt nach einem Gespräch mit ihm zum Glauben. Matthäus / Levi wurde letzte Woche von der Zollstation in die Nachfolge gerufen. Von den anderen Apostel kennen wir die Geschichte, wie sie zu Jesus finden, nicht. Wir können aber auf der Grundlage der Überlieferung der Evangelien davon ausgehen, dass es sich nicht um religiöse Schwärmer gehandelt hat, sondern um Menschen mit Beruf, Familie und sozialen Bindungen, also um Menschen, die mit beiden Füßen auf der Erde standen. Dennoch wagen sie nach der Begegnung mit Jesus alles und werden heute als Apostel ausgesandt, um auf Augenhöhe den Glauben in den Menschen Israels neu zu entflammen, die Müden zu stärken und den Hoffnungslosen zu verkünden: „Das Himmelreich ist nahe.“ Wie sollen sie das können, wenn sie doch selbst noch Menschen dieser Erde sind, oft erschöpft, zweifelnd und unsicher? Vielleicht weil Jesus weiß, dass sie ihre Wahl getroffen haben. Damit sind sie keine Betonköpfe und Verweigerer gegenüber der Wirklichkeit, aber sie stehen für eine Grundentscheidung, dass sie mit Christus nichts verlieren, sondern nur gewinnen können. Sie verstehen oft nicht und werden mitunter sich falsch verhalten, aber ihre Wahl steht fest. Sie ist nicht das Ergebnis am Ende des Abwägens von logischen Argumenten, sondern Frucht des Herzens, das größere Gründe anerkennt als der Kopf. Das ehren wir in den Menschen, die heute zu Apostel bestellt werden. Sie hatten keine Superkräfte, aber jenes tragende Urvertrauen in Gott, das die Geschichte der Bibel wie ein roter Faden durchzieht und das Pascal in den Ausruf führt: „Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Der Gott Jesu Christi.“

Es gibt genügend Gründe, sich gegen Gott zu entscheiden. Vielleicht ist die Kirche und ihre konkrete Erscheinungsform eines der schwersten Argumente, sich von ihm anzuwenden. Jesus wollte Menschen sammeln, die erschöpft und müde waren und die Gottes Hilfe am meisten brauchten. Und er wollte, dass wir den Auftrag Gottes an unser Leben in unseren Herzen erkennen, in dem wir ihn als die Wahrheit entdecken. Oft genug haben sich die Kirchen nicht auf die Seite derer gestellt, die die Hilfe Gottes brauchten und unter denen Jesus zu finden war. Oft genug waren und sind sie versucht, vorzuschreiben, was Wahrheit ist, und Menschen auszugrenzen, die sie nicht dabeihaben wollen. Die Kirchen spiegeln in der Geschichte und der Gegenwart leider nur selten das Abbild des Reiches Gottes wider. Aber dennoch sammeln sich in ihnen Menschen, die ihre Wahl für Christus getroffen haben. Pascal bekam mit der kirchlichen Obrigkeit viele Schwierigkeiten, v.a. auch mit den Jesuiten, zu denen auch Papst Franziskus gehört, aber dennoch galt für ihn ohne Einschränkung bis zum letzten Augenblick seines Lebens: „Es gibt keine bessere Alternative zum Evangelium des gekreuzigten Auferstandenen. An ihn zu glauben und den Verstand zu benutzen, ist die der beste, der christliche Weg im Leben zu bestehen. Amen.

Sven Johannsen, Lohr

11_Pascalsche_Wette.pdf