„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“
[Gotteslob 430,7]
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
diese ersten Zeilen eines uns bekannten Liedes kam mir zum heutigen Festgeheimnis in den Sinn. Nun weiß ich nicht, ob Sie das genauso sehen und ob Ihnen dieses Lied genauso gut gefällt?! Ich möchte Sie aber heute, am Dreifaltigkeitssonntag, dem 15. Mai, gerne schockieren: Kaum jemand, der diese Zeilen liest oder singt, ahnt, daß die bekannten Verse des Theologen und KZ-Häftlings Dietrich Bonhoeffer zu einem Lied mit weihnachtlichem Charakter gehören. Also anknüpfend an meine Predigt am 7. Sonntag der Osterzeit vor zwei Wochen haben wir also wieder einmal Weihnachten im Sommer!
Wenige Tage vor dem Weihnachtsfest im Jahre 1944 verfaßte der Gefangene einen Brief an seine Verlobte. Er fügte dabei die Worte hinzu: „[…] ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen.“ [https://www.gedichte7.de/von-guten-maechten-treu-und-still-umgeben.html] Es waren seine letzten schriftlichen Verse vor seiner Ermordung.
Auch wenn der Inhalt dieses weihnachtlichen Grußes kein einziger Bezug auf die Geburt Jesu zeigt, drückt er doch die christliche Hoffnung auf die Gottesnähe und Gottesbegegnung aus. Und das feiert die Kirche genau jetzt: den Dreifaltigkeitssonntag. Die Erfahrung Gottes mit uns Menschen und unsere Erfahrung mit ihm. Bonhoeffer bleibt dabei unkonkret und theologisch vorsichtig. Er beschreibt diese, möglicherweise seine Gotteserfahrung als Geborgenheit bei guten Mächten. Es war sicher nicht einfach, unter der Aufsicht des diktatorischen Regimes diese Zeilen in einen Brief an die Außenwelt direkt über den Gott zu schreiben, der jedem menschlichen Unrecht entgegensteht. Der kein Unterdrücker ist, sondern ein gutes Gegenüber des Menschen. Oder Bonhoeffer hat im Konzentrationslager mit all seinen schlimmen Erfahrungen gelernt, Gott in einer Abstraktheit anzuschauen, weil man besser über Ihn schweigen sollte.
Sollte auch ich von Gott schweigen? Ich kann ihn ja niemals voll und ganz beschreiben oder erklären. Und verstehen schon gar nicht! Soll ich vage von einer höheren Macht sprechen, die irgendwo da oben ist? Oder bin ich als Christ sogar verpflichtet, von Gott zu sprechen und ihn erfahrbar werden zu lassen?
Ich möchte Sie ein paar Minuten mitnehmen in die Schule Dietrich Bonhoeffers: Das Gedicht verschweigt zunächst kein Leid, das der Mensch in seinem Leben erdulden und ertragen muß. Bonhoeffer zeugt kurz vor seinem nahenden Tod, mit dem er täglich zu rechnen hat, daß er sein Vertrauen auf Gott nicht verloren hat. Die „guten Mächte“ sind eindeutig da. Gott, der Herr über Leben und Tod, ist selbst die gute Macht, die mich jeden Tag treu und still behütet und umgibt. Egal, ob mir der Tag gelingt oder ob ich mit „dem falschen Bein aufstehen“, er ist bei und bleibt mit mir.
Wie ich Gott betrachte, wie ihn Menschen in unserer Gesellschaft sehen und wie ihn die zahlreichen Gläubigen vor uns erlebt haben, und wie er sich ihnen gezeigt hat, das feiern wir heute:
- Gott zeigt sich als Schöpfer und Vater aller Menschen. Der, der alles geschaffen und geliebt hat und der das Gute für mich will.
- Gott zeigt sich als Sohn, der den Himmel verläßt und auf der Erde wohnt. Er ist ein Mensch wie Du und ich. Er ist Dir und mir gleich, aber er sündigt nicht. Das ist ein deutlicher Unterschied zu uns. Im Leben aber und sogar im Tod ist er Dir und mir gleich. Er erfährt das Dunkel des Sterbens. Aber wir Christen wissen, daß durch Jesus das Licht in der Dunkelheit aufleuchtet und sie besiegt. Warum ist das so? Weil Jesus die Liebe Gottes widerspiegelt in menschlicher Art und Weise.
- Gott zeigt sich als der Heilige Geist. Ich weiß nicht, ob Sie ihn jemals bewußt gefühlt haben. Vielleicht haben Sie ihn auch in der letzten Zeit erst gespürt. Er stellt die untrennbare Verbindung zwischen Himmel und Erde da. Er verbindet Gott mit uns und er wohnt in mir seit der Taufe, wie es der Apostel Paulus sagt [vgl. 1 Kor 3,16a; 1 Kor 6,19].
Ich weiß, die Lehre von einem Gott in drei eigenständigen Personen ist für unseren Verstand schwer. Aber so ist eben Gott und Er bleibt ein Geheimnis. Und an dieses Geheimnis nähert sich Bonhoeffer an mit seinem Begriff „gute Mächte.“ Wir wissen alle miteinander, daß es Gutes und Schlechtes gibt. Daß wir gute Dinge und schlechte Dinge erleben. Wir wissen, daß Menschen andere Menschen verletzen und wir selbst verletzt werden. Wir wissen aber auch, daß wir anderen große Freude bereiten können. In dieser Spannung zwischen Gut und Böse auf der Welt lebt Dietrich Bonhoeffer in seiner Zeit. Auch wir leben in dieser Welt, in Deutschland in den politischen Spannungen rechts wie links. In der Welt erleben wir Konflikte und Kriege, leider…
Gutes und Böses – das ist es, was uns Menschen immer wieder aufs Neue begleiten wird. Aber nicht das eigene Hinfallen in unserem Leben ist das Schlimme. Schlimm ist es, wenn wir den Mut und den Glauben verlieren und nicht erneut aufstehen können. Wenn wir diese guten Mächte nicht mehr erkennen, weil wir so in uns und im schwierigen Umfeld gefangen sind. Doch gerade in den dunklen Stunden, die in der Rückschau überwiegen könnten, dürfen wir zuversichtlich sein, daß die Geborgenheit Gottes aufscheint, wie es Bonhoeffer in der siebten Strophe ausdrückt.
Ich verspreche Ihnen heute nicht, daß auch in den weiteren Wochen und Monaten dieses Jahres alles gut und perfekt laufen wird. Das wäre gelogen! ABER: Die Zuversicht bleibt, die uns Bonhoeffer in seinen schwersten, aber tröstlichsten Stunden mitgegeben hat. Und wir dürfen heute für die kommende Zeit gemeinsam darauf vertrauen, daß sich erfüllt, was die letzte Strophe besagt, wenn wir gleich den Gott, der guten Mächte, in unserer Mitte grüßen dürfen:
„Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.“
[Gotteslob 430,7]
Kaplan Tommy Reißig.
Bild: Peter Weidemann, in: Pfarrbriefservice.de