Predigt Karfreitag 2024 „Heilig Kreuz, du Baum der Treue“

Predigt Karfreitag „Heilig Kreuz, du Baum der Treue“

Liebe Schwestern und Brüder

auch das Kreuz hat einmal klein angefangen als Setzling, der von einem Baum abgeschnitten wurde und selbst zum Baum wuchs. Seit ältester Zeit erzählt man in kirchlichen Kreise eine Legende über den Ursprung des Kreuzesholzes, den der Dominikanermönch und Erzbischof von Genua Jacobus de Voragine im 13. Jahrhundert in seiner sog. Legenda aurea in die heute bekannte Überlieferung fasste.

Rein menschlich drängt sich die Vorstellung auf, dass es sich beim Kreuz des Herrn nicht einfach um einen beliebigen Baumstamm gehandelt haben kann. Die Tradition macht seinen Ursprung am Beginn der Menschheitsgeschichte fest. Gott setzt in die Mitte des Paradiesgartens zwei Bäume, den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis. Beide sind für den Menschen tabu. Doch Adam und Eva essen vom Baum der Erkenntnis und verlieren so für die Menschheit das Paradies und das unsterbliche Leben. Als Adam später schwer krank wird, macht sich sein Sohn Seth, der nach dem Ermordung von Abel und dem Urteil über Kain bei ihm geblieben war, auf zur Paradiespforte und bittet den Erzengel Michael um Hilfe. Michael übergibt ihm einen Zweig von dem „Baum, an dem Adam gesündigt hatte“. Zurückgekehrt ist der Vater bereits verstorben und Seth pflanzt den Setzling auf das Grab des Adam. Über die Jahrtausende wächst er zu einem prächtigen Baum heran, der später auch dem weisen und mächtigen König Salomo auffällt. Er will ihn unbedingt in seinem Palast verbauen und lässt den Baum, dessen Herkunft er nicht mehr kennt, fällen. Doch der Baum lässt sich an keiner Stelle passgenau einfügen, so dass die Handwerken das nutzlose Holz wenigsten als Steg über einen Teich legen. Es ist die Königin von Saba, die beim Besuch am Hofe des Salomos die Heiligkeit des Holzes erkennt und sich weigert, über den Stamm zu reiten. Sie warnt Salomo vor dem Baum, der dem Volk das Verderben bringen wird. Salomo lässt ihn daher in die „tiefsten Schlünde der Erde“ werfen. Dort aber wird er von einem Teich aufgefangen, in dem er ruht bis zur Zeit der Kreuzigung. Dann wird er wieder an die Oberfläche geschwemmt, von den Henkern aufgelesen und als Kreuzesbalken Jesus auf die Schultern gelegt. Die Tradition will also, dass zwischen dem Baum der Ursünde im Paradies und dem Holz des Kreuzes eine sehr enge Beziehung besteht. Das findet seinen Niederschlag in Bildern, Gebeten und Liedern.

Traditionell wird in den Tagen der Heilige Woche im Morgengebet der Kirche, in den Laudes, als Loblied der Hymnus „Heilig Kreuz, du Baum der Treue“ gesungen, der in drei starken Bildern das Kreuz Jesu für den glaubenden Menschen erschließt. Er stammt wohl aus der Feder des Bischofs Venantius Fortunatus, der in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts in Poitiers wirkte.

Heilig Kreuz, du Baum der Treue,

edler Baum, dem keiner gleich,

keiner so an Laub und Blüte,

keiner so an Früchten reich:

Süßes Holz, o süße Nägel,

welche süße Last an euch.

Beuge, hoher Baum die Zweige,

werde weich an Stamm und Ast,

denn dein hartes Holz muss tragen,

eine königliche Last,

gib den Gliedern deines Schöpfers

an dem Stamme linde Rast.

Der Hymnus vermittelt ein gänzlich anderes Bild vom Kreuz als das uns vertraute gerade geschnittene, schwere Folterinstrument, an dem ein Unschuldiger hängt, blutend, leidend, ohnmächtig. Es ist nicht falsch, an einen Baum zu denken, der im Frühling wieder zu neuem Leben erwacht und dessen Zweige ausschlagen.

Bäume sind faszinierende Geschöpfe Gottes und provozieren schnell die Frage nach Rekorden in Alter, Höhe und Umfang. Aber unser Baum besticht durch eine andere Qualität: Er ist der Baum der Treue. Oft lesen wir in der Bibel, dass die Welt untreu geworden ist. Bis heute ist sind leere Worte und Versprechungen, gebrochenes Vertrauen und spontanen Meinungswechsel Grund für die größten Enttäuschungen: Ehepartner, Freunde, Kirchenvertreter, Politiker, Kollegen sehen sich schnell nicht mehr gebunden an verlässliche Zusagen, wenn sie versucht werden von besseren Möglichkeiten und größeren Erfolgen. Menschen werden misstrauisch, weil sie oft enttäuscht und getäuscht wurden. Wer sich als treu erweist, dem kann man auch trauen und vertrauen. Er ist wie der Mensch, von dem der erste Psalm spricht: „Selig der Mann, der nicht nach dem Rat der Frevler geht, / nicht auf dem Weg der Sünder steht, nicht im Kreis der Spötter sitzt, sondern sein Gefallen hat an der Weisung des HERRN, bei Tag und bei Nacht über seine Weisung nachsinnt. Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Bächen voll Wasser, der zur rechten Zeit seine Frucht bringt und dessen Blätter nicht welken. Alles, was er tut, es wird ihm gelingen.“ In diesem Menschen, der hier seliggepriesen wird, erkennen wir den Gekreuzigten, der nicht der Versuchung erlegen ist, es sich einfach zu machen, den bequemen und erfolgreichen Weg zu gehen und andere dafür im Stich zu lassen. Wir erkennen am Baum des Kreuzes den Gott, der treu bleibt gegenüber dem Menschen, den er ins Lebens mit all seinen Unsicherheiten gerufen hat. Er hat uns fähig gemacht, selbst treu zu sein gegenüber anderen Menschen, Gott, uns selbst und all dem, was wir als richtig und gut erkannt haben für unseren Weg. Die Treue Jesu bringt Frucht in unserer Verlässlichkeit. In Hymnus wird das Kreuz zum Ruhekissen. Immer mehr scheint das Leben seine Orientierung zu verlieren, hin- und hergerissen zu werden von so vielen Angeboten, die einem das Glück auf Erden versprechen und doch immer wieder enttäuschen. Im Kreuz aber wissen wir Gott unmittelbar nahe. Wir sind nicht alleingelassen und aufgegeben. Gott wagt für uns den Schritt bis in den tiefsten Abgrund, damit wir niemals so den Boden unter uns verlieren können, dass wir das Gefühl haben, dass er nicht da ist. Dieses Wissen schenkt dem Herzen Ruhe.

Du allein warst wert zu tragen

aller Sünden Lösegeld,

du, die Planke, die uns rettet

aus dem Schiffbruch dieser Welt.

Du gesalbt von Blut des Lammes,

Pfosten, der den Tod abhält.

Zwei weitere biblische Bilder nimmt der Dichter auf, um das Kreuz zu beschreiben: die Arche Noah und der Pfosten an den Türen der Israeliten in der Nacht des Auszug aus Ägypten. Es sind Bilder der Rettung. Eine Welt kurz vor dem Schiffbruch, das entspricht auch heute der Wahrnehmung vieler Menschen. Scheinbar gehört es zur menschlichen Grundhaltung, die einen Schritt vor dem Abgrund zu vermuten. Vieles gibt uns das Recht dazu: Wir können uns schutzlos und unbehaust fühlen in einer Welt, die keine Grenzen mehr kennt, deren Tempo uns zu überfordern droht und deren Schrecken uns unvorbereitet heimsuchen wie jetzt das Unglück in Baltimore oder der Anschlag in Moskau. Es ist im Empfinden vieler eine Welt, die nicht mehr zur Ruhe kommt und wie ein zu weit aufgezogenes Uhrwerk aus der Spur geraten ist. Wir schlagen die Zeitung auf und müssen uns Tag für Tag auseinandersetzen mit Bildern des Leides aus Kriegsgebieten, mit Unrecht in Staaten wie dem Iran, mit Katastrophen, die Menschen heimatlos machen. Diese Schrecken machen vor unseren Haustüren nicht Halt: Krankheit, Trennungen, Schicksalsschläge. Ein altes Wort sagt, dass über jedem Haus steht. Auch heute wissen wir, dass uns der Glaube an den Gekreuzigten und Auferstandenen nicht vor solchen Erfahrungen bewahrt, aber er gibt Halt, dass wir nicht untergehen und im Strudel der Zweifel und des Welthasses versinken. Das Kreuz, das Jesus überwunden hat, wird zur Arche, die uns trägt auf den unruhigen Wellen des Weltenmeeres und zum Schutzraum wird, dass wir nicht verzweifeln, weil wir uns allein und verlassen fühlen. So, wie die Überlebenden auf dem Wasser treiben und nach einer Schiffsplanke greifen, um überleben zu können, so ist das Kreuz die Planke auf dem Schiffbruch des Lebens. Ein Bild, das sehr gekonnt beschreibt, was mit dem Erlösungsgeschehen am Kreuz eigentlich gemeint ist: Menschen können sich an das Kreuz klammern, sie dürfen es festhalten, weil es Rettung und Hoffnung verheißt. Diese Einladung werden wir gleich annehmen und nach den großen Fürbitten das Heilige Kreuz verehren. In diesem Jahr werden wir die Fürbitte für die Regierenden in zwei besonderen Anliegen konkretisieren. Die deutschen Bischöfe haben angesichts der schwierigen Lage der Welt und unseres Landes zwei Bitten „für die Menschen in Kriegsgebieten und für die Regierenden“ und „für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“ angeregt. Ich sehe in diesen beiden Bitten die Not angesprochen, die unsere Gesellschaft immer mehr in den Schiffbruch treibt. Wir sehen uns hilflos eingezwängt in eine Spirale der Gewalt und Gegengewalt. Völker haben das Recht auf Verteidigung, aber das Leid der Menschen in den betroffenen Gebieten, lässt uns fragen, ob dieser Weg immer richtig ist. Wir sehen in unserem Land eine zunehmenden Verrohung und wachsende Feindlichkeit gegenüber Menschen, die aus einer anderen Kultur kommen. Besonders erschreckt viele von uns der wachsende Antisemitismus und das Auseinanderbrechen von Zusammenhalt und Gemeinsinn. Wir klammer uns an das Kreuz und bedrängen den Gekreuzigten, der erhöht über die Welt alle an sich zieht. Er ist die Planke, die uns rettet vor dem Schiffbruch und der Pfosten, der das Böse abhält.

Heilig Kreuz, du Baum der Treue“ – Das Holz, an dem Jesus hängt, wird in der Liturgie nicht als Folterinstrument, sondern als Quelle des Lebens verehrt. Das irakische Kloster Mar Behnam, etwa 25 Kilometer östlich von Mossul gelegen, gilt unter den Christen des Orients als herausragender Ort für die künstlerische Darstellung des Kreuzes als Baum des Lebens. Das Kloster wurde 2014 vom IS besetzt und schwer beschädigt. Mittlerweile konnten viele historische Elemente wieder hergestellt werden. Erbaut im 12. Jh. finden sich dort zahlreiche Kreuze orientalischer Art, umgeben von Weinblättern, verziert mit Weintrauben, die an die Eucharistie erinnern, und an Christus, den Weinstock. Sie sind kunstvoll als Lebens-baum dargestellt. Auf keinem findet sich der Körper Jesu. Der Patriarch der Chaldäer, Louis Raphael I. Sako, erklärt: „Die Spiritualität der Kirche des Ostens ist in der Auferstehung verankert, nicht in der Kreuzigung. Sie ist eine Spiritualität der Gnade und der Hoffnung.“ Das leere Kreuz wird wie das leere Grab nicht zum Beweis der Auferstehung, aber zum Zeichen, dass der Tod überwunden ist.

Vor einigen Wochen waren unsere Kommunionkinder mit Herrn Wagner im Weinberg am Beilstein und er erklärte ihnen einen Unterschied zwischen Baum und Weinstock, der sich den Kindern stark einprägte. In Zeiten, in denen Wasser knapp wird, hält es der Baum zurück und lässt die Blätter verwelken, der Weinstock aber gibt so viel er kann an die Trauben ab und verdorrt eher selbst. Wenn Jesus sich als Weinstock identifiziert, finden wir darin den tiefsten Sinn der Kreuzverehrung, die den Höhepunkt der heutigen Liturgie bildet: Er gibt so viel wie möglich an die weiter, die mit ihm verbunden sind. Das gipfelt im Kreuzestod, in dem wir erfahren dürfen, wie weit Christus für uns geht. Er lebt die Treue zum Vater und zu uns Menschen bis in die letzte Radikalität hinein, er ist die Arche, auf der die Menschheit in den Stürmen der Zeit Zuflucht findet und er ist die Tür, die uns beschützt vor den Gefahren des Lebens und sich öffnet für den Weg in das ewige Leben. Wenn wir uns jetzt unter das Kreuz stellen und unsere Blumen ablegen, dann ist es mehr als Schmuck, damit das Kreuz nicht so grausam wirkt, es ist Zeichen, dass wir im Kreuz bereits den Tod überwunden wissen und singen können: „O heil’ges Kreuz, sei uns gegrüßt, du unsere einz’ge Hoffnung bist.“ Amen. Sven Johannsen, Pfr.

2024 Heilig Kreuz du Baum der Treue