Humbug! – Humbug!
Das ist doch alles großer Humbug!
Wie gerne hätte der alte, geldgierige Bankier den guten Geist in jener Nacht ausgelöscht. Er ist zufrieden so, wie es ist. Er braucht keine innere Umkehr für sein Leben. Der greise Ebenezer Scrooge aus Charles` Dickens Weihnachtsgeschichte will überhaupt nichts an seinem bisherigen Leben ändern. Als harter Geschäftsmann ist er bekannt und zugleich gefürchtet. Jeden Tag zählt er mehrfach seine Taler. Freunde hat er keine; aber das braucht er auch nicht! Als ihm am Heiligabend sein verstorbener Geschäftspartner in eiserne Ketten gelegt erscheint und zur Einsicht in ein besseres Leben von nun an aufruft, lehnt Scrooge dankend und verbittert ab. Die Kettenglieder sind jene Zeichen, die der Geschäftspartner selbst zu Lebzeiten geschmiedet hat in seiner Hartherzigkeit, in seinen Sünden und Lieblosigkeiten den anderen gegenüber. Nun im Tod hat er es begriffen. Er möchte Ebenezer davor warnen, selbst so ein trauriges und nie endendes Schicksal zu erleiden. So kündigt er ihm die Heimsuchung dreier Geister als Helfer an. Doch dieser braucht keine Hilfe; nicht einmal aus dem Jenseits. Diese weihnachtliche Haltung des Mitgefühls und der Nächstenliebe hat er nicht nötig! Er braucht kein Fest der Liebe! Er braucht nur sich selbst und sein Geld!
Nachdem er sich schlafen legt, hört er mitten in der Nacht ein seltsames Geräusch, wie das Lachen eines Kindes und den Seufzers eines greisen Mannes. Die menschliche Nacht um uns beginnt…
Humbug!
Scrooge, ist durch die Geräusche aufgewacht. Er sieht den ersten der Geister, der vor ihm schwebt. Sein Gesicht leuchtet wie die Flamme einer Kerze. Es ist der Geist der vergangenen Weihnacht. Die Weihnacht der Vergangenheit?! Was interessiert mich heute, am 08. Dezember 2024, meine Vergangenheit. Was geschehen ist, ist geschehen! Es war nicht alles gut, aber es war doch auch nicht alles schlecht. Diesen Geist von früher kann ich ruhig auslöschen, bevor noch unangenehme Gedanken an alte Zeiten aufkommen.
Doch jener kindliche Geist zeigt Scrooge die Dinge in seinem Leben, die ungerade verlaufen sind. Er konfrontiert ihn regelrecht mit dessen schlechten und egoistischen Verhalten seinem Umfeld gegenüber. Er hat weder Frieden noch Freude gebracht. Er hat Traurigkeit und Unbarmherzigkeit in der Welt und unter den Menschen verteilt. Der alte Mann beginnt zu zweifeln, ob er nicht doch zu streng und zu hart zu den anderen war. Möglicherweise sind gar nicht die anderen ausschließlich das Problem in einer Konfliktsituation, sondern ich trage dazu bei. Andere können möglicherweise nichts für meinen aktuellen Zustand und die Situationen um mich herum.
Die Vergangenheit kann ich nicht rückgängig machen. Ich kann sie jedoch annehmen und aus meinen Fehlern lernen. Das wird mir hier und da besser gelingen und in anderen Bereichen eben nicht. Aber ich darf und ich kann sie nicht auslöschen, weil sie zu mir gehört. Waren Momente aus meiner Vergangenheit dunkel und von Schatten geprägt, darf in meiner Gegenwart, darf im Heute, darf im Jetzt, der Morgen ankommen.
Ja, Humbug…!
Während Scrooge noch über seine Vergangenheit nachdenkt, erscheint ihm der zweite, der verheißenen Geistesgestalten. Es ist ein Riese mit roten Haaren und einem roten Rauschebart. Er macht einen durchaus fröhlichen Eindruck. Und er lacht sehr viel vor sich hin. Ihn will ich nicht auslöschen! Der Geist der Gegenwart ermutigt mich ja dazu, die Vergangenheit für das Hier und Jetzt ernst zu nehmen. Aber: nicht darin zu leben. Wer in der Vergangenheit zu lange verweilt, verpasst die Chancen des Momentes. Da werden immer Dinge von früher sein, die mich auch im Nachhinein stören werden. Aber sie dürfen mein künftiges Leben nicht alleine bestimmen. Lebe ich in der Gegenwart ebenso im Dunkeln wie in der Vergangenheit, kann meine Zukunft nicht hell werden.
Humbug…!
Die Turmuhr gegenüber schlägt. Es ist Mitternacht. Eine dunkle und furchteinflößende Gestalt ist zugegen. Sie redet nicht und zeigt kein Gesicht. Sie ist unheimlich und ungewiss, denn sie ist die Zukunft des Menschen. Sie würde ich gerne auslöschen oder zumindest ganz weit vor mir herschieben. Die dunkle Gestalt der Zukunft macht Ebenezer Scrooge nun klar: Ändert er nicht sein Leben, denkt weniger an sich und tut den anderen Menschen etwas Gutes und das nicht nur in der Advents- und Weihnachtszeit, hat er sein Leben verschenkt. Ihm droht die Dunkelheit des Todes. Nicht weil ein anderer Mensch oder gar Gott das möchte, sondern weil er sich selbst in diese Dunkelheit gebracht hat. Weil er den Geist der Vergangenheit und der Gegenwart auslöschte und die Zukunft nicht ernst nahm.
Scrooge begreift innerhalb dieser Nacht, die ein Sinnbild für sein schattiges Leben ist, daß er all die Jahre sich selbst geschadet hat. Er konnte sich nicht mit anderen freuen, weil er selbst keine Freude empfand. Das war der Humbug seines Lebens: Den Geist der Freude, den er ausgelöscht hat – immer und immer wieder. Nun begreift er es und die Sonnenstrahlen am Weihnachtsmorgen strahlen auf. Er nimmt die drei Geister der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft nun an. Er nimmt sich selbst an, an diesem Weihnachtsfest. Das Licht der Heiligen Nacht ist für ihn aufgestrahlt.
Es darf auch heute, am Zweiten Adventssonntag, für mich aufstrahlen im Licht der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Das Licht der Heiligen Nacht ist noch nicht da. Doch Johannes der Täufer verkündet es als guter Geist der Weihnacht in der Dunkelheit der Jordanwüste. Er ruft es in das menschliche Leben hinein: Bereitet den Weg des Herrn. –Lk 3,4c-
Er traut sich, den Humbug des Lebens auszurufen und den Menschen vorzuhalten. Er schreit uns aus der Jordanwüste zu, daß das Licht der Heiligen Nach bald kommt. Es kommt zu mir persönlich; es kommt in meine Gegenwart. Johannes ist wie die Geister der Vergangenheit, der Gegenwart, der Zukunft. Er sagt mir, dass Gottes Licht in die Welt und in mein Leben kommt. Wenn wir das ernst nehmen, dann darf ich meine Predigt schließen mit dem, was Ebenezer Scrooge am Ende des Buches sich wünscht: „Gott segne uns alle!“
Humbug?! – Wer`s mir nicht glaubt von Euch, der zahlt nun einen Taler!
Kaplan Tommy Reißig.