Predigt zum 4. Advent – Das Geheimnis der Rose

Ojemine!

Nun ist er also doch schon da! Plötzlich und zügiger als erwartet steht er dieses Jahr wieder vor der Türe. Sicherlich habe ich vier Wochen auf ihn gewartet. Doch in diesem Jahr ging es noch viel schneller als in den vergangenen Jahren. Ich habe mich natürlich gefreut, daß er im Dezember kommen wird und zugleich gehofft, daß es schön und eindrucksvoll ist. Doch in diesem Jahr, nach all den Ereignissen, vielen Terminen und unvorhergesehenen Tatsachen, wünsche ich mir, daß er noch nicht kommt.

Gerade nach dem schrecklichen Attentat in Magdeburg am vergangenen Freitag bleiben bei mir nur Ratlosigkeit und Unverständnis zurück. Ein adventlicher Mensch, der auf etwas Neues in seinem Leben wartet, der schadet keinen anderen Menschen. Ein adventlicher Mensch, der noch ein Fünkchen Hoffnung in sich trägt, verletzt niemanden. Und ein Attentat aus politischen oder religiösen Motiven heraus zu begehen, ist niemals vereinbar mit den Glauben an Gott, sondern – entschuldigt bitte mein schwarz-weiß denken – immer dämonisch! Dämonisch und hoffnungslos von Grund auf…

Unter diesen Erlebnissen der Menschen auf dem dortigen Weihnachtsmarkt und in der Umgebung von Magdeburg und auch an der anderen düsteren Erlebnissen der Menschen in der derzeitigen Lage kann er nicht einfach kommen. Darin steckt jedoch ein großes Mysterium, das es noch in den letzten zwei Tagen des Adventes zu lösen gilt mitten im menschlich-kalten und düsteren Winter: das Geheimnis der Rose!

Ojemine!

Schon vier Wochen bereite ich mich auf das große Ereignis vor. Wer von uns kennt nicht den guten Vorsatz, sich in diesem Jahr, ganz bestimmt in diesem Jahr besser, intensiver und ruhiger auf das Weihnachtsfest vorzubereiten als die Jahre zuvor. Doch der Alltag scheint vor dieser „ruhigen und stillen“ Zeit keinen Halt zu machen. Ich bleibe wie immer! Ich versuche aus den letzten Stunden bis zum Dienstag das bestmögliche herauszuholen; auch wenn es nur ein äußerliches Vorbereiten ist. Leider…

Ojemine!

Das Drama um die geheimnisvolle Rose nimmt seinen Lauf: Der Evangelist Lukas schildert, wie der Herr seinen Boten zu einer Jungfrau sendet. Sie ist ganz alleine in dem Moment. Sie ist unvorbereitet auf die Situation. Vielleicht betet sie. Vielleicht ist sie in ihren Gedanken versunken. Aber welches Geheimnis auf sie zukommt, ahnt sie nicht. Der Engel tritt bei Maria ein und begrüßt sie. Diese Form des Grußes war für das junge Mädchen fremd. Zur damaligen Zeit war es nicht üblich, Frauen in irgendeiner Form zu grüßen. Gabriel tritt nicht nur unverhofft in Marias Leben, sondern er übergeht diese überkommene Vorstellung, und so bricht durch ihn Gott direkt in das Leben herein. Auch für die Menschen in biblischer Zeit war es eine ungewohnte Situation, wenn sie auf Engel trafen. Es war damals wie heute nichts Alltägliches! Wenn dann noch in der Stille Gott selbst kommt, ist das schier unglaublich und für den menschlichen Verstand nicht fassbar.

Jetzt kommt eine Spur des Rosengeheimnisses: Gerade in dieser katastrophalen und unvorbereiteten Situation zeigt sich, daß das Gebet Marias und ihr Herzenswusch – Gott zu lieben und sich auf ihn einzulassen – nicht nur ein frommer Gedanke ist, sondern ihre Wirklichkeit. Maria nimmt Gott in ihrem Leben an. Sie vertraut darauf, daß es ein gutes und von der weihnachtlichen Freude erfülltes Leben wird; und das nicht nur für sie, sondern durch sie für alle Menschen.

Ojemine!

Natürlich weiß Gott, daß Maria gerade in der Stille auf sein Wort hören und es annehmen kann. Er zwingt sie nicht, ihm ihr „Ja-Wort“ zu geben. Er wartet darauf, daß sie Seinem Plan für die Menschen vertraut. Nun kommt der Gipfel der Ankündigung: das Kind, was die Jungfrau empfangen soll, ist der „Sohn des Höchsten“ [vgl. Lk 1,32b] selbst, dessen „Herrschaft kein Ende haben“ [vgl. Lk 1,33b] wird. Maria wird schwanger durch das Wirken des Geistes Gottes. Sie trägt das Kind in ihrem Schoß. Als sie von dem Engel hört, daß auch ihre Base Elisabeth ein Kind mit Zacharias bekommt, macht sie sich auf den beschwerlichen Weg in das Bergland nach En Kerem. Auf diesem Weg trägt sie das Kind unter ihrem Herzen und in ihrem Herzen, wie August von Haxthausen es 1850 niederschreibt. Und als sie vorbeikommen mitten im Winter, tragen die Dornen sogar Rosen. Sie verändern ihre Gestalt. Sie werden erträglicher.

Ojemine!

Das ist also das Geheimnis des letzten Adventssonntages: Maria und Jesus kommen vorbei und die Dornen blühen auf. Mehr noch: Maria ist selbst die Rose, die durch Gott zum Blühen kommt. Ohne Ihn wäre ihr Leben trostlos; mit ihm ist es rosenrot. Sie vertraut auch im Dunklen auf Gott. Sie hofft auf Sein Eingreifen in das menschliche Leben; auf Sein kommen in den Dornenranken meines Lebens; in dem schrecklichen Leid von Magdeburg und auf der ganzen Welt, das Menschen anderen antun können.

Eine größere Unglaublichkeit gibt es nicht. Er, der große Gott, begibt sich hinab in die menschlichen Abgründe. Er wird klein und tritt ganz in diese Welt. Der Schöpfer nimmt die Gestalt des Geschöpfes an. Er, der als Sohn Gottes der Welt verheißen wurde, kommt in einen Viehstall. Er ruht zwischen Esels-I-A und Ochsenbrummen. Er wird mitten im Gestank der Tiere in einer Futterkrippe liegen. Er haust in einer dunklen und kalten Höhle. Ein Anblick und Geräusche, die unwürdig erscheinen, wäre da nicht noch das Geheimnis der Rose nach dem „Ojemine“!

Ojemine!

Nun ist es in zwei Tagen soweit. Die Hektik des Adventes verfliegt, obwohl die Welt und die Angst in Magdeburg bleiben wie sie sind. Stille macht sich aber bereit in der Futterkrippe. Diese Stille auszuhalten, ist oft unerträglich und sticht wie kleine Dornen. Zu viele Eindrücke und Gedanken der Vergangenheit und der Medien drängen sich in den Vordergrund. Da hat die Ruhe keinen Platz! Doch es tut es gut, nun trotz allem zur Ruhe zu kommen. Es ist angebracht, sich zu sammeln für das bevorstehende Ereignis. Ich darf selbst zu einer Rose der Hoffnung werden, die aufblüht wie Maria.

Gott selbst ist es, der mich hin den ersten Schritt macht. Ich muß lediglich zulassen, daß er mein Leben zum Blühen bringt. Er selbst kommt; der Ojemine kommt. „O Jesu Domine“ – „O Jesus, mein Herr.“ Er kommt als Geschenk in der Heiligen Nacht. Maria, die Rose Gottes, macht mir die geheimnisvolle Erwartungshaltung vor. Ihr „Ojemine“ als erste Anfragen an das unglaubliche Geschehen der Menschwerdung Gottes wandeln sich in das „O Jesu, Domine“. Unverständnis wandelt sich in Vertrauen dem gegenüber, der da kommt. Die Dornen bringen Rosen hervor, auch wenn sie spitz und verletzlich bleiben. Ich kann die Welt nicht alleine verändern. Ich darf aber mit Gott aufblühen, um die Spitzen der Angst und der Verzweiflung erträglicher zu machen. Ich darf heute rufen:

Ojemine! O Jesus, Herr, komm du zur mir und meinen Lieben, nach Magdeburg und in diese Welt.

 

Kaplan Tommy Reißig