Predigt zum Ersten Weihnachtsfeiertag 2024

Es gibt eine Geschichte, die über die Jahrhunderte von Vater zu Sohn weitererzählt wurde: Die Legende besagt, daß eines Tages ein Mann in das englische Dorf Gladbury zog. Es war ein gutherziger Mann; seiner Familie und seinem Handwerk treu ergeben.

Er war Kerzengießer und brachte Licht in das ganze Dorf. Aber er sehnte sich danach, ihnen noch etwas anderes zu geben. Denn das Leben in Gladbury war schwer und die Einwohner waren sehr niedergeschlagen. Der Kerzengießer arbeitete Tag und Nacht und goß in jede Kerze sein Herz und seine Gebete mit hinein. Aber am 1. Adventssonntag war alles, was er noch zu geben hatte, ein einziges Gebet; nicht für sich selber, sondern für Gladbury, für seinen Sohn und für all die Söhne und Töchter, die noch kommen sollten. In dieser Nacht war die einzige Antwort darauf Stille! So schien es jedenfalls…

Ein Engel des Herrn stieg vom Himmel herab und segnete eine einzige Kerze. Die himmlische Gabe wurde denjenigen gegeben, die sie am meisten brauchten mit einer einfachen Anweisung: Zündet sie an und betet! Die Menschen hofften, daß ihre Gebete erhört werden und es geschah ein Wunder. Weihnachtsabend war das Dorf voller Freude, als sie von der Wendung ihres Schicksals hörten. Die frommen Wünsche wurden erfüllt und die Gebete erhört. Und so entstand die Legende…

Es wird bis heute erzählt, daß der Engel die Kerzengießerei alle fünfundzwanzig Jahre aufsucht und daß jedes Mal ein Gebet erhört wird. Doch selbst die besten Geschichten nehmen irgendwann ein Ende. Es hat sich viel verändert in den letzten 200 Jahren in einer Welt, die von modernen Wundern beleuchtet wird: Wer braucht da noch das Licht einer einfachen Kerze?

In diesem Jahr ist ein neuer Priester nach Gladbury gekommen. Er ist ein gläubiger Mann, ein guter Seelsorger und ein begnadeter Prediger. Nur hält er die Geschichte der Weihnachtskerze für Unsinn. Der junge Pfarrer glaubt nicht, daß das Anzünden einer Kerze und mit einer frommen Bitte um Frieden, Gerechtigkeit, Ruhe oder Freude etwas nützt. Die Menschen in Gladbury, die in diesem Jahr wieder sehnlichst auf das Wunder warten, werden vom Glauben ihres Pfarrers enttäuscht. Er ist vielmehr der Meinung, daß die wahren Wunder in dieser Zeit anders aussehen: Er motiviert die Menschen in seiner Gemeinde dazu, sich gegenseitig zu helfen und beizustehen. Nicht die Kerze helfe beim Löschen eines Brandes im Nachbarhaus, sondern die Feuerwehr und die Unterstützung der Nachbarschaft. Der Einkauf für die kranke Oma oder den hilfesuchenden Opa wird nicht durch ein frommes Gebet erledigt, sondern durch die liebevolle Hilfe der Enkel und Urenkel. Aktionen in einer Pfarrgemeinde, wie ein schönes Pfarrfest, das Tragen der Passionsfiguren an der Karfreitagsprozession, das Tannenbaumaufstellen auf dem Gemeindeplatz und in der Kirche, gemeinsame Fahrten der Ministranten, die Organisation eines kleinen Adventsmarktes im Dorf planen und organisieren sich nicht von alleine; auch Wallfahrten gehen nicht von selbst vonstatten, es braucht die Hilfe aller Menschen in einer Gemeinde.

Nun, der junge Kollege mag mit alledem recht haben. Aber er vergißt dabei das wahre Licht der Weihnacht. Jenes Licht, das uns im Stall von Bethlehem entzündet wurde mitten in der Dunkelheit der Nacht. Jenes Licht, das einen menschlichen Namen hat: Es heißt Jesus Christus! Nicht die gesegnete Kerze ist das Wunder der Weihnachtsnacht, sondern das das einzig wahre Licht diese Kerzen zum glühen bringt und seine Flamme an sie weitergibt. Das Licht der Heiligen Nacht mag klein und unspektakulär sein. Man kann auch daran zweifeln, ob es existiert. Aber die Geschichte von Gladbury belehrt den jungen Priester eines besseren; es bringt Menschen zum Glauben und zum Beten. Das entzündete Licht bleibt nicht bei sich selbst stehen. Es wandert von Mensch zu Mensch. Ja, es stellt die Menschlichkeit zwischen uns wieder her, indem es Hoffnung, Wärme und Trost spendet. Diese Weihnachtskerze, die vom himmlischen Licht Jesu Christi gesegnet wird, ist niemand anderes als wir: Ihr und Ich; die Hirten auf den Feldern in Bethlehem in dieser Nacht, unsere Vorfahren im Glauben und Vertrauen und unsere Kinder und Enkelkinder un unsere Freunde und Nachbarn.

Wer eine Kerze aus Wachs sucht, die Wunder vollbringt, der wird die der junge Priester aus Gladbury vergeblich suchen müssen. Wer eine lebendige Kerze sucht, die vom Licht Christi an Weihnachten entflammt ist, der darf nun links und rechts neben sich schauen und zu Hause in den Spiegel blicken. Durch uns dürfen Wunder in der Welt geschehen; aber immer ich Lichtschein Christi, im Gebet und im tiefen Vertrauen auf den Herrn, der uns in Bethlehem aufgeleuchtet ist. Dann wird unsere Stadt zu Glad-bury, zur Stadt / zum Dorf, in denen „glad“ das Fröhliche „bury“ vergraben ist.

In diesem Sinne der gemeinsamen Fröhlichkeit in dieser Zeit wünsche ich Ihnen:

Frohe und gesegnete Weihnachten und die Freude des neugeborenen Kindes in der Grotte zu Bethlehem!

 

Kaplan Tommy Reißig